Editorial

Office 10 erkennt keine Sprache. Gott sei Dank!

Spracherkennung mit dem Computer ist eine der schwierigsten Anwendungen überhaupt - Marc von Ah über Tücken und Möglichkeiten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/42

     

Denken Sie daran, dass das Mikrofon schmälert ausser optimalen Positionen verrutschen kann... Verstehen Sie nicht? Ich auch nicht! Und das ist wohl auch der Grund, weshalb Microsoft seine neue Office-Suite zumindest in Europa ohne die einst angekündigte Spracherkennung ausliefern wird. Offensichtlich ist dieses Feature noch nicht reif für den Kunden. Oder ist vielleicht der Kunde noch nicht reif für die Spracherkennung?



Auch wenn die Hersteller von Spracherkennungssoftware in den letzten Jahren zahlreiche Fortschritte gemacht haben und ihre Produkte mittlerweile eine Erkennungsrate zwischen 95 und 98 Prozent bieten - die Entwicklung der Lösungen gleicht dennoch der Jagd nach dem Ende des Regenbogens: Egal, wie nahe man ihm kommt, das Ziel ist doch immer ein wenig weiter weg.




Spracherkennung mit dem Computer ist eine der schwierigsten Anwendungen überhaupt: Es ist kaum möglich, einem Rechner die unendliche Vielfalt der menschlichen Sprache beizubringen. Die Hauptprobleme sind dabei:




Wortschatz: Selbst mit mehreren hunderttausend Wörtern in der Bibliothek fehlen einer Software doch immer gerade diejenigen, die man selber braucht.




Sprechweise: Mit nuschelnden Sprechern, die halbe Wörter verschlucken, sind schon Menschen überfordert. Wie soll sie da ein Computer verstehen?




Stimme: Sie können Ihr Programm noch so gut trainieren, wenn Sie einmal verschnupft oder heiser sind, beginnt die Schulung von vorne.



Das bestätigt auch unser Test von Dragon NaturallySpeaking (ab Seite 19). Mit dem Programm kann man zwar Windows bedienen, und auch für kurze Sätze mit den immer gleichen Wörtern ist es dienlich. Mit längeren, komplexen Diktaten ist das Tool jedoch überfordert.



Doch auch auf der Seite des Anwenders gibt es Probleme:




Natürliche Sprache: Vergessen Sie alles, was Ihnen die Hersteller von natürlicher Sprechweise vorfaseln. Wenn Sie mit einer Maschine sprechen, ist das alles andere als natürlich. Sie sagen alles ein wenig lauter, sprechen ein Quentchen langsamer und betonen ein bisschen deutlicher. Davon bekommen Sie innert Kürze Halskrankheiten.




Diktierkunst: Noch vor wenigen Jahren waren Manager darauf trainiert, ihre Gedanken (fast) druckreif zu formulieren. Und ihre Sekretärinnen waren darauf spezialisiert, sprachliche Unebenheiten auszubügeln und Löcher zu füllen.



Und heute? Copy&Paste hat diese Fähigkeiten weitgehend verkümmern lassen. Ohne Training ist nicht nur die Software überfordert, sondern auch der Manager.




Tätigkeit: Natürlich gibt es Berufstätige wie Ärzte, die darauf angewiesen sind, ihre Befunde diktieren zu können. Wer aber den ganzen Tag vor dem Monitor sitzt, hat für Spracherkennung keinen Bedarf. Und vor allem keine Zeit: Business-Korrespondenz ist angesichts des benötigten Trainings, der vergleichsweise langsamen Erkennung und des grossen Korrekturaufwands nach wie vor schneller geschrieben als diktiert.



Keine Spracherkennung in Office 10? Freuen Sie sich! Statt sich mit langem Training, einer schwachen Erkennungsrate und dem ständigen Erweitern des Wörterbuchs herumschlagen zu müssen, können Sie die zahlreichen sinnvollen neuen Features entdecken, die Microsoft in die Neuauflage gepackt hat. Dazu gehören etwa die neuen Task Panes, die angepasste Oberfläche oder das verbesserte Überarbeitungs-Management. Diese und weitere neue Features stellen wir Ihnen ab Seite 9 im Detail vor.




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