Der richtige Mist fürs Kleinvieh
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/11
Das Staatssekretariat für Wirtschaft, besser bekannt als seco, spricht von einer "erdrückenden Mehrheit" - die Rede ist von der Grössenstruktur der insgesamt 306'871 in der Schweiz tätigen Unternehmen. Das Erdrückende daran: 99,7 Prozent sind nach den Masstäben, die auch die EU anlegt, sogenannte Kleine und Mittlere Unternehmen oder eben KMU mit maximal 250 Mitarbeitern.
Forscht man etwas tiefer, stellt man eine weitere erdrückende Übermacht fest: An den KMU haben die Mikrounternehmen den Löwenanteil - 87,9 Prozent aller Unternehmen kommen mit weniger als zehn Beschäftigten aus. Kleinunternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern schlagen mit rund 10 Prozent zu Buche; alle grösseren Firmen teilen sich die restlichen 2,1 Prozent des Kuchens.
Auch arbeitsmarktlich sind die KMU bedeutend. Mikro-, Klein- und Mittelunternehmen (bis zu 250 Personen) schaffen zusammen 1,46 Millionen Arbeitsplätze; die Gesamtheit der Grossunternehmen mit über 250 Mitarbeitern trägt knapp über eine Million Stellen bei. In dieser Betrachtung nicht berücksichtigt ist allerdings die Tatsache, dass manch ein KMU wohl nur dank der Aufträge grösserer Unternehmen überhaupt lebensfähig ist - das aber nur am Rande.
Mir geht es vielmehr um den Umgang der IT-Hersteller mit den KMU-Kunden. Es fällt auf, dass Anbieter wie Oracle, SAP und IBM, die früher für Grösstlösungen zu Höchstpreisen bekannt waren, nun immer mehr "Entry-Level"-Produkte offerieren. Da gibt es ein Websphere Express, eine Oracle Small Business Suite - typischerweise nicht von Oracle selbst, sondern von einem Drittunternehmen als Outsourcing-Lösung betrieben - und ein SAP Business One. Auch Komplettbundles mit Hardware, Software und Consulting wie die Einstiegs-Portale von Sun und Broadvision sind vermehrt en vogue.
Der Industrietrend zur "kleineren" Lösung ist lobenswert - auch eine Firma mit wenigen Angestellten kann von CRM, E-Business und 3-Tier-Modell profitieren. Allerdings kommen die meisten derzeitigen Angebote an die Bedürfnisse der "K" unter den KMU nicht wirklich heran: Für ein Unternehmen mit zehn, zwanzig Mitarbeitern ist selbst eine IT-Investition von einigen zehntausend Franken immer noch jenseits der Erschwinglichkeitsgrenze.
Ausserdem specken die Hersteller oft schlicht die bestehenden Lösungen etwas ab. Von Grund auf neu entwickelt wird selten, oder dann so, dass unfertige Produkte vorzeitig auf den Markt kommen und die zahlenden Kunden zu Betatestern werden. Die Alternative zur abgespeckten Enterprise-Lösung: Der Bottom-Up-Approach. Man nutzt weiter die bewährten, auf den KMU-Bedarf zugeschnittenen Pakete und vereint sie mit etwas Entwicklungsarbeit zu einer Gesamtumgebung, die den meisten aktuellen Anforderungen genügt. Zahlreiche Produkte der traditionellen Art sind heute mit Optionen wie Web-Access und Clients für Mobilgeräte erhältlich; der Integrationsaufwand ist oft nicht grösser als bei angeblich voll integrierten Komplettlösungen. Noch günstiger, nämlich gratis, kommt die Beschaffung von Open-Source-Software. Dabei steigt aber der Entwicklungsaufwand, da OSS-Projekte meist nicht pfannenfertig daherkommen - die eigene Weiterentwicklung ist ja einer der Grundgedanken der Open-Source-Bewegung.
Fazit: Man prüfe, bevor man sich ewig bindet. Aspekte wie Anschaffungskosten, Integrationsaufwand und In-House-Know-how, sowohl ein Kostenfaktor als auch ein Konkurrenzvorteil, sollten bei der Evaluation einer Softwareumgebung sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
(ubi)