Freie Software im Anmarsch

InfoWeek zeigt den Stand der Open-Source-Adoption in der Schweiz und präsentiert eine Marktübersicht zur freien Business-Software
20. Januar 2009

     

Noch nie waren Open-Source-Technologien so einfach verfügbar, reif und relevant wie heute», stellt Bruno von Rotz, Forschungs- und Entwicklungschef beim Open-Source-Spezialisten Optaros im Vorwort zum «Open Source Katalog 2009» fest, der 352 für die Geschäftsinformatik relevante Projekte in vier Softwarekategorien samt Kurzbeschreibung und Bewertung verzeichnet.

Open Source macht vorwärts
Von Rotz steht mit seiner Meinung nicht allein da. Alle bekannten Marktforschungsunternehmen messen freier Software eine wachsende Bedeutung zu, und dies vor allem im Anwendungsbereich jenseits von Office-Alternativen und Linux auf dem Desktop. So postuliert Gartner, spätestens 2010 verzichte kein nennenswertes Unternehmen mehr auf den Einsatz von Open-Source-Software.Die aktuelle Wirtschaftskrise dürfte nur schon wegen der wegfallenden Lizenzkosten und dementsprechend raschem Return on Investment den Open-Source-Einsatz zusätzlich vorantreiben – von professionellen Organisationen entwickelte und unterstützte Lösungen vorausgesetzt.Genau diese Voraussetzung ist bei immer mehr Open-Source-Projekten erfüllt. Open Source ist längst nicht mehr die nebenamtliche Sache von Hobbyprogrammierern, sondern zieht auch das Interesse der klassischen Softwarehersteller und IT-Dienstleister an. Davon zeugen Beispiele wie die Übernahme von MySQL durch Sun, der Kauf von Suse und Sitescape durch Novell, der starke Linux-Fokus von IBM oder die Partnerschaft des IT-Dienstleisters Cambridge Technology Partners mit dem Open-Source-CRM-Hersteller SugarCRM. Und nachdem sich sogar Microsoft, bisher quasi das Synonym für proprietäre Softwarelösungen, mit Initiativen wie der Code-Sharing-Site Codeplex und der eigenen, OSI-zertifizierten Open-Source-Lizenz Microsoft Public License vermehrt der Open-Source-Szene zuwendet, trägt das bisher oftmals vorgebrachte Argument der mangelnden Professionaliät von Open-Source-Projekten nicht mehr.

Kommerz mit Open Source
Auch ein anderes Argument der «Open-Source-Gegner» wird bedeutungslos: Gelegentlich wird moniert, Open-Source-Projekte böten keine langfristige Konstanz – man wisse nicht, ob die Hauptentwickler die Lösung «in fünf Jahren» überhaupt noch aktiv pflegen würden. Dem widerspricht die Tatsache, dass Open-Source-Lösungen heute vielmals von kommerziell tätigen Unternehmen weiterentwickelt oder zumindest gesponsert werden. Die Anbieter von Open-Source-Geschäftslösungen offerieren ihre Software zudem meist in zwei Varianten: Eine völlig freie «Community Edition» lässt sich unter einer Open-Source-Lizenz kostenlos nutzen und wird vor allem via Diskussions-forum durch die Anwendergemeinde selbst unterstützt. Für den missionskritischen Einsatz existiert zusätzlich entweder ein kostenpflichtiges Consulting- und Supportprogramm oder eine zweite, oftmals funktional erweiterte Produktversion mit kommerzieller Lizenz – man spricht dann vom «Dual-License»-Geschäftsmodell oder, erfunden vom CRM-Anbieter SugarCRM, von «Commercial Open Source».Auf der anderen Seite ist auch bei herkömmlich vermarkteten Softwareprodukten keine Garantie für eine jahrelang gesicherte Zukunft gegeben: Hersteller machen Konkurs, werden durch andere Anbieter mit teils bestehenden Konkurrenzlösungen übernommen, und das ursprüngliche Produkt wird nur noch halbherzig gepflegt, in die übrigen Lösungen des Käufers integriert oder gleich ganz eingestellt.

Lob, Skepsis und konkrete Lösungen
Auch wenn die Marktauguren die Zukunft der freien Software in rosigstem Licht sehen: Proprietäre Software wird auch künftig nicht von der IT-Bühne verschwinden. Viele Anwender und IT-Dienstleister stehen dem Open-Source-Modell skeptisch gegenüber und können ihre Zurückhaltung sogar durch konkrete Überlegungen untermauern, wie der Beitrag «Open Source versus Microsoft» auf Seite 28 zeigt: Ein Schweizer Microsoft-Partner mit Erfahrung im E-Government weist anhand von Marktstudien nach, dass der Einsatz proprietärer Software mit mehrfacher zusätzlicher Wertschöpfung bei vor- und nachgelagerten Dienstleistungen einhergeht.Wir lassen aber auch die Open-Source-Bewegung zu Wort kommen: Ein Vorstandsmitglied des Schweizer Open-Source-Anwenderverbands /ch/open plädiert auf Seite 30 für freie Software und bekräftigt seine Ansichten ebenfalls mit handfesten Praxisangaben. Dass die Wahl einer Open-Source-Lösung für einen bestimmten Anwendungszweck auch für ein Unternehmen, das ansonsten ganz auf die Microsoft-Plattform setzt, durchaus sinnvoll sein kann, beweist eine Fallstudie zum Einsatz von Alfresco als Dokumentenmanagementsystem beim Reisedetaillisten Dufry – siehe Seite 32.

Freie Business-Software
Geschäftsanwendungen fristen in der Open-Source-Szene eher ein Nebendasein. Nur gerade ein Prozent aller Open-Source-Projekte widmet sich Business-Lösungen, meint der Begleittext zum Open-Source-Katalog 2009 – das Verzeichnis listet aber dennoch 98 Geschäftslösungen in sechs Segmenten auf. Unsere Marktübersicht zeigt die funktional besten und am meisten verbreiteten freien ERP-, CRM-, DMS- und Business-Intelligence-Lösungen. Es fällt auf, dass alle vorgestellten Lösungen in Form von Webanwendungen umgesetzt sind; optionale native Clients wie bei OpenERP sind die seltene Ausnahme.

- ERP: Quelloffene Warenwirtschaftslösungen sind dünn gesät. Mit Openbravo, Compiere und dem abgeleiteten ADEmpiere sowie den Opentaps-Erweiterungen zur Apache-Geschäftslösung OFBiz stehen aber mehrere ERP-Systeme auf Java-Enterprise-Basis zur Wahl. Dazu kommen Projekte, die auf andere Middleware aufsetzen, zum Beispiel OpenERP (Python), WebERP (PHP), ERP5 (Zope) sowie IntarS (integrierter Application Server). Für Anwendungen mit Schwerpunkt -Finanzverwaltung eignet sich das beliebte Perl-basierte SQL-Ledger.

- CRM: Für die Pflege der Kundenbeziehung gibt es eine ganze Reihe funktional vollständiger Open-Source-Lösungen, allen voran SugarCRM, das seit 2004 als das freie CRM schlechthin gilt und funktional noch heute die Führungsposition besetzt. Das ursprünglich davon abgeleitete, seither aber unabhängig weiterentwickelte vTiger arbeitet ebenfalls auf PHP-Basis. Eine reine CRM-Lösung auf Java-Grundlage bietet die Open-Source-Szene bis heute nicht.

- DMS/ECM: Auch beim Dokumenten- beziehungsweise Enterprise-Content-Management hat sich mit Alfresco ein klarer Favorit heraus-kristallisiert. Auch das ebenfalls auf der Java-Plattform gebaute Nuxeo braucht sich punkto Funktionsumfang, Stabilität und Skalierbarkeit nicht zu verstecken. Neben diesen Enterprise-tauglichen Lösungen gibt es vermutlich mehrere hundert freie Content-Management-Systeme wie Drupal, Typo3 und Joomla, die sich allerdings meist auf die Verwaltung von öffentlichen Websites oder Intranets konzentrieren (WCM) und nur bedingt für das unternehmensweite Inhalts- und Dokumentenmanagement eignen.

- BI: Bei den Business-Intelligence-Lösungen haben wir uns auf komplette BI-Suiten beschränkt, die mindestens serverbasiertes Reporting und OLAP-Analysetools und zum Teil auch Komponenten für das Data Warehousing bieten. Daneben existieren zahlreiche Werkzeuge mit Einzelfunktionen, vor allem im Bereich Reporting.

(ubi)


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