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Ist erfolgreiches CRM eine «Mission Impossible»?

Es gibt kaum mehr ein Unternehmen, welches nicht von sich behauptet, «kundenorientiert» zu sein. Marc Sturzenegger, Partner, stimmt AG, Zürich

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/16

     

In jedem Lehrbuch ist nachzulesen, dass die Akquisition von Neukunden teurer zu stehen kommt als die systematische Pflege des bestehenden Kundenstamms. Mit dem Übergang vom Verkäufer- zum Käufermarkt werden die Kundenbeziehungen als «wichtigste strategische Assets» identifiziert. An guten Intentionen, vernünftigen Visionen und Strategien mangelt es nicht – an der konsequenten Übersetzung dieser Strategien in entsprechende Kundeninteraktionen aber sehr wohl.


CRM Euphorie oder Ernüchterung?

Die Software-Industrie hat den CRM-Trend schon frühzeitig erkannt und entsprechende Anwendungen auf dem Markt gebracht. Die Versprechungen klangen verlockend: Mit Hilfe einer CRM-Applikation könnten sämtliche Kundeninformationen zentral gespeichert bzw. abgerufen werden. Die Mitarbeitenden an der Front hätten jederzeit einen vollständigen Überblick über die bestehenden Geschäftsbeziehungen und die individuellen Kontakthistorien. Mit Hilfe «intelligenter» Statistik-Module könnten sogar Responsewahrscheinlichkeiten, Verkaufspotenziale und Absprungrisiken der Kunden erkannt werden.
Die Bilanz fällt nach erfolgter Implementierung vielerorts eher ernüchternd aus. Die CRM-Applikationen wurden von der Front nicht benutzt oder sogar aktiv umgangen, die eingepflegten Informationen liessen sich nicht systematisch auswerten, die erhofften Mehrumsätze infolge Cross- und Up-Selling stellten sich nicht ein. Ist die Mission CRM daher als gescheitert zu betrachten? Ja und nein. Entscheidend ist, wie die geplanten Kundenstrategien mit Unterstützung einer CRM-Applikation ins Tagesgeschäft übersetzt werden.
Eine wichtige Erkenntnis wurde bereits frühzeitig gewonnen: Mit einer Applikation allein lässt sich ein Unternehmen noch nicht auf «Kundenorientierung» trimmen. Eine Fokussierung auf Kundenbedürfnisse geschieht nicht einfach über Nacht mit der Einführung von CRM-Software. Das ganze Unternehmen und sämtliche Prozesse müssen auf die Bedürfnisse der Zielgruppen ausgerichtet werden. Dies führt von der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung über die Fortbildung und Anreizsysteme der Frontmitarbeiter bis zum Kundenservice. CRM-Applikationen können nur auf einem fruchtbaren Nährboden einer kundenorientierten Produkt-, Personen- und Prozesslandschaft gedeihen. Solange diese Hausaufgaben nicht erledigt sind, wird CRM wirklich zu einer «Mission Impossible».


Verkannte Probleme, Herausforderungen und Stolpersteine

1. CRM-Systeme werden oftmals technologiezentriert anstatt benutzerzentriert konzipiert und implementiert


Es werden zwar Anforderungen der Business-Verantwortlichen abgeholt, die Workflows der unterschiedlichen Nutzergruppen werden jedoch kaum systematisch, d.h. in deren individuellen Arbeitskontext erfasst. Es entstehen «one-size-fits-all» Benutzerschnittstellen, obwohl ein Mitarbeiter im Call Center ganz andere Anforderungen an das System hat, als etwa ein Kundenberater im Aussendienst. Nur wenn die Arbeitsabläufe der Benutzer richtig verstanden werden, können die entsprechenden Anforderungen in ein intelligentes Nutzungskonzept überführt werden, welches wiederum die Basis für eine geeignete Informations- und Interaktionsarchitektur darstellt. Niemand muss sich im Nachhinein wundern, dass die Frontmitarbeitenden die Software ganz anders nutzen, als eigentlich geplant war oder sich sogar gänzlich verweigern. Ein Hauptproblem für eine mangelhafte Benutzerakzeptanz liegt häufig darin, dass die Anwender das System «füttern» sollen, anstatt umgekehrt das System die Benutzer mit wertvollen Informationen und Handlungsanweisungen versorgt. Aus der Optik des Unternehmens handelt es sich beim Einpflegen von Kunden- und Kontaktinformationen um eine Bringschuld der Frontmitarbeitenden (schliesslich will man ja vermeiden, dass das implizite Kundenwissen mit den Frontmitarbeitenden das Unternehmen verlassen könnte). Eine Erfolg versprechende Implementierung einer CRM-Applikation setzt sich zum Ziel, die Frontmitarbeitenden in deren täglichen Arbeit zu unterstützen. Wenn die Applikation es schafft, den Frontmitarbeitenden effizienter (schnellere Verarbeitung von administrativen Aufgaben oder eine raschere Vorbereitung auf Kundentermine) und gleichzeitig effektiver (Erkennen sämtlicher Verkaufspotenziale, zeitgerechtes Nachfassen etc.) zu machen, wird die CRM-Lösung auch gerne benutzt werden. Es handelt sich somit mehr um eine Bringschuld des Unternehmens, das Verkaufs- und Servicepersonal in denjenigen Aufgaben zu unterstützen, die zu einer Erhöhung der individuellen Zielerreichung führt.






2. Standardsoftware führt zu einem unstandardisierten Verkaufsverhalten der Frontmitarbeitenden




Klingt paradox, ist aber immer wieder zu beobachten. Die Benutzeroberflächen von Standardsoftware weisen oft eine gewisse Beliebigkeit auf. Verständlich, müssen doch unterschiedliche Benutzergruppen mit demselben Interface auskommen. Diese Beliebigkeit der Oberfläche für dazu, dass jeder Anwender seinen eigenen Weg durch die Applikation sucht und sich in der Folge unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten einschleifen. Wichtige Kundeninformationen werden mal strukturiert, mal unstrukturiert, wenn möglich sogar an unterschiedlichen Orten erfasst. Gewisse Routine-Checks während des Verkaufsgesprächs (z.B. Verfügbarkeit regulatorisch notwendiger Dokumente) werden mal durchgeführt, mal nicht. Resultat: Die Kundeninformationen machen nur für denjenigen Sinn, der sie auch eingegeben hat und können kaum sinnvoll zentral ausgewertet werden. Zusätzlich wird die vom Kunden erlebte Interaktion mit dem Unternehmen sehr inkonsistent. Es kann keine systematische Gestaltung der «Customer Experience» erfolgen.






3. Die Benutzerschnittstelle widerspiegelt das zugrunde liegende Datenmodell anstatt die firmenspezifische Verkaufsphilosophie



Jeder Anwender «lernt» mit dem zur Verfügung gestellten CRM-Tool etwas über das Unternehmen. Zitat eines Anwenders: «Im Verkaufstraining wurde uns eingepaukt, wie wichtig die Customer Retention für den langfristigen Unternehmenserfolg ist. Die Applikation meldet mir jedoch nur Verkaufsergebnisse zurück und unterstützt mich kaum in der proaktiven Betreuung von bestehenden Kunden». Eine geplante und systematische Sales Experience der Kunden basiert auf entsprechend trainiertem Verkaufspersonal. Mitentscheidend ist jedoch der Umstand, dass das richtige Verkaufsverhalten nicht nur gelernt wird, sondern dass die Benutzerschnittstelle des CRM-Systems die entsprechende Verkaufsphilosophie repräsentiert. Das Tool muss die trainierten Verhaltensweisen im Alltag wirkungsvoll und systematisch unterstützen. Ein beratungs- und lösungsorientierter Verkaufsansatz benötigt ein anderes Informations- und Interaktionsdesign der Benutzer-
oberfläche als eine produktorientierte Verkaufsphilosophie. Befindet sich der potenzielle Kunde in einem «Evaluations-Modus», ist es nicht zielführend, auf einen Abschluss zu drängen. Ist ein konkretes Angebot jedoch unterbreitet worden, kann die Entscheidungsfindung unterstützt werden, wenn der Verkäufer nachfasst und damit signalisiert, dass er am betreffenden Kunden wirklich interessiert ist. Eine intelligente Implementierung einer CRM-Applikation trägt diesen Umständen Rechnung und bietet dem Kunden je nach Phase des Entscheidungsprozesses ein passendes Informations- und Interaktionsangebot an.



CRM-Interface muss gleichzeitig die Anforderungen des Unternehmens, der Anwender und der Kunden abbilden


Fazit

Um gleichzeitig dem Unternehmen, den unterschiedlichen Anwendergruppen sowie auch den Endkunden einen substanziellen Mehrwert bieten zu können, müssen sämtliche Anspruchsgruppen von Beginn weg in die Konzeption einer CRM-Applikation miteingebunden werden. Nicht die Technologie soll den Entwicklungsprozess prägen, sondern der Mensch. Auf dieser Basis wird auch ein erfolgreiches CRM zu einer «Mission Possible».




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