Das ABC der IT

Die IT muss heute einfach funktionieren. In zunehmendem Masse sind wir alle auf funktionierende Computer angewiesen. Die IT muss daher als strategischer Vermögenswert geführt werden – eine Nichterfüllung der Kundenerwartungen ist heute keine Option mehr.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/02

     

Je mehr man den Betrieb der IT als Dienstleistung versteht, desto eher erkennt man, dass solch ein Service nur zum Teil mit Technologie zu tun hat. Es ist viel mehr eine primär menschliche Disziplin und bedingt daher noch ganz andere Fähigkeiten, als das blosse Beherrschen von Systemen und Applikationen. Es braucht eine ausgeprägte Kunden- und Serviceorientierung. Schon vor zehn Jahren wurde anlässlich einer internationalen itSMF Konferenz des itSMF (Information Technology Service Management Forum) durch anwesende CIOs deklariert, dass die damals vorherrschende Kultur und das Verhalten in IT-Organisationen massgeblich für das Scheitern bei der Umsetzung von Service-Management-Initiativen galten.


Seit diesem Zeitpunkt hat sich vieles getan. ITIL als Good-Practice-Leitfaden für Service Management wurde international bekannt und zunehmend als wichtig gesehen, um die IT unter Kontrolle zu bekommen. Es erstaunt nun, dass eine kürzlich durchgeführte Studie von itSMF Holland zeigt, dass exakt zehn Jahre nach der ersten Erhebung immer noch 89 Prozent der Befragten die gleichen Faktoren für das Scheitern von Service-Management-Einführungen in IT-Organisationen bezeichnen. Warum hat uns ITIL nicht die erhoffte Lösung gebracht, IT Service Management als strategische Fertigkeit von IT Organisationen zu etablieren? Warum haben wir Probleme damit, das Rahmenwerk so umzusetzen, dass es funktioniert? Nun haben wir bereits ITIL Version 3 – wir dürfen es uns nicht leisten, die gleichen Fehler nochmals zu machen.



Der kritische Erfolgsfaktor

Die IT-Service-Management-Experten Paul Wilkinson und Jan Schilt vom holländischen Beratungsunternehmen GamingWorks BV sind in den vergangenen Jahren diesem Phänomen nachgegangen und haben die sogenannten «Worst Practices» in unterschiedlichen Unternehmen gesammelt. Demzufolge lassen sich die Ursachen für diese «schlimmsten» Praktiken als das «ABC der IT» zusammenfassen: Es sind dies die Art, wie die persönliche Einstellung (Attitude) der IT-Mitarbeiter, das Verhalten (Behavior) in der IT-Organisation sowie die Kultur (Culture) in der IT bei der Umsetzung von IT-Service-Management-Prozessen adressiert werden. Das ABC der IT wird also zum kritischen Erfolgsfaktor von organisatorischen Veränderungsprojekten. Paul Wilkinson und Jan Schilt haben die gemachten Erfahrungen in einem 52-teiligen Kartenset zusammengefasst und jeweils mit einer etwas bissigen, aber doch humorvollen Karikatur illustriert.


Situation in der Schweiz

Wie sieht dies bei uns in der Schweiz aus? Anlässlich einer SwissICT-Abendveranstaltung haben wir seitens Glenfis eine Untersuchung zu diesem spannenden Thema durchgeführt. Die erzielten Resultate mögen nicht repräsentativ sein, sie zeigen aber auf, dass auch wir nach eigener Überzeugung die Service- und Kundenorientierung als noch zu wenig zufriedenstellend umgesetzt haben. Von den 35 anwesenden Teilnehmern haben 18 zugestimmt, dass wir heute in unseren IT-Organisationen zu wenig kundenorientiert sind. Ein grosser Teil der Anwesenden war aber auch der Ansicht, dass die IT-Organisationen ihre Leistungen oft zu stark unterbewerten und sie eigentlich viel besser sind als ihr Ruf.


Dann wollten wir wissen, was denn nach eigenen Erfahrungen die schlimmsten Praktiken in der IT sind. Folgende Missstände der IT wurden als die schlimmsten Erfahrungen identifiziert:


Seit Jahren behaupten wir in der IT, dass wir kundenorientiert sein wollen. Dies wird auch unablässig beschwört und auf Folien dokumentiert. Aber den Folien folgen selten wirklich auch Taten. Die Bedürfnisse der IT-Anwender werden zu wenig ernst genommen.


Noch zu viele Leute in der IT glauben genau zu wissen, was das Beste für ihr Business ist. Man fühlt sich dem Business überlegen. Man traut dem Business nicht zu, die IT-Organisation zu führen und zu steuern.


Auf der entsprechenden Worst-Practice-Karte ist ein CEO abgebildet, wie er dem IT-Leiter Feedback zu der soeben präsentierten IT-Lösung gibt: «Das ist eine brilliante Lösung. Ich wünschte mir, ich hätte ein Business-Problem damit ich dieses nutzen kann…»


Sehr oft werden Lösungen am Business vorbei erstellt, ohne sich mit den wirklichen Bedürfnissen der Kunden auseinander zusetzen.


Oft werden bei ITSM-Implementierungen die Rollen der Prozess-Manager wahllos zugeordnet, ohne sich über deren Bedeutung und Konsequenz Gedanken zu machen. Die damit beglückten Mitarbeiter können das Befolgen der Prozesse aufgrund fehlender Autorität nicht durchsetzen.


Sehr oft sieht man im Tool das Allerheilsmittel. Aber: «A fool with a tool is still a fool». Ein Werkzeug hilft, Arbeitsweisen zu automatisieren. Die Führung und Steuerung von IT-Organisationen kann nie automatisiert werden – und so werden Services eher administriert denn gemanagt.


Die Ergebnisse des SwissICT-Workshops fliessen in eine durch GamingWorks initiierte gesamteuropäische Studie ein und sollen dadurch helfen, das Problem unserer Branche auf breiterer Front zu adressieren.


Was für Auswirkungen hat das diagnostizierte Fehlverhalten für unser Business? Zuerst müssen wir die Auswirkungen unseres Tuns oder auch Nicht-Tuns für das Business verstehen. Die Abbildung zeigt das derzeit konsolidierte Resultat der durch GamingWorks durchgeführten Studie.



Förderung des ABC-Bewusstseins notwendig

Den Teilnehmern des Workshops wurde rasch klar, dass das ABC-Thema für das Gelingen von Service Management Implementationen der eigentliche kritische Erfolgsfaktor ist. Leider wird in der Praxis diesem Aspekt zu wenig Bedeutung zugemessen. Die Barrieren, welche uns daran hindern, kunden- und serviceorientiert zu handeln, müssen sichtbar gemacht werden. Erst dann lassen sie sich gezielt abbauen. Wie man mit solchen Fragestellungen umgeht, wird weder in klassischen Informatik-Ausbildungen noch in den ITIL Seminaren behandelt. Die Rezepte sind aber auch so verschieden, wie es die individuelle Situation in jeder Organisation ist. Eine ABC-Analyse ist der erste wichtige Schritt. Dazu braucht es Mut und Offenheit – es würde jedoch von grosser Reife zeugen, sich dieser Management-Aufgabe zu stellen.

Martin Andenmatten, Gründer und Geschäftsführer der Glenfis AG.




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