Tumorbekämpfung mit Sharepoint
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/08
Im Schweizer Gesundheitswesen ist aktuell einiges im Gang, vor allem im Bereich E-Health, also dem Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Verbesserung von Qualität und Entscheidungsgrundlagen, der Effizienzsteigerung sowie der Gewährleistung der Gesundheitsversorgung.
Auch am Inselspital in Bern mit seinen rund 7000 Mitarbeitenden wurden in den letzten Wochen und Monaten einige interessante IT-Projekte umgesetzt, um die jährlich über 220’000 Patienten noch besser und effizienter behandeln zu können. Eines dieser Projekte war die Einführung eines elektronischen Tumorboards.
Ein Tumorboard ist eine Konferenz von Fachärztinnen und -ärzten aus verschiedenen Disziplinen der Medizin, die sich auf die Behandlung von bösartigen Tumoren spezialisiert haben. An einem bestimmten Tag treffen sich im Inselspital jeweils wöchentlich bis zu 30 Chirurgen oder Gynäkologen, Radio-Onkologen, Medizinische Onkologen, Pathologen oder Radiologen zu einer interdisziplinären Besprechung über Patienten mit dem Ziel, ein optimales diagnostisches und therapeutisches Vorgehen zu definieren. Insgesamt gibt es am Inselspital neun solche Tumorboards.
Alles rund um diese Tumorboards, das heisst von der Anmeldung, der Einladung bis hin zur Archivierung beziehungsweise dem Versand der Protokolle und Bescheide, geschah bisher auf dem Papierweg, per Fax oder Post. Alles wurde immer grösser und komplexer. Deshalb sah sich Prof. Dr. med. Ralph Alexander Schmid, Chefarzt der Klinik und Poliklinik für Thoraxchirurgie am Inselspital, nach einer Lösung für diese Probleme um. Die IT sollte Schmid dabei helfen. «Also gab ich die Idee und die Vorstellungen für ein eTumorboard in den IT-Rat des Inselspitals ein. Dort wurde das Projekt analysiert, gut- geheissen und weitere Details dazu ausgearbeitet», so Schmid. Unter anderem war auch die Eigenentwicklung eines solchen Tools ein Thema, schliesslich hat man sich dann aber für einen externen Entwickler entschieden. Zum Zug kam GridSoft.
GridSoft, das kleine, junge und auf Microsoft-Technologien spezialisierte Berner Unternehmen mit 12 Mitarbeitern, erhielt den Auftrag ein elektronisches Dokumentenverwaltungssystem einzuführen. Es sollte ein Kommunikationssystem geschaffen werden, um den einweisenden Ärzten einen elektronischen Zugriff auf die Tumorboard-Berichte zu ermöglichen. Ausserdem galt es, die Geschäftsprozesse des Inselspitals zu optimieren und ein inselweites standardisiertes System einzuführen sowie die Aussenkommunikation zu fördern.
Im Mai 2008 starteten GridSoft und das Inselspital die Entwicklung des eTumorboards, im Februar dieses Jahres haben es die beiden Kliniken Thorax- und Viszeralchirurgie in Betrieb genommen.
Mit dem eTumorboard können die Ärzte alle Daten und Informationen zu Fällen sofort von überall und jederzeit online abrufen. Die Zugriffsberechtigungen auf die Daten sind fall- und rollenbasierend. Ein Arzt kann also entweder nach Patient, den er betreut, oder nach Funktion, die er innehat, den Zugriff erhalten. Insel-Mitarbeitende können sich elektronisch direkt für das Board anmelden, externe (Haus)Ärzte benötigen dazu vorher einen HIN-Account (dazu später mehr). Das eTumorboard dient ausserdem der Sitzungsorganisation. Der Vorsitzende beziehungsweise sein Sekretariat kann direkt im System Dinge wie beispielsweise die Reihenfolge der Patientenvorstellungen festlegen, eine automatische Erstellung der Agenda und den Versand derselben via Outlook anstossen. Ausserdem können nach den Sitzungen auch Berichte als PDF automatisch erstellt und versandt werden.
Das eTumorboard baut auf dem bereits von GridSoft entwickelten Core Portal Framework sowie dem Arztportal-Modul auf. Zum Einsatz kommen weiter die Microsoft-Lösungen SharePoint Server 2007 und Windows Sharepoint Services (WSS), die man bestens kennt.
Knackpunkt in diesem Projekt war die Einbindung der externen (Haus)Ärzte. Gelöst hat man das mit HIN (Health Info Net), einer gesicherten Extranet-Plattform des Schweizer Gesundheitswesens, dem 80 Prozent der Arztpraxen und über 130 Institutionen des Schweizer Gesundheitswesens angeschlossen sind. Nur externe Ärzte mit einem HIN-Account, womit auch die Sicherheit gewährleistet ist, können dank einem GridSoft HIN Connector für Sharepoint auf das eTumorboard zugreifen.
Betrieben und gehostet wird das neue eTumorboard durch T-Systems, dem Outsourcingpartner der Informatikdienste des Inselspitals Bern.
Auf technologischer Seite gab es für GridSoft bei der Entwicklung des eTumorboards nur wenige Herausforderungen, die lagen viel mehr auf der organisatorischen Ebene. Hauptherausforderung war das Zusammenspiel zwischen der Ärzte- und der IT-Welt. «Wir haben eine andere Sprache», erklärt Markus Lengacher, Geschäftsführer von GridSoft und Projektleiter. Das bestätigt Chefarzt Schmid: «Wir haben wirklich eine völlig andere Sichtweise als die Programmierer.» Diese mussten sich also in die Lage und Situation der Mediziner versetzen. Und: Hinzukam der hektische Alltag der Ärzte, der gemeinsame Sitzungen oft verkürzte oder ab und zu auch kurzfristig ganz verunmöglichte.
Am Inselspital intern gab es noch weitere Herausforderungen auf der menschlich-organisatorischen Ebene zu lösen. Es galt nämlich die Mitarbeitenden, also die Ärzte, für das neue Produkt zu begeistern. «Wir sind nämlich unheimlich konservativ, was solche elektronischen Lösungen angeht», meint Ralph Alexander Schmid. Man habe seine Rituale, seine Protokolle und nehme nur ungern davon Abschied. Er sei deshalb überrascht gewesen, wie schnell die Akzeptanz da gewesen sei, und heute sei das eTumorboard nicht mehr wegzudenken.
Mit Blick auf die technologische Seite lief das Projekt für Schmid fast makellos. Er konnte kaum Probleme ausmachen und wenn, dann waren es nur kleine. Beispielsweise als man eine Änderung des Domain-Namens durchführte, was anschliessend zu Login-Problemen führte. Verbesserungspotential sieht er noch in der Einbindung von externen Ärzten. «Das aktuelle Verfahren ist mir noch etwas zu umständlich», meint Schmid.
Das eTumorboard hat sich in seinen ersten Einsatzmonaten bewährt und soll weiter ausgebaut werden. Einerseits hofft man, die elektronische Lösung bald auch auf die weiteren Inselspital-Kliniken mit einem Tumorboard ausdehnen zu können. Das könnte aber noch etwas dauern: «Viele der anderen Kliniken sind noch an alte Systeme gebunden und können diese noch nicht oder nicht so einfach ablösen», erklärt Prof. Dr. med. Ralph Alexander Schmid. Er will neben den internen aber vor allem aber auch die externen Kliniken und Ärzte ins eTumorboard einbinden und wachsen. Er denkt da ganz spontan an zwei grössere Spitäler in der näheren Umgebung, wie Burgdorf und Thun.
Freuen würde sich Schmid auch über eine rege Beteiligung der Hausärzte. Für sie ist das eTumorboard übrigens kostenlos, es wird als Service vom Inselspital, also der Tertiärmedizin, angeboten. Dieses übernimmt auch die Lizenzkosten, die natürlich für jeden Sharepoint-Benutzer anfallen.
Bei GridSoft denkt man beim Blick in die Zukunft in erster Linie an einen Ausbau des bestehenden eTumorboards zu einer noch grösseren, integrierten Plattform. Laut Markus Lengacher wäre eine Anbindung von Daten aus dem Klinikinformationssystem (KIS), dem Laborinformationssystem (LIS) sowie dem Picture Archiving and Communication System (PACS), dem Bildarchivierungs- und Kommunikationssystem der Klinik, möglich. «Das sind alles Zusätze, die wir zu Beginn des Projekts zur Reduktion der Komplexität und aus Kostengründen weggelassen haben, aber sehr viel Sinn machen würden», erklärt Lengacher. Auch Schmid wollte zum Start eine funktionierende, schlanke Lösung, zeigt aber durchaus auch Interesse an einer Erweiterung. Zusätzliche Daten und Bilder zu den einzelnen Patienten und Fällen würde er begrüssen. Zuerst soll das eTumorboard aber in seiner aktuellen Form noch wachsen und sich am Spital weiter etablieren.
· Das Berner Inselspital verbessert die Behandlung von Tumor-Patienten mit einem Online-Portal.
· Das eTumorboard, eine Sharepoint-Lösung, die von GridSoft entwickelt wurde, steht auch externen Ärzten zur Verfügung.
· Ärzte und Software-Entwickler haben sich gefunden und sorgten so für ein erfolgreiches E-Health-Projekt.