Der Service-Bus zur Endstation SOA


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/01

     

Auf dem Weg zu einer Service-orientierten Architektur führt kein
Weg an der Implementierung eines Enterprise Service Bus vorbei.


CIOs und IT-Projektleiter in grossen und mittleren Unternehmen stehen auch 2006 vor der Herausforderung, Kosten zu senken und gleichzeitig die Flexibilität ihrer Systemarchitekturen zu erhöhen. Sie werden sich deshalb noch intensiver als in den vergangenen Jahren mit der Umsetzung und dem Ausbau von Service-orientierten Architekturen (SOA) beschäftigen (müssen).
Spezialisten und Berater weisen in der Regel darauf hin, dass SOA primär eine Business- und Management-Angelegenheit ist. Sie haben insofern recht, als zu Beginn eines SOA-Projekts eine möglichst umfassende Geschäftsprozessanalyse durchgeführt werden muss. Allerdings stellt sich dann ziemlich schnell die Frage, was wie und in welcher Reihenfolge technisch umgesetzt werden soll – und kann.
Für die Analysten von Forrester Research ist die Antwort eindeutig: Die führende Technik für die Imple­mentierung einer SOA ist der sogenannte Enterprise Service Bus (ESB). In ihrer jüngsten Studie zum Thema, «The Forrester Wave: Enterprise Service Bus, Q4 2005», liefern die Autoren Mark Gilpin und Ken Vollmer folgende Definition: Ein ESB ist eine Infrastruktursoftware, die wiederverwendbare Softwareservices Anwendern, Applikationen und anderen Services zur Verfügung stellt.


Der ESB als Vermittler

Ein ESB leistet dies, indem er zwischen Services vermittelt. Durch erweiterte Konnektivität, beschleunigte Änderungsmöglichkeiten und stärkere Kontrolle über den Gebrauch der Ressourcen, die er zur Verfügung stellt, verhilft er Unternehmen dazu, den Wert einer SOA überhaupt zu realisieren.
Gemäss den Forrester-Leuten, die den ESB-Markt als «heiss» einstufen, hat sich dieser aus zwei vorgängigen Feldern entwickelt – aus dem EAI-Markt (Enterprise Application Integration) und aus der Web-Services-Infrastruktur:


• EAI ermöglichte die Integration auf der Basis von Message-orientierter Middleware. Als Antwort
auf die SOA-Welle haben nun IBM, Sun Microsystems nach der Übernahme von SeeBeyond im Juni 2005, Tibco Software, WebMethods und die anderen führenden EAI-Anbieter Funktionen für die
Unterstützung von Web Services hinzugefügt. IBM etwa hat kürzlich WebSphere ESB angekündigt. Da die Software zum Zeitpunkt der Studie noch nicht verfügbar war, wurde sie von Forrester nicht in den aktuellen Produktevergleich miteinbezogen.


• Die Web-Services-Infrastruktur andererseits ist ziemlich fragmentiert, beinhaltet aber einige Elemente, die auch zu einem ESB gehören. Denn da ein ESB mehr als nur Integrationsfunktionen bietet, kann er auch über Sicherheits-, Verwaltungs- und Registraturfeatures verfügen, die aus dem Feld der Web-Services-Infrastruktur stammen. Forrester gibt aber zu bedenken, dass es in diesem Web-Services-Infrastrukturmarkt ziemlich brodelt, das heisst, es wimmelt hier von unterschiedlichsten Lösungen mit teilweise sich überlappenden Grenzen und Funktionsumfängen.
Aufgrund der Befragung von 116 US-amerikanischen Entscheidungsträgern in grossen und mittleren Unternehmen schätzt Forrester, dass gut ein Drittel gedenkt, einen ESB zu implementieren oder den ESB-Einsatz massiv zu erweitern. Laut der Studie schälen sich dabei zwei Anwendergruppen heraus: einerseits diejenigen, die einen ESB-Einsatz «einfach und überschaubar» (keep it simple) halten möchten und andererseits jene, die eine «ich will alles sofort»-Strategie verfolgen.


Keep it simple

Die «keep it simple»-Fraktion erwartet dabei folgendes von einem ESB:


• Eine verglichen mit EAI einfachere und kostengünstigere Integration. Obwohl viele Unternehmen erfolgreich EAI und BPM (Business Process Management) umgesetzt haben, mussten nicht wenige doch Millionen dafür ausgeben, ohne damit die erhofften Ziele zu erreichen. Vor allem diese «gebrannten Kinder» vertreten jetzt den «keep it simple»-Standpunkt im Hinblick auf die Implementierung eines ESB.


• Unterstützung für Service-Orchestrierung. Die meisten Firmen, die von Forrester über den Einsatz eines ESB im Rahmen eines Evaluations-Projekts befragt wurden, wünschen sich eine solche Unterstützung. Sie erhoffen sich dadurch eine relativ einfache Komposition von grob granularen Services aus fein granularen. Diese Unternehmen setzten zumeist bereits Service-Orchestrierungstools und BPEL-basierte (Business Process Execution Language) Laufzeit-Umgebungen ein. Sie nutzen einfach auszuführende Prozessmodelle, um ihre Flexibilität zu steigern. Denn es ist einfacher, ein Modell zu ändern als den Code in einem Service.


• Das Kernstück für die künftige Unterstützung des Service-Life-cycle. Die «keep it simple»-Fraktion will möglichst schlanke und plug-and-play-mässige Service-Lebenszyklus-Lösungen und nicht eine umfassende Umgebung («von der Wiege bis zur Bahre»), die alles beinhaltet, was sie vielleicht irgendwann einmal brauchen könnten (oder eben nicht).


Ich will alles – jetzt

Die «ich will alles jetzt»-Gruppe ihrerseits stellt in der Regel folgende Ansprüche:


• ESB-Funktionalitäten innerhalb ihrer breiten Plattform-Strategie, sei dies eine Applikations-Umgebung oder eine Integrations-Suite.


• Erweiterte Unterstützung des Service-Lifecycle. Während die «keep it simple»-Fraktion bloss weiss, dass sie Service Lifecycle-Management möchte, weiss diese High-end-Gruppe ganz sicher, dass sie dies wirklich will – und zwar jetzt. Leider genügen auch die wichtigsten Plattform-Lösungen diesem Anspruch nicht voll und ganz. Allerdings bieten sie weit mehr als die leichtgewichtigen Lösungen für die «keep it simple»-Vertreter.


• Die Unterstützung zumindest von Teilen einer umfassenden BPM-Lösungen (Business Process Management). Die «ich will alles jetzt»-Leute arbeiten mit BPM
und beschränken sich nicht nur
auf Service-Orchestrierung. Viele dieser Unternehmen stellen
zudem zusätzliche Ansprüche
und verlangen Funktionen für Prozess-Simulation, -Monitoring und -Optimierung.


Was alle wollen

Schliesslich ist beiden Anwendergruppen gemeinsam, dass sie die volle SOA-Unterstützung und Support für offene Standards verlangen:


• Verschiedene Integrationslösungen unterstützen SOA in unterschiedlichem Mass. Unternehmen auf der Suche nach einem ESB wollen in der Regel so viel SOA-Unterstützung wie möglich. Angesichts der Tatsache, dass sich die entsprechende Technologie immer noch im Entwicklungsstadium befindet, führt dies aber oft zu einer Vielfalt an pragmatischen Kompromissen. Doch auch wenn solche Kompromisse kurzfristig akzeptiert werden, wollen die ESB-Kunden, dass eine breite SOA-Unterstützung so schnell wie möglich geboten wird.


• Anders als bei frühen EAI-Lösungen, die noch auf rein proprietären Technologien aufbauten, ist der Ausdruck «offene Standards» heute kein klares Unterscheidungskriterium mehr, da die meisten Anbieter solche Standards in der einen oder anderen Form unterstützen – man denke nur an die Web-Services-Standards.
Aus den unterschiedlichen Ansprüchen der beiden Anwendergruppen leitet Forrester seine Grobsegmentierung des ESB-Marktes in «ESB Suites» (schlanke Suiten) und «Comprehensive ESB Suites» (umfassende Suiten) ab. Allerdings geben die Autoren zu bedenken, dass bei gewissen Unternehmen durchaus in verschiedenen Abteilungen beide Käufergruppen aktiv sein können – wie viel Sinn das macht, bleibe dahingestellt.


Schlanke und umfassende ESB-Suiten

Forrester definiert die schlanken Suiten als ESBs mit optionalen Komponenten für Service-Orchestrierung, Service-Management und Zusammenarbeit mit Partnern. Diese Suiten haben sich aus der Web-Services-Infrastruktur oder aus relativ schlanken Messaging-Produkten heraus entwickelt und nicht aus Integrationssuiten. Hier sind laut Forrester preis /leistungsmässig Cape Clear, Fiorano, die zu Progress gehörende Sonic Software sowie BEA Systems mit dem schlanken ESB Aqualogic Service Bus führend – gefolgt von IONA Technologies und PolarLake.
Die umfassenden Suiten sind laut Forrester Integrationspakete, die sämtliche ESB-Features beinhalten und Unterstützung bieten für Human Workflow, vertikale Industrielösungen, Portale, Regel-Engines und vieles mehr. Sie haben sich aus dem EAI-Umfeld heraus entwickelt und beinhalten zusätzlichen SOA-Support. Hier sieht Forrester Oracle allein an der Spitze, gefolgt von BEA Systems, Sun Microsystems, Tibco und WebMethods.




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