Heisse Luft oder Klimawandel?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/04
Ähnlich wie Wolken am Himmel zog vor wenigen Monaten das «Buzzword» Cloud Computing in den Medien der IT-Branche auf. Inhaltlicher Vorreiter war Sun Microsystems, die in den 90er Jahren die Formel «Das Netzwerk ist der Computer» propagierte. Damit wurde bereits vor circa zwei Jahrzehnten in fast prophetischer Manier das vorausgesagt, was Experten heute für gewöhnlich unter dem Begriff zusammenfassen: Immer mehr computergestützte Verarbeitungsleistung wird per Web-Browser über breitbandige Netzwerksysteme im Intranet oder Internet abgerufen und innerhalb von sogenannten Clouds erbracht.
Die Vorteile des Cloud Computing liegen auf der Hand: Firmen, die internetbasierte Services nutzen, können die langfristige Kapitalbindung für eigene IT-Systeme und Ressourcen sowie für die aufwendige Unterhaltung, Wartung und Pflege derselben vermeiden. Unter dem bestehenden hohen Kosten- und Effizienzdruck ist das eine rationelle und verlockende Perspektive. Vorteilhaft ist Cloud Computing auch in Sachen Flexibilität und Aktualität. Der Service-Kunde kann nach Ablauf der Vertragsfrist die Konditionen neu verhandeln und die Verbesserungen am Service-Markt einbeziehen. Er muss die technologischen Neuerungen jedoch nicht mehr selbst einführen, weil dies der beauftragte externe Service-Supplier innerhalb der Cloud für ihn erledigt.
Dem steht allerdings eine Reihe möglicher Nachteile gegenüber. Da Markt und Angebote des Cloud Computing noch reifebedürftig sind, besteht die Gefahr, dass Entscheider die ständigen Neuerungen und Trends falsch einschätzen. Deswegen ist es unabdingbar, sich umfassend über die Angebote zu informieren und diese in eine durchgängige Service Supply Chain einzugliedern. Auch das Argument «Einsparungen durch Cloud Computing» überzeugt nicht durchgehend: Kostenreduktionen sind mit den derzeitigen Modellen und Konzepten nur dann zu erzielen, wenn massgeschneiderte Lösungen entwickelt werden. Ansonsten sind niedrigere Total Cost of Service (TCS) schwerlich zu erzielen und noch schwerer nachzuweisen. Zudem begeben sich Kunden dabei in eine dauerhafte Abhängigkeit von den beauftragten externen Service-Anbietern – wie schon heute bei der Strom- und Wasserversorgung. Ein «Rückholen» der extern beauftragten Service-Erbringung ist später kaum möglich oder nicht mehr wirtschaftlich umsetzbar. Umso wichtiger ist es, dass die jeweiligen Unternehmen zuverlässige und solide etablierte Dienstleister auswählen und beauftragen.
Mit diesen Vor- und Nachteilen vor Augen müssen Unternehmen entscheiden, in welchem Masse sie sich auf Cloud Computing einlassen wollen. Als Grundlage für die Einordnung des Cloud Computing dient das Modell für durchgängige Service-Erbringung gemäss Abbildung 1, in dem die Basisrollen und -beziehungen, die Sequenz der Strategien und die Teilketten der Service Delivery Chain dargestellt sind. Im Zentrum dieses Modells steht der Mitarbeiter einer Business Unit in seiner Rolle als Service-Konsument, der ICT-basierte Business Support Services (ICTBSS) abruft, um seine anstehenden geschäftlichen Aktivitäten auszuführen. Ein abgerufener ICTBSS wird im Rahmen einer Echtzeittransaktion aus bestimmten Service-Beiträgen aggregiert, die aus den Clouds von internen oder externen Service-Anbietern stammen.
Am grössten ist die Abhängigkeit von externen Service-Anbietern beim «Pure»-Modell. Dabei wandelt sich die IT-Abteilung vollends zum unternehmensinternen, rechenschaftspflichtigen ICT Service Provider, der alle erforderlichen Service-Beiträge von externen Service-Suppliern einholt. Er besitzt selbst keins der servicerelevanten ICT-Sys-teme mehr und bezahlt den Lieferanten nur noch die von diesen erbrachten Service-Volumina. Damit wird sein Kapital nicht mehr in eigenen IT-Systemen langfristig gebunden. Diese reinrassige Form kommt besonders für kleine bis mittlere Unternehmen in Frage, die sich von der internen Kapital- und Ressourcenbindung entlasten oder diese von vornherein vermeiden wollen, um sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. Damit stehen sie aber gleichzeitig vor der Herausforderung, eine rationelle, durchgängige und belastbare Service-Lieferkette zu konzipieren. Für primäre Dienstleister ist das einfach, sofern sie verstehen, dass sie das Service-Erbringungskonzept sowohl für ihr Kerngeschäft als auch für das Einholen von ICT-basierten Service-Beiträgen anwenden können. Für reine Sachguthersteller dürfte diese Aufgabenstellung so neu sein, dass sie sich für diese Umstellung externen Rat einholen müssen.
Grossunternehmen mit eigenen IT-Abteilungen werden überlegen und entscheiden müssen, ob und wie sie das langjährig aufgebaute interne Know-how rationell nutzen und ob und wie sie die teuer beschafften hauseigenen IT-Systeme auf Dauer aus der Hand geben. Sie verfügen zwar über die interne Sachkompetenz zu IT-Themen, müssen sich aber grundlegend umorganisieren und sich zum versierten Dirigenten der externen Service-Supplier weiterentwickeln.
Beim Service-Providing-Modell in der «Full»-Variante besitzt die IT-Abteilung selbst alle servicerelevanten IT-Produkte und -Systeme, so dass sie beim Design der Systemumgebung weitreichende Gestaltungsspielräume behält. Voraussetzung ist, dass sie auch die damit verbundene langfristige Kapital- und Ressourcenbindung auf Dauer wirtschaftlich vertreten kann. Gerade kleinere Unternehmen werden sich diesen Aufwand in Zukunft nicht mehr leisten wollen. Das Modell «Blended» spiegelt eine Mischung aus dem Full- und dem Pure-Modell wider. Dabei werden insbesondere netzwerkbasierte Service-Beiträge von externen Netzwerkdienstleistern erbracht – im Weitverkehrsbereich fast unausweichlich, weil kein Unternehmen mit eigenen Mitteln ein überregionales oder globales Datennetzwerk unterhalten kann. Damit übernimmt die IT-Abteilung erste Funktionen eines internen Service-Brokers und überlässt den externen Service-Suppliern das Design der technischen Systeme, die für die Erbringung von deren Service-Beiträgen erforderlich sind. Ein solches Szenario ist sicherlich für eine grosse Zahl an Unternehmen schon jetzt gegeben und in verschiedenen Stufen ausbaufähig in Richtung Pure-Modell.
Ein Sonderfall ist die Variante «Hybrid». Hier erbringt die IT-Abteilung die ICT-basierten Business Support Services (ICTBSS) zum Teil noch mit IT-Systemen oder -Produkten, die den Business Units ihres Unternehmens unmittelbar gehören, zum Beispiel Arbeitsplatz-PCs, Server-Systeme oder Software-Lizenzen. Unter diesen Bedingungen hat die IT-Abteilung nur eingeschränkte Möglichkeiten, die service-relevanten Systeme auszuwählen und zu gestalten. Dies ist in vielen Fällen so gewollt – etwa in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen grosser Unternehmen. Dort möchten die jeweiligen Abteilungsleiter die Oberhand über Entscheidungen wie Betriebssystem- oder Hardware-Auswahl behalten, weil das für hochspezialisierte Tätigkeiten entscheidend ist und kaum wirtschaftlich standardisiert werden kann. Sie verwalten etliche IT-Systeme in Eigenregie und integrieren diese in Abstimmung mit der IT-Abteilung in den unternehmensweiten Sys-temverbund.
Die Planung und Implementierung einer robusten und flexibel nutzbaren Infrastruktur auf der Basis einer geeigneten IT-Strategie verlagert sich zunehmend von der internen IT-Abteilung zu den externen Service-Anbietern. Stattdessen werden die durchgängige Konzipierung der Service Supply Chain und die vorausschauende aktive Steuerung der Service Supplier zur erfolgskritischen Herausforderung und Daueraufgabe für die IT-Abteilung, die sich zum rechenschaftspflichtigen unternehmensinternen ICT Service Provider weiterentwickeln muss. Sie muss die Grundfrage des Service Sourcing «Induce or Supply? – Selbst erbringen oder zubringen lassen?» entscheiden, und der CIO muss sich zum CSO – Chief Service Officer – entwickeln, der seinen Bereich konsequent auf die verlässliche und SLA-gemässe Service-Erbringung ausrichtet und ihn diesbezüglich nachhaltig rechenschaftsfähig macht. Somit ist eine geeignete Service-Strategie für ihn auf Dauer wichtiger als eine ausgefeilte eigene IT-Strategie.
· Hauptvorteile sind das Vermeiden von langfristiger Kapitalbindung bei gleichzeitig garantierter Aktualität der Anwendungen.
· Je nach Unternehmensgrösse sind unterschiedliche Modelle von Cloud Computing sinnvoll oder gar bald unumgänglich.
· Gefahr der dauerhaften Abhängigkeit von externen Service-Anbietern.