Ubiquitous Value nicht in Sicht
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/03
Vor kurzem stellte der Doyen des Schweizer IT-Journalismus seine neusten Erkenntnisse vor: Das Weissbuch-Seminar brachte wie erwartet bei den Zahlen 2002 vornehmlich Deprimierendes zutage. Etwas besser sah es bei den Prognosen für 2003 aus.
Zur Hochform lief Röbi Weiss im dritten Teil auf: Mit leuchtenden Augen und zukunftsfroher Visionärsgestik stellte er kommende technologische Quantensprünge vor. Die Rede war von 400-Gigabyte-Harddisks (demnächst), Speicherdichten bis ein Petabyte pro Quadratzoll dank IBMs Tausendfüsslertechnologie (etwas später), 100-Gigabyte-Ethernet (2007), Terahertz-Transistoren (irgendwann) und vom Body Area Network, das sich aus einer Vielzahl Gerätschaften zusammensetzt, die der Mensch der Zukunft statt des PCs am ganzen Körper verteilt trägt.
Nach dem Stehlunch doppelte der Schweizer General Manager von Sony nach: Seine Firma hat die Vision vom "Ubiquitous Value Network" und meint damit, das Internet solle sich zum überall verfügbaren, zahlungspflichtig mit Content angereicherten Universalnetzwerk mausern.
Ein Werbefilm, der peinlicherweise ab der vorhandenen Notebook/Projektor-Combo zunächst partout nicht laufen wollte, suchte die Vision mit Bildern von glücklichen Menschen zu visualisieren, die den lieben langen Tag nichts anderes zu tun haben, als Videos vom Kindergeburtstag und 3D-Bilder vom Eigenheim zum geliebten Geschäfts- oder Lebenspartner zu schicken.
Das wären ja nette Zukunftsaussichten, die aber nicht bloss mit Hinblick auf die von der Wirtschaft allenthalben geforderte Lebensarbeitszeitsteigerung und die Selbstverständlichkeit unbezahlt zu leistender Überstunden unrealistisch wirken: Die Tarife im Mobilfunkverkehr, ohne den kein überall verfügbares Netzwerk möglich ist, sind auf absehbare Zeit ein äusserst wirkungsvoller Hemmschuh für die ubiquitäre Netzverfügbarkeit. Schon die 20 Rappen, die eine SMS mit 160 Zeichen kostet, sind überrissen; der SMS-Dienst dürfte sich vor allem wegen der Blauäugigkeit der Teenager bezüglich der Portemonnaie-Potenz ihrer Eltern so prosperierend entwickelt haben. Ein eigentlicher Abriss sind die MMS-Preise: Wieso soll ich mindestens einen halben Franken zahlen, um ein schlecht aufgelöstes Bildchen an einen einzigen Empfänger zu schicken? Eine Minute Telefonieren übers Handy kostet immer noch das x-fache eines mehrminütigen Festnetzgesprächs. Bei der Datenübermittlung sieht es noch betrüblicher aus. Ein GPRS-User, der fürs Abrufen von ein paar Webseiten zehn Franken zahlt, muss entweder Lottogewinner oder etwas schwer von Begriff sein. Die UMTS-Tarife, wenn diese Technologie denn überhaupt je kommt, dürften kaum geringer ausfallen. Und auch die Hoffnung Public WLAN steht mit einem Minutentarif von 90 Rappen nicht viel besser da.
Man vergesse nicht: Zu den Übermittlungskosten kommen nach dem Wunsch der All-Media-Konzerne auch noch die Preise für den Content. Der User ist aber schon schon heute nicht bereit, für kastrierte Angebote wie das einmalige On-Demand-Abspielrecht für Musiktitel Gebühren zu entrichten, die sich ingesamt rasch dem Kaufpreis einer CD nähern - selbst wenn die Freude an deren Erwerb zunehmend durch Kopierschutzmassnahmen und juristische Drohgebärden vergällt wird, die im Hinterkopf irgendwie die Zeiten der Inquisition anklingen lassen...