Unter dem Stichwort agiles Projektmanagement wird zurzeit in vielen Unternehmen – auch in Zusammenhang mit der New-Work-Debatte – lebhaft darüber diskutiert, wie diese die Projektarbeit nicht nur effektiver gestalten, sondern eventuell auf ein ganz neues Fundament stellen können. Dabei deutet das Adjektiv agil bereits an, was das Ziel des agilen Projektmanagements ist: Neben der Planung soll auch die Steuerung der Projekte so dynamisch und flexibel wie möglich erfolgen, damit die Innovationskraft und -geschwindigkeit der Unternehmen und die Effizienz und Effektivität ihrer Projekte steigen.
Die wichtigsten Transformationshebel
Als mögliche Hebel, um diese Ziele zu erreichen, werden unter anderem gesehen:
a. Eine inkrementelle (Projekt-)Planung – das heisst: Statt zu Projektbeginn einen detaillierten Projektplan zu entwerfen, wird ein vorläufiger Plan erstellt, der im Projektverlauf fortgeschrieben und abhängig vom Erkenntnisstand modifiziert wird.
b. Eine osmotische Kommunikation – das heisst: Die Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten (Kunden/Lieferanten) erfolgt möglichst direkt, ohne Hindernisse wie Bereichsgrenzen.
c. Sich selbst organisierende Teams – das heisst: Die Projektteams entscheiden selbst, wie sie sich organisieren und ob sie eine Führung benötigen. Sie entscheiden auch selbst, wer wann welche Aufgabe wie erledigt.
d. Eine enge Zusammenarbeit von Fachexperten und Entwicklern (Kunden/Lieferanten) – das heisst: Zwischen ihnen erfolgt ein regelmässiger, kurzzyklischer Austausch über den Stand des Projekts, damit das Verstehen wächst und Fehler früh erkannt werden.
e. Ein iteratives Vorgehen – das heisst: Bereits entwickelte Teile der Problemlösung werden so früh wie möglich an die (firmeninternen) Kunden ausgeliefert und erprobt.
Das Umfeld und die Kultur müssen stimmen
Inzwischen haben viele Unternehmen bereits Erfahrung mit dem agilen Projektmanagement gesammelt. Diese zeigt: Das agile Projektmanagement ist ein sinnvolles Vorgehensmodell, zum Beispiel wenn ein Projekt (oder Unternehmen) in einem sehr diffusen Umfeld angesiedelt ist und die Anforderungen nur schwer erfasst werden können oder sich rasch wandeln oder wenn Experten unterschiedlicher Provenienz sehr eng miteinander kooperieren müssen, um die bestmögliche Problemlösung zu entwickeln. Agiles Projektmanagement hilft zudem, wenn – wie aktuell bei vielen Projekten zu den Themen Nachhaltigkeit, New Work oder digitale Transformation – auch die Projektziele unter Vorbehalt stehen, entweder weil die erforderliche Vorerfahrung fehlt oder die (gesetzlichen) Rahmenbedingungen sich immer wieder ändern.
Keinesfalls ist das agile Projektmanagement aber ein Allheilmittel, denn sein Erfolg hängt unter anderem davon ab, ob das Unternehmen über das nötige Know-how und Personal verfügt, und ob sich die agile Methodik mit der etablierten Unternehmens- und Führungskultur verträgt. Komplexe Change- und Innovationsprojekte sind in der Regel in einen gewachsenen organisationalen Rahmen eingebettet, der durch gewisse Denk- und Verhaltensmuster, also eine bestimmte Kultur geprägt ist. Und mit diesem Rahmen stehen die Projekte in einem interdependenten Verhältnis. Deshalb können sich agile Ansätze in Unternehmen nur entwickeln, wenn zugleich im Umfeld ein entsprechender Lern- und Veränderungsprozess erfolgt.
Deshalb fragen sich viele Unternehmen, die Erfahrung mit den agilen Ansätzen haben, ob es genügt, die Projektarbeit in Richtung einer höheren Agilität zu trimmen, oder ob die gesamte Organisation so strukturiert werden muss, dass sie dynamischer im Markt agiert. Dabei spielt auch die häufigere Zusammenarbeit in virtuellen oder hybriden Teams eine zentrale Rolle, weil seit dem Ausbruch der Coronapandemie unter anderem Mitarbeiter vermehrt im Home Office arbeiten.
Die Abteilungen durch Kreise ersetzen?
Die meisten Unternehmen haben heute noch eine Linienorganisation. Das heisst, dass jeder Mitarbeiter genau einer Abteilung zugeordnet ist, die jeweils einen Leiter hat. Das führt im Unternehmensalltag oft dazu, dass ein Abteilungs- und Bereichsdenken dominiert und viele Schnittstellen existieren. Deshalb fragen sich zurzeit viele Unternehmen, ob es nicht zielführender wäre, zumindest in den Kernbereichen die Arbeit anders zu strukturieren, zum Beispiel in themenbezogenen Kreisen. Das heisst: Die einzelnen Mitarbeiter sind nicht jeweils einer Abteilung zugeordnet. Sie arbeiten stattdessen abhängig von ihrer Funktion in der Organisation in mehreren Kreisen mit, die jeweils ganz konkrete Aufgaben in der Organisation (oder Teilaufgaben in Projekten) haben und in denen sich die Mitarbeiter zusammengefunden haben, die gemeinsam über die hierfür nötige Kompetenz verfügen.
Diese Kreise verfügen über alle nötigen Entscheidungsbefugnisse zum Erfüllen ihrer Aufgaben, wobei die relevanten Entscheidungen stets im Team getroffen werden. Hierzu zählt auch die Entscheidung, ob ein Kreis (zeitlich befristet) eine Führung braucht – und wer diese Funktion übernimmt.
Zwischen den Kreisen besteht in der alltäglichen Zusammenarbeit ein reger Informationsaustausch. Dieser wird unter anderem dadurch garantiert, dass es zwischen den Kreisen personelle Überschneidungen gibt, da jeder Mitarbeiter Mitglied mehrerer Kreise ist. Ausserdem entsenden die einzelnen Kreise bei Bedarf Vertreter in andere Kreise. Die Kreise koordinieren ihre Zusammenarbeit also selbst und reflektieren diese auch regelmässig.
Die meisten Unternehmen haben heute noch Linienorganisationen mit Abteilungen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, die Mitarbeiter je nach Funktion und Kompetenzen in Kreisen zu organisieren. (Quelle: Dr. Kraus & Partner)
Die hierarchischen Strukturen aufbrechen?
Durch eine solche Organisation zumindest der Bereiche, in denen aufgrund der Komplexität der Aufgaben eine sehr dynamische Zusammenarbeit und ein reger Informationsaustausch nötig sind, erhoffen sich die Unternehmen unter anderem Folgendes:
1. Ein Aufbrechen der klassischen hierarchischen Strukturen in ihrer Organisation, so dass das Abteilungs- und Bereichsdenken überwunden wird.
2. Eine höhere Identifikation der Mitarbeiter mit ihren Aufgaben und den zu erreichenden Zielen, weil sie in den Kreisen zwar ihren Fähigkeiten angepasste Aufgaben, aber alle den gleichen Rang und die gleichen Rechte haben.
3. Eine effektivere Zusammenarbeit sowie höherwertige Ergebnisse beim Erfüllen komplexer Aufgaben, weil die involvierten Personen und Kreise unmittelbar miteinander kommunizieren und selbst die für die bestmögliche Lösung erforderlichen Entscheidungen treffen.
4. Eine neue Kultur der Zusammenarbeit, bei der alle am Leistungserbringungsprozess beteiligten Personen mehr Eigeninitiative und -verantwortung zeigen, ohne den Blick für die übergeordneten Ziele zu verlieren.
Führung neu definieren?
In einem solchen, sich weitgehend selbst steuernden System verändert sich auch der Charakter von Führung. Ihre Hauptfunktion besteht darin, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Kreise in der Organisation und die einzelnen Mitarbeiter in den Kreisen ihre Funktion erfüllen können, sowie ihnen die Vision und Strategie zu vermitteln, sodass diese ihre Arbeit hieran orientieren können. Zudem muss Führung die agilen Werte vorleben und die angestrebte Veränderung im Unternehmen vorantreiben.
Inzwischen werden die agilen Prinzipien in einer Reihe von Unternehmen zumindest versuchsweise gelebt. Hierbei zeigt sich immer wieder: Diese Form der Organisation setzt gewisse Kompetenzen bei den Mitarbeitern und Führungskräften voraus. Sie sollten zum Beispiel über eine hohe Veränderungsbereitschaft verfügen und mit Unsicherheit umgehen können. Ausserdem sollte die Unternehmenskultur von einem wechselseitigen Vertrauen geprägt sein und den Kreisen und Mitarbeitern die nötigen Entscheidungs- und Handlungsspielräume zugestehen, um die eigene Arbeit selbst zu organisieren. Beide Faktoren gilt es zu entwickeln, damit die agilen Prinzipien die gewünschte Wirkung entfalten.
Die Autorin
Katja von Bergen arbeitet als Change- und Managementberaterin für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner (K&P), Bruchsal. Sie ist Lead-Trainerin der von K&P angebotenen Online-Weiterbildung zum Agile Coach & Transformation Consultant.
Katja von Bergen, Change- und Managementberaterin bei Dr. Kraus & Partner (K&P) (Quelle: Dr. Kraus & Partner)