Wenn Domains wie Telefonnummern verwaltet werden
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/15
An der dritten Tagung des ICANN-Studienkreises, die kürzlich in Salzburg stattfand, zeigte sich ein österreichischer Rechtsanwalt beeindruckt, dass die Schweiz neuerdings die staatliche Zuständigkeit für Domainnamen aus der Bundesverfassung ableitet. Tatsächlich basierte die Vergabe von CH-Domains bisher auf einem (mündlich geschlossenen) privatrechtlichen Vertrag zwischen der Stiftung Switch und der IANA als Vorläuferorganisation der ICANN. Seit dem 1. April 2002 ist aber gemäss der revidierten Verordnung über die Adressierungselemente im Fernmeldebereich (AEFV) das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) für die Domainvergabe zuständig. Die Vergabe durch Switch untersteht nun öffentlich-rechtlichen Vorgaben.
Die staatliche Regelung der Zuständigkeiten ist nicht die einzige Neuerung in der Verordnung. Obwohl der kühne Revisionsentwurf, der im letzten Sommer lanciert wurde, von den involvierten Interessensgruppen richtiggehend zerzaust wurde, haben einige Neuerungen durchaus das Potential, auch weiterhin für Diskussionsstoff zu sorgen. Das beginnt bei der rechtlichen Qualifikation der Domainnamen. Die Verordnung zählt sie zu den Adressierungselementen und stellt sie damit auf die gleiche Stufe wie die Telefonnummern. Besteht aber zwischen www.apple.ch und 01 877 91 91 nicht ein entscheidender Unterschied? Während die Telefonnummer "nur" eine Zahl darstellt und nicht direkt auf die Identität des Inhabers schliessen lässt, hat der Domainname namensähnliche Züge. Die Frage, ob die staatliche Verwaltung der Domainnamen vom Typ ".ch" nicht eine spezielle Grundlage in Form eines Bundesgesetzes erfordert, ist deshalb durchaus berechtigt.
Auch die Bestimmung, wonach das Bundesamt (BAKOM) einzelne Bezeichnungskategorien reservieren kann, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse oder internationale Vereinbarungen dies erfordern, hat den Sprung in den definitiven Verordnungstext geschafft. Dieser Passus wurde wohl aufgrund der bereits aufgetretenen Probleme im Zusammenhang mit Gemeindenamen (www.frick.ch) und geographischen Bezeichnungen (www.berneroberland.ch) geschaffen. Etliche Fragen zum Geltungsbereich und zum Rechtsschutz bleiben aber offen. Bezieht sich die Reservationsmöglichkeit durch das BAKOM nur auf freie Domainnamen oder auch auf bereits vergebene? Beim zweiten Szenario stellt sich die Frage, ob man die Inhaber nicht nach den Grundsätzen des Enteignungsrecht angemessen entschädigen sollte. Der Verordnungstext selbst schweigt sich darüber aus, wie auch über die Möglichkeit einer Beschwerde oder sonstiger Rechtsmittel. Darüber wird in Zukunft die Rechtsprechung entscheiden müssen.
Zur künftigen Vergabepraxis hält sich die Verordnung kurz. Switch vergibt Domainnamen wie bis anhin nach der Reihenfolge der Gesuchseingänge und überprüft sie nicht auf ihre Rechtmässigkeit. Unklar ist aber, ob Switch jetzt nicht mehr kontrollieren darf oder lediglich nicht mehr kontrollieren muss. Im ersten Fall wäre es ihr nicht mehr erlaubt, die Reservierung "heikler" Domains von einem Anspruchsnachweis von seiten des Gesuchstellers abhängig zu machen. Ebenso könnte - im Widerspruch zu den aktuellen Registrierungsbedingungen - die Reservierung geschmackloser, irreführender oder täuschender Domainnamen nicht mehr abgelehnt werden. Wie auch immer die Regelung verstanden wird, sicher ist, dass Switch künftig keine Verantwortung für Rechtsverstösse Dritter übernehmen muss.
Auch die obligatorische Einführung eines Streitschlichtungsverfahrens für CH-Domains hat die Hürde der Vernehmlassung geschafft. Die Ausgestaltung eines entsprechenden Mechanismus wird weitgehend der Registerbetreiberin überlassen. Bleibt zu hoffen, dass man bei Switch der Versuchung widersteht, das ICANN-Schlichtungsverfahren telquel zu übernehmen. Vielmehr sollte die Schweiz eine Regelung treffen, die der eigenen Rechtstradition mehr entspricht als das amerkanisch angehauchte ICANN-Verfahren. Insbesondere ist die Streitschlichtung nicht nur auf das Markenrecht zu beschränken, sondern auch auf weitere Anspruchsgrundlagen wie Wettbewerbs- und Namensrecht auszudehnen. Hinweise auf mögliche Lösungsansätze finden sich auch in England und Österreich, wo man bei der Einführung eigener Schiedsstellen schon einen Schritt weiter ist als in der Schweiz.