Linux lernt Windows

Mit Suses Linux Office Desktop findet Microsoft Office den Weg auf das freie Betriebssystem.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/07

     

Auf dem Desktop schlägt Linux bisher keine grossen Wellen: Nach Schätzungen von Marktforschern liegt der Marktanteil weltweit bei gerade mal zwei Prozent. Mit ein Grund für diese Situation mag die hohe Abhängigkeit der Unternehmen von den Office-Produkten aus dem Hause Microsoft sein. Und genau an diese richtet sich der Linux Office Desktop von Suse.



Beim Suse Linux Office Desktop handelt es sich um eine auf den Einsatz am Arbeitsplatz ausgerichtete Linux-Distribution, die um kommerzielle Beigaben ergänzt wurde. Mit dem OS Selector 8.0 von Acronis lassen sich NTFS-Partitionen verkleinern, um Platz für Linux zu schaffen. Ebenfalls mit von der Partie ist StarOffice 6 als valable Alternative zu Microsoft Office.




Das eigentliche Herzstück stellt aber sicher CrossOver Office von Codeweavers dar. Bei dieser Software handelt es sich um eine kommerzielle Erweiterung des freien Wine-Projektes, das Windows-APIs unter Linux bereitstellt. Damit lassen sich Windows-Anwendungen unter dem freien Betriebssystem benutzen. CrossOver Office erweitert nun Wine um diejenigen Funktionalitäten, die benötigt werden, um Microsoft Office sowie den Internet Explorer zum Laufen zu bringen. In der aktuellen Version werden die Office-Versionen 97 und 2000 unterstützt, nicht aber Office XP. Ausserdem liefert Suse auch CrossOver Plugin mit, das die Nutzung von Browser-Erweiterungen, die für Windows entwickelt wurden, unter Linux ermöglicht.


Auf den Desktop ausgerichtet

Diese kommerziellen Erweiterungen würden alleine rund 300 Franken kosten, während Suses Office-Arbeitsplatz auf 195 Franken zu stehen kommt. Gegenüber Einzelanschaffungen lohnt sich also dieses Paket, sofern man diese Kombination benötigt.



Suse Linux Office Desktop basiert auf der bekannten Distribution Suse Linux 8.1, die speziell auf den Einsatz am Arbeitsplatz zugeschnitten wurde. Werkzeuge wie Entwicklertools oder Server-Software fehlen. Wer sich für diese Bereiche interessiert, muss sich entweder nach einer anderen Linux-Distribution umschauen oder die entsprechenden Pakete nachinstallieren.




Die Abstammung zeigt das Desktop-Linux bereits bei der Installation mit dem Suse-eigenen, komfortablen grafischen Werkzeug Yast2 ("Yet another Setup Tool"). Dieses schlägt eine vernünftige, wenn auch mit 1,6 GB eher umfangreiche Grundkonfiguration vor und übernimmt standardmässig auch die automatische Partition der Festplatte. Linux-Fachwissen ist für die Einrichtung nicht erforderlich. Und da Yast2 alle Einstellungen vor der Installation abfragt, kann dieser Vorgang im Unterschied zu einer normalen Windows-Installation fast unbeaufsichtigt erfolgen - von einem einzigen Neustart und allfälligem CD-Wechsel einmal abgesehen. Denn trotz der Reduktion auf Desktop-Funktionen belegt die Distribution immer noch zwei Silberlinge. Auf einer dritten CD-ROM liegen zudem die Open-Source-Pakete im Quellcode vor.



Nach erfolgter Installation, bei der auch gleich verschiedene Benutzer angelegt werden können, sitzt man einem fertig eingerichteten System mit Gnome- oder KDE-Oberfläche gegenüber. Nachzurüsten gilt es höchstens noch allfällige Netzwerk-Drucker. Sofern das eingesetzte Druckprotokoll bekannt ist - unter anderem werden Windows-Drucker, das Internet Printing Protocol oder HP JetDirect unterstützt -, führt Yast2 mit wenigen Mausklicks durch diese Aufgabe.




Windows-Feeling unter Linux

Während das Linux-Betriebssystem nun einsatzbereit ist, müssen allfällige Office-Anwendungen von Microsoft noch installiert werden. Dies geschieht über das Konfigurationsfenster des CrossOver-Paketes, in dem sich die gewünschte Office-Komponente auswählen lässt. Nach der Eingabe des Pfads zur Installationsquelle geschieht etwas doch recht Ungewohntes: Mitten auf der Linux-Oberfläche erscheint das Fenster der Microsoft-Office-Installation - ein Anblick, der hartgesottenen Linux-Anhängern das Blut in den Adern stocken lässt. Die Installation selbst läuft wie unter Windows gewohnt, mit dem Unterschied, dass sich der obligate Neustart hier nur als kurze Pause, begleitet von eifriger Festplatten-Aktivität, bemerkbar macht. Doch die Zeit, die hier gewonnen wird, muss leider für die Nachbearbeitung geopfert werden, denn die Datei-Verknüpfungen sind für jeden Dokumententyp manuell vorzunehmen. Diese Flexibilität und Transparenz fordert ihre Zeit. Ob allerdings Windows-Anwender, bei denen die meiste Software ungefragt gewisse Dateitypen für sich reserviert, besser fahren, sei dahingestellt.



Auf dieselbe Weise installiert CrossOver Plugin Browser-Erweiterungen. Diese werden über eine Internetverbindung heruntergeladen und können danach den verschiedenen Linux-Browsern verfügbar gemacht werden. Dies erweist sich als durchaus taugliche Lösung, um für das freie Betriebssystem nicht erhältliche Zusätze wie etwa QuickTime oder den Windows Media Player zu nutzen. Für den Alltagseinsatz im Büro sind diese Plugins aber eher zweitrangig.





Word, Excel und Co. auf dem Desktop

Mit dem komplett eingerichteten Linux Office Desktop lassen sich nun Dokumente aus Microsofts Office-Anwendungen wie .doc oder .xls nicht nur mit StarOffice bearbeiten, sondern auch mit den nativen Applikationen. Hat man sich einmal an die etwas ungewohnte Situation gewöhnt, zeigen sich Word und Excel erstaunlich alltagstauglich. In unserem Test mit alltäglichen Bearbeitungsschritten verhielten sich die Office-Anwendungen wie von Windows her gewohnt. Auch die Ausgabe auf einen vorgängig konfigurierten Netzwerkdrucker klappte.



Unternehmen, die den Einsatz von Linux auf dem Desktop planen, auf Microsoft-Anwendungen aber nicht verzichten können oder wollen, sind allerdings gut beraten, vorgängig selber ausführliche Tests durchzuführen. Erst damit lässt sich die Praxistauglichkeit im konkreten Fall tatsächlich beurteilen.




Wirklich Sinn macht der Einsatz von Microsofts Office unter Linux ohnehin nur bei Access-Datenbanken, denn für normale Word-, Excel- und PowerPoint-Dokumente muss der Weg zu Linux nicht unbedingt über emulierte Office-Anwendungen führen. Im Gegenteil: Der Einsatz von nativen Linux-Programmen wie StarOffice ist einer Emulation etwa aufgrund der höheren Zuverlässigkeit vorzuziehen, ganz abgesehen davon, dass Microsoft-Anwendungen unter Linux einen der grössten Vorteile des freien Betriebssystems zunichte machen, nämlich die tiefen oder ganz wegfallenden Lizenzkosten.



So gesehen kann ein Paket wie Suses Office Desktop nur eine Übergangslösung darstellen für Unternehmen, die aus bestimmten Gründen nicht ganz auf den Einsatz von Microsoft-Anwendungen verzichten können. Diese sind mit dem Suse-Produkt gut bedient. Wer einfach eine Linux-Distribution für den Desktop-Einsatz sucht, schaut sich besser nach einer anderen Variante um, beispielsweise Suse 8.1 Professional oder Mandrakes Pro Suite. Diese bieten für weniger Geld eine breitere Palette an Open-Source-Software.




Wie schnell ist Microsoft Office unter Linux?

Im Unterschied zu Emulatoren wie Virtual PC oder VMWare, die einen kompletten PC simulieren, beschränkt sich das Wine-basierte CrossOver Office auf die Programmschnittstellen von Windows, die sogenannten APIs. Dadurch ist keine Installation eines Windows-Betriebssystems notwendig, was sich natürlich positiv auf die Geschwindigkeit auswirkt.



In unseren Tests konnten wir keinen wesentlichen Geschwindigkeitsunterschied zwischen Office 2000 unter Windows XP und unter Suse Linux feststellen. Alltägliche Aufgaben wie das Starten einer Anwendung, das Öffnen eines Dokuments oder das Formatieren von Text liefen auf beiden Betriebssystemen gleich schnell. Das gilt auch für die Bearbeitung von Access-Datenbanken, wobei diese Anwendung allerdings deutliche Verzögerungen bei der Anwahl von Elementen der Benutzeroberfläche aufwies. Dialogfenster und Menüs reagierten erst nach einigen Sekunden Pause. Überhaupt gilt Access als derzeit fehleranfälligste Anwendung unter CrossOver Office.




Die grössten Unterschiede zwischen den beiden Betriebssystemen ergeben sich im Umgang mit der Bildschirmausgabe. Diese erfolgt unter Linux merklich langsamer, etwa beim Verschieben oder Verkleinern von Fenstern sowie beim Scrollen durch ein Word-Dokument. Hier wartete CrossOver Office mit einer Einbusse von rund einem Drittel auf.



Insgesamt kann man sagen, dass die Arbeitsgeschwindigkeit aber schnell genug ist, um mit Office-Anwendungen zu arbeiten. Schwierigkeiten ergeben sich hier weniger aus der Leistung als vielmehr aus allfälligen Kompatibilitätsproblemen und Programmabstürzen.



Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wieviele Fliegen erledigte das tapfere Schneiderlein auf einen Streich?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER