Editorial

Bill Gates und Midas, der habgierige Phrygierkönig

Die moderne Reinkarnation des Midas hat seinen Palast bei Seattle und heisst Bill Gates.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/18

     

Es kommt vor, dass man bei der Lektüre der Sagen des klassischen Altertums ins Staunen kommt. Bemerkenswert hellsichtig haben sich die alten Griechen beispielsweise gezeigt, als sie sich die verschiedenen Geschichten um König Midas erzählten.



Midas, so die bekannte Sage, war Herrscher über Phrygien, ein kleines, aber sehr wohlhabendes Königreich im Herzen der heutigen Türkei. Midas selber war natürlich auch nicht der Ärmste, im Gegenteil, in seinem güldenen Palast häuften sich die Reichtümer und es mangelte ihm an nichts. An fast nichts.




Denn wie das so ist mit dem Reichtum: Viel ist niemals genug, mehr muss her.



Die moderne Reinkarnation des Midas hat seinen Palast bei Seattle und heisst Bill Gates.



Midas hatte zeitlebens nur einen einzigen Wunsch: Alles, was er mit seinen Händen berühre, möge sich in reines Gold verwandeln. Sein sehnlichster Wunsch wurde ihm, so die Sage, von Dionysos, dem griechischen Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase, gewährt.



Und damit begann sich das Blatt für Midas zu wenden: Der König wäre um ein Haar verhungert. Er hatte nicht bedacht, dass er von Gold nicht satt werden würde.



Über Jahre hinweg ist auch dem König der Software alles geglückt, hat sich alles in Geld verwandelt, das er anpackte.



Doch nun scheint sich das Blatt auch für den Redmonder Software-Riesen langsam zu wenden. Gleich vier Mal hat das Unternehmen vorletzte Woche unfreiwillig für negative Schlagzeilen gesorgt:




• Licensing 6.0 - Firmen sagen Nein: Wie die Marktforscher der Giga Information Group und Gartner berichten, haben über zwei Drittel aller grossen Microsoft-Lizenznehmer das kostspielige neue Lizenzprogramm, das im Juli starten soll, noch nicht unterzeichnet. Statt dessen seien viele Firmen damit beschäftigt, Software-Alternativen zu evaluieren.




• StarOffice gräbt Microsoft Office das Wasser ab: Bereits 2004 soll Suns StarOffice den konkurrierenden Microsoft-Produkten 10 Prozent Marktanteil abgeluchst haben, behauptet Gartner Dataquest. Sparmassnahmen und ein Umdenken in vielen Firmen, so die Marktforscher, würden das StarOffice-Wachstum beschleunigen.




• C# gewinnt Akzeptanz nur zögerlich: Gerade mal 12 Prozent der US-Entwickler hätten bisher die microsoftsche Java-Konkurrenz C# ausprobiert, berichtete Cnet über eine Studie von Evans Data. Bei den meisten Programmierern blieben die Versuche ausserdem rein informativ, sagt Evans Data: Nur die wenigsten von ihnen würden tatsächlich auf Microsofts neue Programmiersprache umsteigen wollen.




• MSN - Pleiten, Pech und Pannen: Über Stunden waren diverse MSN-Dienste, darunter Hotmail, Chats und Newssites, am letzten Wochenende nicht verfügbar. Der Vorfall gehört in eine ganze Reihe von Pannen, die die Zuverlässigkeit von Microsofts Webdiensten in Zweifel ziehen.



Natürlich nagt Bill Gates weder heute noch in Zukunft am Hungertuch. Das Geld scheffeln aber, und das hat sich vom Altertum bis heute nicht verändert, ist und bleibt ein hartes Geschäft.




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