Swiss IT Magazine»: Sie sind seit Ende 2020 bei Selecta als Group CTO tätig und haben in Vergangenheit digitale Transformationsprojekte bei Accenture und Capgemini durchgeführt. War diese Digitalisierungserfahrung einer der Gründe, wieso Sie für den CTO-Posten bei Selecta prädestiniert waren? Welche Bedeutung hat die Digitalisierung bei Selecta?
Roland Ludwig: Bei Selecta ist es dringend notwendig, Digitalisierung voranzutreiben und damit verbunden auch die Durchdringung von Technologie in Prozessen. Wir haben in verschiedenen Ländern schon einzelne Projekte durchgeführt, etwa bezüglich Telemetrie. Aber es gibt sicherlich viel Nachholbedarf, was Digitalisierung, Technologieunterstützung und Automatisierung von Services und Prozessen angeht. Hier ist sicher auch IoT ein wichtiges Stichwort. Wir sehen die Technologie als Schlüsselfaktor, um unsere Effizienz zu heben, unser Geschäftsmodell weiter zu professionalisieren und auszubauen, aber auch um sicherzustellen, dass wir unsere neuen Produkte und Services besser beim Kunden anbieten können.
Und wieso ist die Notwendigkeit zur Digitalisierung so gross?Wir haben drei Hauptgeschäftsbereiche. Der erste ist der klassische Selecta-Automat – so genannte Vending Machines –, wie er etwa an Bahnhöfen steht. Hier kann man mit Karten, Bargeld oder App bezahlen. Das zweite grosse Geschäftsfeld ist das klassische Kaffeegeschäft, das Kaffeeautomaten sowie Zubehör umfasst. Der dritte Bereich, den wir stärker pushen wollen, ist das Thema Smart Fridges und Micro Markets. Mitte März haben wir in Belgien unseren Shop-to-Go angekündigt. Dabei handelt es sich um einen Foodcorner-Bereich, bei dem man sich als erstes über eine App authentifizieren muss, bevor man dann verschiedene Produkte aus einem «Smart Shelf»-Regal oder Kühlschrank nehmen kann. Diese Produkte werden dem Kunden dann automatisch zugerechnet, ohne dass er sie an einer Kasse scannen oder bezahlen muss. Bald soll dieses Konzept auch übergreifend in die Länder gebracht werden. Alle diese drei Geschäftsbereiche müssen sehr gut mit Technologie unterstützt werden. Dabei ist gerade das Thema Data Analytics sehr wichtig. Welche Produkte verkaufe ich? Wo verkaufe ich sie? Wie performen unsere einzelnen Point-of-Sales? Da sind Daten, Transparenz und Analytics aber auch datengestützte Planungsprozesse sehr wichtig für uns.
Wo liegen denn hier konkret die – besonderen – Herausforderungen für die IT bei Selecta?Für uns ist massgeblich wichtig, dass wir so viele Daten wie möglich über die Lieferketten haben. Beim Telemetrie-Projekt ging es beispielsweise darum zu wissen, welche Produkte zu welchem Zeitpunkt in welchem Automaten sind. Das kann man nun remote einsehen. Wir sehen, welches Produkt wann ausverkauft ist, sodass wir im Vorfeld schon planen können, wie oft welche Maschine und Route angefahren werden müssen, um sicherzustellen, um am Point-of-Sale immer alle Produkte vorrätig zu haben. In der Schweiz haben wir die Planung und den dynamischen Routenanfahrtsweg in den letzten Monaten optimiert und nutzen das nun als «Blaupause» für die anderen Länder.
Wie sind Sie bei diesem Telemetrie-Projekt konkret vorgegangen?Zuerst galt es, die Infrastruktur zu schaffen. Wir brauchten Zugang zu den verschiedenen ERP-Systemen, dann haben wir einen Datalake auf Basis von MS Azure Services aufgebaut, mit dem wir alle Umfeldsysteme verknüpft haben, um quasi alle Daten der verschiedenen Telemetrie-Punkte zentral zu erfassen. Im nächsten Schritt haben wir auf dem Datalake mit Hilfe von IT-Logix, einem externen Dienstleister, ein Data Warehouse gebaut, um das operative Reporting und Controlling aufzusetzen. So können wir sehen, welche Route angefahren werden muss, welche Produkte demnächst nachgefüllt werden müssen und wie unsere Verkaufspunkte performen.
Wieso haben Sie sich für IT-Logix als Partner entschieden?IT-Logix ist ein langjähriger Partner von Selecta. Zudem haben wir uns für das Telemetrie-Projekt für ein bestimmtes Produkt entschieden und hier ist uns IT-Logix als Implementierungspartner empfohlen worden. Mir gefallen die Art und Weise, wie IT-Logix sich am Markt positioniert, und ebenso die Art der Zusammenarbeit und die Professionalität.
Und dieses Projekt ist jetzt abgeschlossen?Dieses Projekt haben wir per Ende März abgeschlossen. Wir haben IT-Logix nun aber in Gänze als Implementierungspartner für Analytics ausgewählt, weshalb uns IT-Logix für weitere Analytics-Projekte unterstützen wird.
Welche weiteren Analytics-Projekte stehen denn an?Wir wollen nun mit IT-Logix verstärkt die Auslastung und die Performance unserer «Assets», sprich Point-of-Sales, auf dem Feld angehen.
Vorhin sagten Sie, dass Sie den Geschäftsbereich Smart Fridges und Micro Markets pushen möchten. Was bedeutet das für die IT?Micro Markets sind eine komplett andere Art und Weise des Kundenerlebnisses. Es müssen verschiedene Prozesse im Vorfeld neu definiert werden und auch die Art und Weise, wie die Technologie diese Prozesse unterstützt, musste geändert werden. Ein Beispiel: Man muss sich als Kunde im Vorfeld autorisieren und identifizieren, etwas, das man vom normalen Einkaufserlebnis nicht kennt. Das hört sich relativ einfach an, aber im Hintergrund laufen da eine Vielzahl an Prozessen ab. Man muss sich erstmal registrieren, dann wird ein gewisser Betrag auf der Kreditkarte vorreserviert, was eine Verknüpfung mit den diversen Zahlungsdienstleistern je nach Einsatzort in Europa erfordert. Zudem erfordern die Smart Fridges und Micro Markets eine Vielzahl an technologischen Komponenten und die Technologie muss so professionell sein, dass sie ohne bemannte Station funktioniert. Das heisst, es sind überall Sensoren eingebaut, so dass man den Produktfluss während des Einkaufsprozesses nachvollziehen und die gewählten Produkte sehen kann.
Wie sieht es denn bezüglich Datensicherheit aus bei einem solchen Projekt?Datensicherheit ist hier extrem wichtig und war schon lange bevor wir in die Pilotphase eingestiegen sind ein Thema. Dabei ging es um die gängigen Punkte wie GDPR (General Data Protection Regulation) Compliance. Sprich, weiss der Kunde wirklich zu jedem Zeitpunkt, welche Daten erfasst sind und ist wirklich alles abgebildet? Mit dem Pilotprojekt in Belgien, das nun gestartet ist, erfüllen wir die GDPR-Regeln. Als Kunde hat man jederzeit die Möglichkeit, einzusehen, welche Daten erfasst sind. Die App, die man installieren muss, um das Check-in zu machen, hat klare AGB und es sind Datenschutzrichtlinien definiert.
Sprechen wir noch über die Verantwortlichkeiten. Wie sieht die IT-Organisation von Selecta aus? Wo liegen Ihre Zuständigkeitsbereiche und wie sieht es in den einzelnen Ländern aus?Wir haben uns anfangs überlegt, ob meine Funktion diejenige eines CIO oder eines CTO ist und haben uns dann bewusst für den CTO entschieden, einfach weil die Integration zwischen Applikationen, Systemlandschaft und Maschinen sehr eng verwoben ist. Wir investieren viel in den Bereich «intelligente Verkaufspunkte», die IT ist also sehr stark verbunden mit der «anfassbaren» Technologie. In den Vending Machines sind verschiedene IoT-Geräte integriert, die Daten erfassen und zum Beispiel nachverfolgen können, welches Payment-Terminal für die Bezahlung angesprochen wurde. In meiner Verantwortung liegen die «anfassbare» Technologie und die Schnittstellen in die Applikationen. Sprich der ganze Bereich Telemetrie, die Kernapplikationen in den Ländern, das CRM, Technologie und Verkaufspunkte, das Thema Data & Analytics – also das konzernweite Reporting – sowie die B2B-Digitalplattform. Diese wird aktuell ausgebaut, damit wir unseren B2B-Kunden ein besseres Verkaufserlebnis bieten können. So können sie künftig online ihre Rechnungen einsehen oder ihre Produkte wie etwa Kaffeebohnen bestellen. Das war in Vergangenheit je nach Land ein recht mühsamer, teilweise telefonischer Prozess.
Und wie ist die IT daneben aufgestellt?Wir sind aufgeteilt in zwei Bereiche. Da sind zum einen die Group-Funktionen. Das sind die Mitarbeitenden, die auf Gruppenebene entweder Systemverantwortung haben oder in Projekten für mich tätig sind. Zum anderen gibt es die Länderfunktionen und dort sitzt dann ein Länder-IT-Chef, der die lokal geführte Organisation verantwortet, aber direkt an mich rapportiert, um sicherzustellen, dass wir einen global durchgehenden IT-Service haben. Wir hatten in Vergangenheit wirklich komplett dezentral geführte IT-Organisationen. Das kann man machen, ist aber nicht unbedingt gut. Und deswegen war eine der ersten Herausforderungen bei meinem Stellenantritt vor rund eineinhalb Jahren, ein globales IT-Service-Portfolio aufzubauen – ob Cloud-Services, Workplace-Management-Services oder Netzwerk-Services. Die ersten sechs Monate haben wir die Infrastruktur und das globale IT-Services-Portfolio aufgebaut. Und dann haben wir damit angefangen, ein CRM-System auszurollen. Wir haben 2021 in weniger als sechs Monaten alle 14 Kernländer auf ein neues CRM gehoben. Danach kam das Telemetrie-Projekt, spricht die übergreifende BI- und Analytics-Plattform.
Sie haben von einer dezentralisierten auf eine zentralisierte IT-Struktur umgestellt. Wie unabhängig sind die Länderverantwortlichen dabei in ihren Entscheidungen noch?Wir verfolgen ein Glocal-Modell: Globale Services, die lokal implementiert und umgesetzt werden. Dabei beschäftigt uns in diesem Jahr die Standardisierung der ERP-Systeme, also die Einführung einer Konzern-ERP-Lösung. Aktuell haben wir hier eine extrem heterogene Landschaft, jedes Land hat sein eigenes ERP. Wir sind nun dabei, eine ERP-Lösung auf Basis von Microsoft D365 voranzutreiben. Dazu erarbeiten wir momentan, was die Anforderungen an ein zukünftiges ERP sind, wie die Systemunterstützung aussehen muss und welche Umfeldsysteme wie integriert werden müssen. In der IT ist es sehr wichtig, dass wir zentral Entscheidungen treffen, um sicher zu stellen, dass wir Applikationen konsolidieren und lokale Applikationen durch einen globalen Service ablösen.
Wie gross ist Ihr IT-Team dazu?Intern haben wir etwa 65 Vollzeitstellen auf Gruppen-Ebene. Wir haben sehr viele Services ausgelagert, zum Beispiel das ganze Thema Cloud-Services ebenso wie den IT-Service-Desk. Zudem arbeiten wir mit spezialisierten Systemimplementierungspartner zusammen wie etwa IT-Logix oder Microsoft. Das ganze Thema Architekturdesign sowie Systemspezifikation haben wir intern, die Entwicklung sowie ein grosser Teil des Applikationsbetriebs haben wir ausgelagert.
Haben Sie diese Auslagerungen angestossen?
Das habe ich stark mit vorangetrieben, um das Thema Kosten zu adressieren und Standards einzuführen und sicherzustellen, dass wir das Know-how, wie unsere Applikationen funktionieren und wie wir unser Business bestmöglich unterstützen, intern haben. Entsprechend würde ich den Bereich Systemarchitekturdesign nie auslagern. Für die klassischen Konzernapplikationen haben wir einen Application Manager pro Kernapplikation, der den Betrieb und Konzeption sicherstellt und die Schnittstellen spezifizieren kann.
Sind Sie mit der Grösse Ihres Teams zufrieden respektive können damit arbeiten?
Wir werden sicher Diskussionen über einen Ausbau führen müssen, wenn wir jetzt verstärkt in den B2B- und Analytics-Bereich gehen wollen. Wir bringen aktuell Technologieunterstützung in die Business-Bereiche, wie etwa vorausschauende Planung oder künstliche Intelligenz. Es macht Spass, wenn die IT mit den Datenpunkten, die gesammelt werden, einen erstklassigen Service für unsere Endkunden aufbauen kann. Dazu brauchen wir aber auch die entsprechenden Ressourcen.
Sie haben das Stichwort Künstliche Intelligenz genannt. Wie weit sind Sie bezüglich Einsatz von KI-Lösungen für Ihr Geschäft?
2021 ging es darum, die Grundlagen zu schaffen und sicherzustellen, dass wir genügend IoT-Geräte und Telemetrie-Abdeckung haben, um Daten sammeln zu können. 2022 stehen wir an dem Punkt, dass wir auf der Basis der gesammelten Ergebnisse aufbauen können und über Parameter nachdenken, die über künstliche Intelligenz gesteuert werden. So können wir Informationen, die wir aus den Maschinen auslesen direkt in Tätigkeiten übersetzen. Maschinen könnten dabei künftig beispielsweise einen Stromausfall selbst melden und einen Servicetechniker aufbieten. Dazu müssen wir das Thema Intelligenz beim Planungsalgorithmus viel stärker forcieren. So stellen wir sicher, dass unsere Field Services, also die Mitarbeiter, die die Produkte in den Maschinen nachfüllen und die Techniker, die die Maschinen reparieren, effizienter arbeiten können. Das betrifft auch die Logistik. Welche Produkte müssen in welcher Anzahl und in welcher Reihenfolge an die einzelnen Verkaufspunkte kommen? Hier können wir mit KI eine dynamische Routenplanung machen und die Wünsche der Kunden berücksichtigen.
Welche weiteren Projekte stehen denn noch an 2022? Was möchten Sie oder müssen Sie noch in Angriff nehmen?
Was sehr wichtig ist, ist die Logistikoptimierung. Es gibt in unserer Industrie ein paar Anbieter, mit denen man zusammenarbeiten kann, was die Vorkommissionierung der Ware angeht. Damit der Mitarbeiter, der die Produkte an die Endpunkte bringt, bereits ein vorkommissioniertes Paket bekommt. Da gibt es eine Pre-Kitting-Lösung, die in der Schweiz bereits im Einsatz ist und nun in einigen anderen Ländern eingeführt wird.
Wie sieht denn Ihr Budget aus für alle diese Vorhaben?
Es gibt manchmal ambitioniertere Diskussionen bezüglich verfügbarem Budget, wenn wir ein neues Projekt starten möchten. Aber in den letzten Jahren sind jährlich immer zwischen 12 und 15 Millionen Franken in das Thema Technologie investiert worden. Gleichfalls muss ich aber auch sagen, dass es meine Aufgabe ist, den laufenden Betrieb vom Budget her zu optimieren. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe. Wir investieren in Schlüsseltechnologien, wenn ein Business Case gerechnet ist, der sich über die Gruppe hinweg auszahlt. Aber wir müssen auch sicherstellen, dass die laufenden IT-Kosten wirklich konsequent überprüft werden.
Roland Ludwig
Roland Ludwig startete seine Karriere in der strategischen IT-Beratung bei Capgemini und Accenture, bevor er von 2015 bis 2020 als CIO bei Triumph war. Dort restrukturierte er die globale IT, stärkte den Bereich Omni-Channel Management sowie digitale Vertriebskanäle auf internationalen Handelsplattformen. Seit November 2020 ist er CTO von Selecta und insbesondere für die Digitalisierung, den Ausbau von Telemetrie sowie die Neueinführung einer B2B-Plattform verantwortlich. Neben der langjährigen Erfahrung als CIO und CTO ist er insbesondere bei neuen Geschäftsmodellen sowie dem Ausbau von Partnerschaften mit Start-ups und Technologie-Unternehmen engagiert.
Roland Ludwig ist CTO von Selecta. (Quelle: Selecta)
Zum Unternehmen
Die Selecta Gruppe mit Hauptsitz in der Schweiz ist seit 1957 ein Food-Tech-Unternehmen mit einem Vertriebsnetz für Selbstbedienungs-Lösungen in Europa, das Convenience-Food-Services und Qualitätskaffee-Marken am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum anbietet. Als aktives Food-Tech-Unternehmen treibt Selecta neue Innovationen und Lösungen voran und beliefern täglich mehr als 10 Millionen Menschen in 16 Ländern Europas mit Premium-Kaffee und -Getränken, Snacks und frischen Mahlzeiten. Den Erfolg mit einem Jahresumsatz von
1,2 Milliarden Euro verdankt Selecta seinen circa 7000 Mitarbeitenden.
(abr)