Der Mainframe ist tot, es lebe der Mainframe
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/05
Bis 2015 müssten in der Schweiz pro Jahr mehr als 100 Personen zu Mainframe-Spezialisten ausgebildet werden, damit das Wissen in diesem Bereich erhalten bleibt, wie eine Untersuchung von IBM Schweiz ergeben hat. Auch wenn vor Jahren das Ende der Mainframes prophezeit wurde, so hat sich in der Zwischenzeit gezeigt, dass nach wie vor viele Unternehmen auf diese Systeme setzen. Noch immer sind in der Schweiz mehr als 50 System z von IBM im Einsatz, und im vergangenen Jahr wurden erstmals wieder mehr Mainframes verkauft. Zu den Kunden gehören vor allem Finanzinstitute und Behörden, die ein grosses, betriebskritisches Datenvolumen bewältigen müssen. Nimmt in den nächsten Jahren das Wissen über Mainframes weiter so dramatisch ab, könnte es für Unternehmen mit solchen Systemen als Hauptplattform problematisch werden.
Benötigt werden Leute für alle fünf Bereiche, nämlich Applikationsentwicklung, Middleware, Systemprogramming beim z/OS, IT-Architektur und Leistungs-Kapazitäts-Planung. Am dringendsten gebraucht werden Applikationsentwickler, gefolgt von Middleware- und Sys-temspezialisten. Auf Rang vier und fünf bei der Nachfrage liegen IT-Architekten und Experten für die Leistungs-Kapazitäts-Planung. «Je nach Disziplin dauert die Ausbildungszeit zwei bis zehn Jahre, weil in diesem Bereich die Erfahrung eine enorm wichtige Rolle spielt», so Walter Schaerer, Client Systems Manager bei IBM. Gerade auf Grund der langen Ausbildungszeit wäre die häufig vernachlässigte Nachfolge-planung so wichtig, meint Schaerer.
IBM selbst bietet mit den System z Mainframes an und ist daher direkt vom drohenden Mangel an Spezialisten betroffen. Mehr als die Hälfte der Fachkräfte für z/OS, dem Betriebssystem für die IBM-Mainframes, ist über 50 Jahre alt. Zwar bietet Big Blue mit seinen Learning Services seit Jahren entsprechende Schulungen an, die jedoch wegen geringen Interesses immer wieder einmal verschoben oder abgesagt werden müssen. Auf der Suche nach einer Alternative ist Schaerer im Gespräch mit dem European-Mainframe-Academy-Mitgründer (EMA) Wolfram Greis auf die EMA gestossen.
Eine Expertengruppe der Universität Leipzig rund um den pensionierten IBM-Mitarbeiter Prof. Dr. Wilhelm Spruth hat zusammen mit IBM Deutschland einen berufsbegleitenden Lehrgang entwickelt, um das Mainframe-Wissen zu erhalten. Ziel der EMA ist die «Sicherung des bestehenden Know-hows im Bereich Mainframe-Technologie und zeitgleich die Sicherung einer zeitnahen, hochqualifizierten und bedarfsorientierten Ausbildung von Experten auf dem Gebiet dieser Informationstechnologie», wie es auf der Webseite der EMA heisst.
Am 13. Oktober 2008 startete der erste Lehrgang mit zehn Teilnehmern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die beiden Teilnehmer aus der Schweiz, Ralph Hess und Daniel Imhof, arbeiten bei Credit Suisse. Der diplomierte Informatiker Hess hat sich vor allem auf Grund des Blended-Learning-Konzepts für die EMA entschieden. «Hinzu kommt, dass die Dauer eine solide Ausbildung ermöglicht.» Imhof, der über einen Master in Wirtschaftsinformatik verfügt, hat vor der EMA-Ausbildung bereits eineinhalb Jahre mit Mainframes gearbeitet: «Durch die EMA bekomme ich die Möglichkeit, weitere Gebiete im Bereich Mainframe kennen zu lernen.»
Nach dem ersten Halbjahr ziehen die beiden ein positives Fazit. Laut Hess ist vor allem die Tiefe der Ausbildung erfreulich. «Wir haben uns während der ersten Monate intensiv mit der z/Architektur auseinandergesetzt und viel über die Instruktionen und Abläufe in einem System z kennen gelernt.» Imhof betont derweil auch, dass die behandelten Themen her-ausfordernd sind. Allerdings erhalte man trotz wenigen Präsenzveranstaltungen immer schnell Hilfe.
Unterstützung erhalten die beiden Schweizer Teilnehmer auch von ihrem Arbeitgeber Credit Suisse. So können sie beide weiterhin 100 Prozent arbeiten, dürfen davon aber 20 Prozent für die Ausbildung aufwenden. Auch finanziell werden Hess und Imhof von der CS unterstützt, bezahlt die Grossbank doch die Ausbildung. Die beiden Teilnehmer müssen sich dafür nach der Ausbildung für ein Jahr verpflichten.
Trotz der allgemeinen Zufriedenheit sehen die Schweizer EMA-Schüler auch Schwachstellen. Während den ersten zwei Monaten habe es noch einige Unklarheiten und vereinzelt Verzögerungen bei der Bereitstellung der Unterlagen gegeben. Dies sei aber angesichts der Tatsache, dass es der erste Lehrgang sei, keine Überraschung. Zudem habe die EMA schnell reagiert, heute funktioniere es sehr gut, so Hess. Und auch Imhof betont, dass es seit dem Start der EMA schon verschiedene Optimierungen bezüglich der Unterrichtsform oder der Lernunterlagen gegeben habe: «Anregungen der Teilnehmer werden wenn immer möglich umgesetzt. So kann man sagen, dass zum jetzigen Zeitpunkt alles optimal läuft.»
Auch bei Fujitsu Siemens Computers (FSC) ist man sich der Bedeutung von Mainframe-Spezialisten bewusst. Das Unternehmen stellt seinen Kunden und Mitarbeitern ein Weiterbildungs- und Schulungsangebot zur Verfügung. Zudem bietet FSC seit rund zwei Jahren ein Werkstudentenprogramm an, das sich mit Themen rund um Datacenter respektive Mainframes befasst. So soll den Studenten ein praxisnaher Einblick in die unterschiedlichen Bereiche der Entwicklung ermöglicht werden. Auch Kooperationen mit diversen deutschen Hochschulen nutzt FSC, um zum einen grundsätzlich über Mainframes zu informieren, und zum anderen, um an den Hochschulen die praktische Arbeit in einer Mainframe-Umgebung zu fördern. In jüngster Vergangenheit bestand beispielsweise eine Entwicklungskooperation mit der LMU München. Zudem hielt man Vorträge an der FHG Düsseldorf und der TU München. Ebenso stellt FSC BS2000-Mainframe-Rechenleistung für die FH Hof bereit und führte einen Mainframe-Day in der Münchener Zentrale als Infoveranstaltung für Studenten durch.
Via Kundenkontakt soll die EMA laut Schaerer nun in der Schweiz publik gemacht werden. «Die Kunden sind sehr interessiert, das Problem sind Parallelanstellung respektive der Personalbestand», so Schaerer. Während der Übergangs- und Ausbildungszeit wären einzelne Stellen doppelt besetzt, was viele Unternehmen abschreckt. Auch verhindere die aktuelle Wirtschaftslage eine langfristige Planung, zeigt sich Schaerer überzeugt. Keinen Hinderungsgrund sieht er derweil im Schulgeld von 36’000 Euro.
Keine Unterstützung erhält IBM Schweiz von den Schweizer Hochschulen und Universitäten. Diese wollen das Thema Mainframe nicht aufbringen, weil sie die Technologie für veraltet halten, so die Rückmeldungen an Schaerer. «Das stimmt aber nicht, es ist eine sehr moderne und zuverlässige Technologie. Es ist die einzige Technologie, die die höchste überhaupt mögliche Verfügbarkeit auch wirklich erreichen kann.»
Ob auch dieses Jahr ein Lehrgang gestartet werden kann, ist noch unklar, angestrebt wird dieses Ziel allerdings klar. «Bislang sind bei uns dafür rund zehn Anfragen aus der Schweiz eingegangen», so Schaerer.
2 Jahre
36’000 Euro
IT-Basis-Kenntnisse
maximal 15 Schüler
Blended Learning (8 Stunden Selbststudium pro Woche, 23 Tage Präsenztraining und 100 Stunden virtuelle Sitzungen)
virtuelle Klassenzimmer, E-Mail, Foren, Chats, Livegesprächen, Wikis, Blogs und Podcasts. Praktische Übungen erfolgen auf einem IBM System z an der Universität Leipzig.
neue Rolle des Mainframe, Hardware- und Software-Überblick, z/OS-Grundlagen, -Applikationsentwicklung und -System Programming, Mainframe- und Applikations-Modernisierung, Virtualisierung und Linux auf dem Mainframe
Zertifikat als «EMA Certified Mainframe System Specialist» oder «EMA Certified Mainframe Developer»
www.mainframe-academy.de
· Mainframes sind aller Vorhersagen zum Trotz noch immer im Einsatz.
· Pro Jahr müssen in der Schweiz mehr als 100 Leute in diesem Bereich ausgebildet werden, um das Wissen zu erhalten.
· IBM will dies zusammen mit der European Mainframe Academy in Deutschland erreichen.