IT Realities: Wir gehen logisch vor... bis zum Chaos!
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/07
Anschaulich scheint der vorgesehene Projektverlauf. Einleuchtend, ganz klar. Einwände werden nicht geduldet. Ein detailliertes Projektmanagement? Der Einsatz eines Tools? Das ist doch was für Anfänger, ein lästiges Korsett. Erfahrene Könner brauchen so was nicht, lässt sich aus Chefetagen oft noch vernehmen. Noch immer wird ein grosser Teil der Informatikprojekte nach Gutdünken abgewickelt - garniert mit Schlagworten wie Effizienz, Speed to market und Ganzheitlichkeit. Welche Stolperdrähte sich die Projektverantwortlichen damit selber spannen, erfuhr ich wieder einmal, als ich vor einigen Tagen in einem Bündner Gipfelrestaurant auf einen alten Bekannten stiess - einen Informatiker. Der Verlauf des Projekts, auf den er gleich zu sprechen kam, erwies sich als exemplarisch.
Zu Beginn hatte alles übersichtlich ausgesehen, erzählte mir Roger, während aus seiner Tasse eine Dampfwolke emporstieg. Der Zeitrahmen, den der Kunde für das gross dimensionierte Internetprojekt vorgesehen hatte, war knapp, aber durchaus realisierbar. Das Entwicklungswerkzeug, das dabei zum Einsatz kommen sollte, stammte schliesslich von einem renommierten Hersteller und versprach eine erhebliche Arbeitseinsparung. Die SQL-Datenbanken, in denen komplexes medizinisches Wissen gespeichert war, verkörperten zudem einen bekannten Standard. Und so drängte der Projektleiter auf einen sofortigen Arbeitsbeginn - ohne sich zu vergewissern, ob der Code, den das Entwicklungswerkzeug produzierte, bis ins Detail mit den Formaten kompatibel war, die in den Datenbanken Verwendung fanden.
Als sich dann bei den Testläufen unerklärliche Fehlermeldungen häuften - der Ablieferungstermin war bereits in bedrohliche Nähe gerückt -, schien die Zeit zu knapp, um einen Neubeginn zu wagen und das Konzept zu ändern. Der naheliegendste Schritt? Improvisieren. Oder Basteln, auf gut Deutsch ausgedrückt. Nun kam tatsächlich eine Lösung zustande, die den externen Benutzern einigermassen brauchbare Resultate lieferte. Zumindest im Normalfall. Umso grösser waren die Schwierigkeiten auf der Systemseite. Die verlangten Statistiken liessen sich nicht erstellen. Und wenn mit viel Mühe auf den neuesten Stand gebrachte Datenstämme eingespielt werden sollten, brach das System den Vorgang regelmässig ab. Das Ende der Geschichte habe ich nicht erfahren. Roger befand sich auf einem Betriebsausflug und wechselte abrupt das Thema, als er seinen Chef auftauchen sah.
Ich trat die Abfahrt in der ruhigen Gewissheit an, dass wir mit dem Beschluss, in unserem Betrieb für jeden Auftrag ein strukturiertes Projektmanagement vorzuschreiben, den richtigen Weg eingeschlagen hatten. Unsere ersten Projekt wickelten wir vor Jahren zwar noch ab, wie es uns eben richtig schien. Wir waren eine überschaubare Mannschaft, aufeinander eingespielt, und vieles konnte im letzten Moment entschieden und umgesetzt werden. Doch die Zahl der Projekte wuchs und mit ihnen die Firma. Und damit ergab es sich von selbst, dass detaillierte Planung unausweichlich wurde.
Die Begründung ist einfach. Nur allzu leicht scheint das Nächstliegende das Richtige zu sein, doch kann damit der Blick für die Gesamtzusammenhänge verlorengehen. "Wir verhalten uns ganz logisch", wiegen sich die Verantwortlichen in einer falschen Sicherheit. In der Tat sind vor allem Internetprojekte wie Eisberge: Der unsichtbare Teil überwiegt die sichtbare Spitze bei weitem. Wenn sich Faktoren wie Funktionalität oder Layout in den Vordergrund drängen, kommen zentrale Aspekte wie Systemarchitektur, Skalierbarkeit oder Geschwindigkeit zu kurz. Die Fehler zeigen sich oft erst im produktiven Einsatz. "Wer bei der Planung versagt, plant sein Versagen", heisst deshalb einer der Leitsätze in unserem Betrieb.
Ein straffes Projektmanagement bildet das Gerüst für eine übersichtliche Strategie und erweist sich erst recht von Vorteil, wenn der Kunde Änderungswünsche vorbringt. Erbrachte Leistungen lassen sich nun exakt dokumentieren, und der zusätzliche Aufwand kann problemlos bestimmt werden.
Schränkt ein konsequentes Projektmanagement nicht die Kreativität ein? Im Gegenteil, es ist Bedingung dafür: Erst klare Strukturen schaffen den Freiraum, in dem sich auch ungewöhnliche Ideen entfalten können.