Editorial

Schluss mit der pseudoreligiösen Rhetorik!

Larry Ellison, seines Zeichens Oracle-CEO und genau so wie sein Kumpel Scott selten um grosse Worte verlegen, lässt keine Gelegenheit ausser Acht, um der IT-Welt hüben wie drüben klar zu machen, auf welcher Seite der Gates-Konzern wirklich steht.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/13

     

Amerikaner brauchen ein Feindbild, das war schon immer so. Unter Reagan war es das "Reich des Bösen", das der Hollywood-Veteran jenseits des eisernen Vorhangs ortete, und seit dem 11. September weiss auch George W. wieder, in welche Richtung er seine Kanonen ausrichten muss.



Nicht anders ist es in der IT-Welt: Scott McNealy zum Beispiel hat das "Evil Empire" in Redmond ausgemacht, dessen ist er sich sicher. Und zwar nicht erst seit der JavaOne-Konferenz (wir berichten darüber auf Seite 11), als er Microsoft unumwunden der "Dark Side" zuordnete, die anerkanntermassen die teuflische Seite im Star-Wars-Universum verkörpert.




Doch der Sun-Chef steht mit seiner Einschätzung nicht allein: Auch Larry Ellison, seines Zeichens Oracle-CEO und genau so wie sein Kumpel Scott selten um grosse Worte verlegen, lässt keine Gelegenheit ausser Acht, um der IT-Welt hüben wie drüben klar zu machen, auf welcher Seite der Gates-Konzern wirklich steht. Genau so sieht es auch Steve Jobs, der ebenfalls seit Jahren Microsoft mit dem Bösen dieser Welt gleichsetzt. Jobs scheint sich in letzter Zeit allerdings zurückzuhalten. Vielleicht weil der Zusammenarbeitsvertrag zwischen Microsoft und Apple in nächster Zeit ausläuft und zur Erneuerung ansteht?



Selbstverständlich leistet auch die amerikanische IT-Presse regelmässig ihren Beitrag zur Diskussion. Nicholas Petreley zum Beispiel, Senior Editor bei "InfoWorld", brachte es wie folgt auf den Punkt: "Ich gehöre nicht zu denen, die denken, Bill Gates sei der Teufel. Ich vermute aber, dass man zumindest keinen Übersetzer benötigt hätte, falls Microsoft je den Teufel getroffen hat."



Um ehrlich zu sein, nerven mich diese rhetorischen Ausfälle seit Jahren. Die kindlichen Tiraden sind eines CEOs vom Format eines McNealy oder eines Ellison schlicht und einfach nicht würdig.



Das Ganze scheint aber auch ein in der US-amerikanischen Gesellschaft verwurzeltes Problem zu sein. Immer wieder zieht man die Religion hinzu, wo die sachlichen Argumente nicht mehr ausreichen. So werden die einschlägigen Entwickler bei vielen Firmen denn auch als Evangelisten bezeichnet. Gemeint sind damit jene Vertreter einer Glaubensrichtung, die mit dem Religionsführer bzw. dem dahinterstehenden Konzept am besten vertraut sind.



Dieser Missbrauch von religiös gefärbten Begriffen kommt aber nicht von ungefähr. Den potentiellen Käufern soll damit Vertrauen eingeflösst werden. Gleichzeitig wird suggeriert, dass es sich beim betreffenden Konzept um das jeweils einzig richtige handelt, denn welcher Evangelist steht schon auf der falschen Seite.



Doch ist der Durchschnittsamerikaner wirklich so einfach gestrickt, dass er sich nur mit pseudoreligiösen Metaphern in der realen Welt zurecht findet? Manchmal - und in jüngster Zeit immer öfter - gewinnt man den Eindruck, dass dem wirklich so ist. Doch, liebe Amis, lasst euch eines gesagt sein: Hölle, Teufel und das Böse gehören in die Welt der Metaphysik, die Evangelisten sind zeitlich vor rund 1900 Jahren anzusiedeln und Bill Gates ist nicht Darth Vader!



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(rd)


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