Einbürgerung für ERP-Software

Die Anpassung von Open Source Software an lokale Gegebenheiten ist selten trivial. Es lohnt sich aber, wie Leanux.ch mit SQL-Ledger zeigt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/08

     

Im Jahre 2005 haben wir uns auf die Suche nach einer ERP-Lösung gemacht. Ursprünglich wollten wir die bestehende Finanzbuchhaltung (Closed Source) eines renommierten Schweizer Unternehmens ausbauen. Also haben wir eine entsprechende Offerte für die Module Finanzbuchhaltung, Debitoren, Kreditoren, Einkauf, Verkauf, Lager und Fremdwährungen für 12 Personen an zwei Standorten und der Möglichkeit, von Zuhause aus auch auf das ERP-System zugreifen zu können, eingeholt. Aus der Offerte war aber ersichtlich, dass bereits die Lizenzkosten für alle Module und lediglich vier Benutzer mehrere zehntausend Franken betragen.






Diese hohe Summe hat uns dazu bewogen, eine schlanke und kostengünstige ERP-Lösung zu suchen, wobei eine Eigenentwicklung nie ein Thema war. Die Lösung sollte auf der einen Seite intern eingesetzt und auf der anderen Seite auch anderen Firmen angeboten werden können.
Nach einer sechsmonatigen Evaluations-Phase, in der wir verschiedene Produkte angeschaut haben, entschieden wir uns für SQL-Ledger.
SQL-Ledger ist eine lizenzkostenfreie Open-Source-ERP-Lösung, mit deren Entwicklung die Firma DWS im Januar 1999 begonnen hat. SQL-Ledger beinhaltet Module zur Finanzbuchhaltung, für Debitoren, Kreditoren, Auftragsbearbeitung, Lagerverwaltung, Stücklisten, Offerten- und Einkaufswesen, Kassensysteme, Fremdwährungen und Projektzeiterfassung. SQL-Ledger ist zur Zeit in 30 Sprachen verfügbar, darunter auch Deutsch, Italienisch, Französisch und Englisch, und ist mandantenfähig.


Warum SQL-Ledger?

Damit eine weltweit eingesetzte Open-Source-Business-Software erfolgreich an die Schweizer Bedürfnisse angepasst werden kann, sind unserer Meinung nach einige fundamentale Voraussetzungen nötig, die SQL-Ledger allesamt erfüllt:



- 100 Prozent der in SQL-Ledger verwendeten Komponenten sind Open Source. Es fallen somit keine zusätzlichen Kosten an.




- Die Software-Architektur ist so ausgelegt, dass die Übersetzungen strikte vom Programm-Code getrennt sind und eine Übersetzung mit einem Texteditor vorgenommen werden kann.



- Die Technologie ist so gewählt, dass alle vorhandenen Betriebs­systeme unterstützt werden und nicht ein Teil der möglichen Kunden ausgeschlossen wird. In SQL-Ledger ist dies sichergestellt, indem es sich um eine reine Web-basierte Lösung handelt.



- Jeder Kunde soll den Source-Code erhalten, damit er die Freiheit hat, damit zu machen, was er will. Da SQL-Ledger in Perl entwickelt wurde, muss die Software nicht einmal kompiliert werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass sogar die Programmiersprache selbst Open Source ist.



- Die Software-Architektur muss so ausgelegt sein, dass jeder Kunde immer 100 Prozent der Funktionalität und alle Sprachen bekommt. Welche Funktionen – auch länderspezifische – der Kunde selbst nutzen will, ist ihm überlassen.


Anpassungen an die Schweiz

Bei SQL-Ledger war somit das Fundament gegeben. Jetzt ging es darum, SQL-Ledger an die Schweiz anzupassen. Denn 1 + 1 ergibt zwar überall 2 – auch in der Schweiz. Aber schon das Runden auf 5 Rappen kennen Firmen, die mit US-Dollar oder Euro arbeiten, nicht. Dort wird mit Cents gerechnet. Im Bereich Einzahlungsscheine mit 27-stelligen Referenznummern und elektronischem Zahlungsverkehr ist die Schweiz ebenfalls sehr weit entwickelt. Auch können viele Daten elektronisch weiterverarbeitet werden. In den USA wird dagegen noch ein Löwenanteil des Zahlungsverkehrs über Checks abgewickelt.

Bevor wir jedoch mit den Anpassungen begonnen haben, musste eine neue Installationsanleitung geschrieben werden, die es uns ermöglichte, SQL-Ledger schnell und reproduzierbar zu installieren. Wie in Open-Source-Projekten noch öfters der Fall, sind die von Herstellerseite bereitgestellten Anleitungen, wenn überhaupt vorhanden, für Profis und nicht für Anwender geschrieben.







Im zweiten Schritt kam die Anpassung der Sprache an die Schweiz. Auf den ersten Blick mag das einfach aussehen. Das dachten wir auch. Mit fortschreitender Übersetzung kamen aber verschiedene Probleme auf uns zu. Beispielsweise: Heisst es nun Offerte oder Angebot? Bilanz oder Saldo? Kunden oder Mitglieder? Wir mussten im Bewusstsein, dass wir es nicht allen recht machen können, entscheiden. Dank der Architektur sind aber auch mehrere Übersetzungen für das Deutsch der Schweiz möglich. Insofern können auch sehr spezifische Wünsche bezüglich Lokalisierung befriedigt werden.





Im nächsten Schritt haben wir uns um den Kontenplan gekümmert, dessen Modifikation ebenfalls noch verhältnismässig einfach zu bewerkstelligen war. Hier mussten lediglich die Konfigurationsdateien von SQL-Ledger angepasst und der KMU-Kontenplan von Walter Sterchi eingegeben werden. Das Buch Kontenrahmen KMU wurde von Walter Sterchi im Auftrag des Schweizerischen Gewerbeverband geschrieben und dient als Hilfsmittel für die Praxis. Es löst den veralteten Kontenplan von Prof. Dr. Karl Käfer ab.
Am Programm-Code waren auch hier keine Änderungen nötig. Die in der Schweiz gültigen Mehrwertsteuersätze konnten alle wie gewünscht erfasst werden.
Jetzt waren wir bereits in der Lage, SQL-Ledger produktiv bei uns intern einzusetzen.


Zusätzliche Anpassungen

Bekanntlich kommt der Appetit beim Essen. Bei einer ERP-Lösung heisst das, dass die Buchhaltung auf einmal gerne auch den Einzahlungsschein ausdrucken möchte.
Mit guten LaTex-Kenntnissen und einem Workaround konnten wir auch das Drucken der Einzahlungsscheine lösen. Da wir keine Änderungen am Programm vorgenommen hatten, mussten wir auch nichts in das Open-Source-Projekt zurückgeben. Änderungen an den Templates gehören in den Bereich Konfiguration und fallen somit nicht unter die Open-Source-Lizenz.


Knacknuss elektronischer Zahlungsverkehr

Nach dem Drucken der Einzahlungsscheine kam der Wunsch nach dem elektronischen Zahlungsverkehr für die Schweiz. Hier war uns klar, dass der Source-Code erweitert werden musste, da überhaupt noch keine Schnittstelle für den elektronischen Zahlungsverkehr vorhanden war, weil die meisten anderen Länder im Bereich Zahlungsverkehr gar noch nicht so gut organisiert sind.
Nach einer kurzen Analyse und der Frage «Make or buy?» haben wir uns entschlossen, den elektronischen Zahlungsverkehr direkt von der Firma DWS, die das SQL-Ledger-Projekt ins Leben gerufen hat, entwickeln zu lassen. Glücklicherweise war der Inhaber von DWS in Europa, und so konnten wir mit ihm die Anforderungen persönlich besprechen. Dadurch stellten wir auch sicher, dass alle Anpassungen für den schweizerischen Zahlungsverkehr in das Standard-Release von SQL-Ledger einfliessen und wir uns somit in Zukunft keine Gedanken über die Kompatibilität mit neuen Betriebsystemen oder neuen Versionen machen müssen.


Konzentration auf Vermarktung und Schulung

Da sich dieses Vorgehen bewährt hat, konzentrieren wir uns mittlerweile auf die Vermarktung, Schulung, Einführung und den Support von SQL-Ledger. Kundenspezifische Erweiterungen spezifizieren wir mit dem Kunden zusammen, machen eine Zeit- und Kostenschätzung, übernehmen das Testing und die Dokumentation. Erstellt werden die Erweiterungen von der Firma DWS, die SQL-Ledger schon jahrelang entwickelt und somit schneller und günstiger die Aufgaben erledigen kann, als wenn wir das selbst machen würden. Da alle Erweiterungen, die wir entwickeln lassen, in den Standard-Lieferumfang von SQL-Ledger einfliessen, entstehen in der Regel keine weiteren Kosten bei neuen Versionen. Das SQL-Ledger-Projekt stellt die zukünftige Kompatibilität sicher.
Neue Kosten entstehen erst, wenn sich die Anforderungen an den Zahlungsverkehr einmal ändern sollten. Unsere Kunden können sich gegen solche Veränderungen absichern, indem sie zum Beispiel einen kostenpflichtigen Wartungsvertrag für den elektronischen Zahlungsverkehr abschliessen. Für diese Kunden stellen wir dann sicher, dass allfällig notwendige Änderungen termingerecht vorgenommen werden.
Seit 2005 haben wir mit dem oben beschriebenen Weg Erweiterungen im Wert von etwa 50’000 Franken dem SQL-Ledger-Projekt zukommen lassen, wobei schlussendlich immer ein oder mehrere Kunden bezahlt haben.
Mit den von uns initiierten und vorgenommenen Änderungen haben wir sichergestellt, dass SQL-Ledger nun in einem viel grösseren Umfeld in der Schweiz eingesetzt werden kann. Zukünftig notwendige Erweiterungen können in zwei Bereiche aufgeteilt werden. Entweder handelt es sich um Details bei bestehenden Funktionen, die abgerundet oder erweitert werden, oder Kunden wünschen neue Funktionen, die noch nicht vorhanden sind.


Viel dazu gekommen

Zu den dank uns in SQL-Ledger integrierten Funktionen zählt beispielsweise die Unterstützung von Skonto. Da Skonto im Rest der Welt nicht sehr verbreitet ist, wurde die Funktion so implementiert, dass der Kunde selbst entscheiden kann, ob er sie verwenden will oder nicht. Wenn Skonto nicht verwendet wird, dann erscheinen auch die entsprechenden Felder gemäss dem SQL-Ledger-Bedienungskonzept nicht auf dem Bildschirm.
Neben dem Drucken von Einzahlungsscheinen haben wir für die Unterstützung von DTA und VESR gesorgt. Auch wurden Artikel um Felder, die für den Export benötigt werden, ergänzt und eine Importschnittstelle für Rechnungen hinzugefügt, die von Firmen, die Factoring machen, genutzt werden kann.


Der Autor

Martin Elmer ist Partner bei der auf Open Source und Windows spezialisierten Leanux.ch, die die Schweizer Distribution von SQL-Ledger betreut.




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