Es gibt kaum mehr ein politisches Thema, in dem es nicht zumindest am Rande um die Digitalisierung geht. Wie geht die Politik aktuell mit diesen Themen um?
Petra Gössi: Ich glaubte meinen Augen nicht, als ich Mitte August in der NZZ Online folgende Headline sah: "Bürgermeister verbietet virtuelle Anwesenheit von Pokémons" Nicht, dass ich Pokémon-interessiert wäre – eher im Gegenteil – aber ich machte mich trotzdem gespannt an die Lektüre des Artikels. Nicht in der Schweiz, sondern in Frankreich hatte ein Bürgermeister eine Verfügung gegen die kalifornische Firma Niantic erlassen, um die virtuelle Anwesenheit von Pokémons in seinem Dorf zu verbieten. Dies aus Sicherheitsgründen und weil die Computerspielfirma die Pokémons wahllos, anarchisch und ohne vorher um Genehmigung zu bitten in seinem Dorf angesiedelt
habe.
Diese absurde, aber offenbar wahre Geschichte steht sinnbildlich für den Umgang der Politik mit der Digitalisierung. Zwanghaft wird versucht, die neuen digitalen Gegebenheiten in bestehende Muster zu pressen und bis ins letzte Detail zu regeln. Virtuelle Mönsterchen, welche grundsätzlich nur auf einem Handydisplay existieren – wenn überhaupt von "existieren" die Rede sein kann – sollen den gleichen Genehmigungsanforderungen unterstehen, wie der Aufbau eines Verkaufsstandes auf dem Markplatz. Man versucht, den digitalen Raum über den gleichen Leisten wie den physischen zu schlagen – obwohl diese beiden Sphären grundsätzlich anders funktionieren.
Serie EPDG
Am 29. Juni wurde die Anhörung des Ausführungsrechts zum Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG) abgeschlossen. 2017 soll das Gesetz in Kraft treten. Es stellt grundlegende Weichen für die Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens. Das swissICT Magazin beleuchtet in einer Serie Technologie- und Security-Aspekte des Gesetzes aus unterschiedlichen Blickwinkeln. In dieser Ausgabe beleuchten wir das Thema aus Perspektive der nationalen Politik – mit Nationalrätin und FDP-Präsidentin Petra Gössi.
Zumindest in dieser französischen Stadt hat die Politik die Evolution in eine digitalisierte Zukunft noch nicht so richtig begriffen. Wie sieht es in der Schweiz aus? Ich hoffe, dass kein Bürgermeister in der Schweiz auf die gleiche Idee gekommen ist und wir das französische Beispiel als lustigen Einzelfall abtun können. Aber die Politik muss auch bei uns lernen, digital zu denken und der Versuchung zu widerstehen, Neues in alte Muster zu pressen, um disruptive Technologien zu bändigen.
Der Fahrdienst Uber ist in der Schweiz ein solches Beispiel. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva hat in der Qualifikation von Uber Schwierigkeiten und darum beschlossen, Uber-Fahrer nicht als Selbstständige zu behandeln, sondern als Angestellte von Uber. So passt diese Firma wieder sauber in ein bestehendes Schema. Ordnung herzustellen ist eine schweizerische Tugend, keine Frage. Aber nur Ordnung der Ordnung halber herzustellen, ist nicht die Lösung.
Sollen die Politiker Uber einfach machen lassen?Es geht darum, dass man Innovation nicht abwürgt, denn Ordnung auf Kosten des Fortschritts kann sich ein rohstoffarmer Kleinstaat nicht leisten. Wir müssen den Fortschritt wagen, damit die Zukunft bei uns stattfindet und nicht anderswo.
Immerhin sehen wir hier aber auch einmal mehr einen Vorteil des Föderalismus: In gewissen Kantonen ist Uber erlaubt, während der Fahrdienst in anderen Kantonen verboten ist. Im föderalistischen Labor werden so verschiedene Varianten für den Umgang mit Neuem getestet.
Mit dem EPDG und E-Health werden Bereiche reguliert, die Generationen prägen werden und auch informations-ethische Aspekte aufwerfen. Es geht um personensensitive Daten bei welchen die Datenhoheit und mindestens die Mitbestimmung bei der Datennutzung letztlich beim Patient und Bürger obliegt. Was macht die Politik in diesem Bereich?
Die Digitalisierung fasst im politischen System der Schweiz nur zögerlich Fuss, wie am Beispiel E-Government zu sehen ist. Das EPDG ist ebenfalls einer der ersten zaghaften Schritte in diese Richtung. Insofern ist es eine wichtige Vorlage; wegweisend im Hinblick für zahlreiche weitere Digitalisierungsprojekte. Die FDP hat das Gesetz über das EPDG im Parlament unterstützt. Weitgehend als Rahmengesetz ausgestaltet, legt es die Eckwerte fest, damit der technologische Fortschritt nicht von einem rasch überholten Gesetz blockiert wird. So wollen wir sicherstellen, dass die Schweiz im Bereich E-Health die Fehler des Auslandes nicht wiederholt.
Möglichst offene Systeme sind beim Verabschieden neuer Gesetze für den digitalen Bereich sehr wichtig. Die Zukunftsneutralität solcher Vorlagen ist absolut zentral, wenn wir dereinst die Früchte der Digitalisierung tatsächlich ernten wollen.
Werden diese Forderungen durchkommen? Auch unter Aspekten von möglichst zukunfts-offenen Systemen mit der Offenheit für künftige Adaptionen von neuen, teilweise noch unbekannten Innovationen?
Das ist leider noch keineswegs sicher. Nach den Schlussabstimmungen im Parlament schickte der Bundesrat seine Ausführungsverordnungen in die Anhörung. Wir mussten dort feststellen, dass vom Geist einer liberalen Rahmengesetzgebung nicht mehr viel übrig war.
Diese Verordnungen haben die Tendenz, ein starres System aufzustellen. Die technische Umsetzung wird stark vorgegeben, was ein Einfrieren des Systems zur Folge haben könnte und so Innovation verhindert. Die FDP verlangt deshalb eine Überarbeitung der Verordnungen in Richtung eines lebenden Systems: Es soll also nicht vorgeschrieben werden, wie gewisse Aufgaben erledigt werden sollen, sondern welche.
Ist die Regulierung und Politik also teilweise eher zu detailversessen und zu starr unter dem Aspekt der Digitalisierung?
Gerade im technisch-digitalen Bereich kann das Gesetz nicht alles im Detail regeln – die Geschwindigkeit der Veränderungen ist deutlich höher, als die Mühlen des Parlamentes in Bern mahlen. Die Offenheit für Neues und für Innovation ist für unser Land zwingend, wenn die Zukunft auch hier stattfinden soll. Es braucht daher liberale Lösungen, statt Ordnung um jeden Preis. Vom Gesetzgeber und der Verwaltung verlangt dies weniger Perfektionismus, was nicht zuletzt bedeutet, den Mut zur Lücke zu wagen.
Petra Gössi
Petra Gössi (* 12. Januar 1976) hat an der Universität Bern Rechtwissenschaften studiert und in Luzern ein Nachdiplomstudium im Bereich Wirtschaftskriminalität absolviert. Heute arbeitet sie als Juristin im Bereich Unternehmensberatung. Sie wurde 2011 für den Kanton Schwyz in den Nationalrat gewählt und ist seit April 2016 Parteipräsidentin der FDP.Die Liberalen Schweiz.