Warte kurz, ich ruf dich vom Handy zurück», die knappe, durch Unterbrüche und Verzerrungen zerhackte Ansage eines Bekannten – der wohlgemerkt bei einem grösseren ICT-Dienstleister arbeitet – ist keine Anekdote aus dem Jahr 2000. Sie ist tagesaktuell und auch kein Einzelfall. VoIP funktioniert auch 2012 noch nicht wirklich zuverlässig. Sei es mit einem Krankenkassen-Callcenter, einer Bank oder eben einem IT-Dienstleister; immer wieder mal schmiert ein Gespräch mit einem VoIP-vernetzten Unternehmen regelrecht ab und man ist gezwungen, das Gespräch per Handy zu Ende zu führen.
Damit hat sich im Vergleich zur Jahrtausendwende wenigstens etwas grundlegend geändert: Das Handy (solange man sich nicht erdreistet, im Zug mobil telefonieren zu wollen) ist heute zum Teil zuverlässiger als das Festnetz. Das liegt aber leider weniger an der Verbesserung der Mobilfunknetze als an der Tatsache, dass die einstige 99,9999-Prozent-Telefonie mit VoIP zu einer In-der-Regel-passt-es-schon-Verbindung verkommt.
Mobilfunk senkt die Ansprüche
Das auf den ersten Blick Überraschende: Wir ärgern uns kaum noch darüber, wenn unsere Konversationen immer mal wieder hinter Echos und Schwankungen verschwinden und grundsätzlich dumpf und zerquetscht tönen. Und auch das hat viel mit dem Handy zu tun: Erstens haben wir uns durch den Mobilfunk an eine durch Komprimierungen grundsätzlich wesentlich schlechtere Sprachqualität gewöhnt, und zweitens haben wir ja immer eine passable Alternative in der Westentasche, was dem Problem seine absolute Dringlichkeit nimmt.
Kommt dazu, dass Glück und Zufriedenheit relative Grössen sind. Der Mensch passt seine Ansprüche nicht nur im Beziehungsleben immer wieder schnell an veränderte Umstände an. Negativ empfinden wir nur momentane Rückschläge. Wenn es danach wieder aufwärts geht, stimmt uns das positiv, auch wenn das Niveau noch weit vom Ursprungswert entfernt ist.
Mit 80 Prozent in den Weltuntergang
In der gemanagten Moderne bekommt diese über das Belohnungssystem quasi genetisch verdrahtete Glücksrelativierung einen zusätzlichen Drall: Wenn die Qualität der Leistungen gemäss der berüchtigten 80-Prozent-Regel laufend an der sinkenden Schmerzgrenze optimiert wird, heisst das für uns Telefonierer, dass die Echos und das Jittern künftig nur noch schlimmer werden können. Frei nach Mani Matters «Zündhölzli» droht uns sogar die völlige Telefonierunfähigkeit. Aber zum Glück lassen Frau und Mann das Zündhölzli ja nicht einfach tatenlos das Unglücksdomino bis zum Weltuntergang anstossen und nehmen es geflissentlich auf, bevor es den Teppich in Brand steckt.
Vielleicht rettet uns ja beispielsweise IPv6 mit seinen Quality-of-Service-Features aus dem VoIP-Strudel. Die Frage ist ganz einfach, wie lange es dauern wird, bis auch im letzten Netzwerkwinkel die IPv4-80-Prozent-Optimierungs-Zitrone ausgepresst worden und das neue Protokoll flächendeckend eingeführt ist. Mindestens 15 Jahre, schätzen Experten.
Wissen Sie noch wie Vinyl tönt?
Weil die Erinnerung daran, wie deutlich sich die Gesprächspartner vor der Internettelefonie angehört hatten, in dieser Zeit immer weiter verblassen wird, dürfte uns das aber je länger je weniger ärgern. Genauso wie uns die allgegenwärtige MP3-Komprimierung schon lange hat vergessen lassen, wie klar und differenziert Instrumente von einer Vinylschallplatte klingen können. Die heutigen Jitter und Echos werden dank unserer integrierten Positiv-Denken-Schaltung vielmehr zur Quelle von künftigem Glück, wenn uns regelmässig «bahnbrechende» Innovationen im Einzelfall sowieso nicht nachprüfbare Verbesserungen um einzelne Prozentpunkte versprechen. Hauptsache es geht aufwärts!