Lotus: TCO und Business Value lösen Technik ab
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/18
Lotus Notes ist im Enterprise-Umfeld nach wie vor die verbreitetste Kollaborations-Software. Mit der festen Eingliederung in die Software-Gruppe von IBM hat sich aber nicht nur der äussere Auftritt geändert. Lotus ist heute keine eigenständige Software mehr, sondern der Kollaborations-Brand von IBM. InfoWeek hat mit Ambuj Goyal, seit Januar Chef von Lotus Software, über seine Ziele mit Lotus, die Bedeutung von offenen Standards und die Zukunft von Domino/Notes gesprochen.
InfoWeek: Sie übernahmen im Januar die Führung der Lotus-Gruppe von Al Zollar. Ist dieser Wechsel Ausdruck dafür, dass die Integration von Lotus in die IBM-Software-Gruppe abgeschlossen ist?
Meinen Sie das hauptsächlich im wirtschaftlichen oder auch in einem technischen Sinn?
Beides. Wir werden zum Beispiel im Verlauf der nächsten drei Jahre rund eine Milliarde Dollar in die Weiterentwicklung stecken. Dabei konzentrieren wir uns auf drei Hauptpunkte:
Der erste ist Innovation im Client. Damit meine ich jede Form: von Notes- über Browser- zu den Handheld-Clients. Wobei es nicht nur um die Geräteanbindung geht, sondern um die Art und Weise, in der Anwender über den Client miteinander interagieren und Geschäfte abwickeln. Wir werden beispielsweise den Workflow integrieren.
Der zweite Punkt, auf den wir uns konzentrieren, ist die TCO (Total Cost of Ownership). Wir haben bis anhin in Sachen Skalierbarkeit und Sicherheit viel geleistet. Jetzt nehmen wir uns mehr der Verwaltbarkeit an, in dem wir zum Beispiel immer mehr Fähigkeiten im Zusammenhang mit Webservices und Datenbankabfragen integrieren.
Der dritte Schwerpunkt heisst Business Value. Typischerweise lag das Hauptaugenmerk von Organisationen auf der Automatisierung von Datentransaktionen. Im Gegensatz dazu überliess man die Personen-orientierte Automatisierung dem momentanen Einfall. Wir wollen uns nun dem annehmen, indem wir beispielsweise zeigen, wie ein Call Center mit Lotus-Software konkret effektiver arbeiten kann.
Al Zollar hat Lotus zusätzlich zur herkömmlichen Domino/Lotus-Script-Grundlage auf ein J2EE/DB2-Fundament gestellt. Ist es nicht sehr aufwendig alle Entwicklungen für zwei Plattformen zu machen? Oder anders gefragt: Werden Java und DB2 in absehbarer Zukunft Domino und Lotus Script ganz ablösen?
Nein, auf keinen Fall. Wir werden Domino weiterpflegen. Domino ist eine gute und weitverbreitete Plattform. Die Leute haben viele Anwendungen dafür geschrieben und Know-how aufgebaut. Dies sollen sie auch weiterhin uneingeschränkt nutzen können. Wir werden alle Entwicklungen auch für Domino anbieten.
Welche Rolle spielen Entwicklungs-Tools wie das Domino Toolkit für Websphere und das Rapid Application Developement Tool für Lotus in diesem Zusammenhang?
Diese sind für die Integration sehr wichtig. IBM will nicht alles übernehmen. Ein grosser Teil der Infrastrukturen in den Unternehmen ist gegeben. Wir müssen integrieren können. Wir wollen die Anwender nicht zu einer Migration zwingen.
Wollen Sie in diesem Fall auch .Net integrieren?
Ja, sicher. Darum machen wir uns auch so sehr für offene Webservices-Standards stark. Microsoft hatte bisher den proprietären Standard COM/DCOM benutzt. Diesen zu integrieren war sehr schwer. Aber die Kunden schreiben Applikationen für andere Plattformen. Und wenn sie es nicht selber tun, dann machen es ihre Geschäftspartner. Alles was heute gemacht wird, ist morgen eine Legacy, und die müssen wir integrieren können. IBM war früher selber im vertikalen Geschäft. Wir machten Hardware, Betriebssysteme und Software, die nur untereinander funktionierten. Aber das ist nicht die Zukunft.
Apropos technische Neuerungen. Sie waren bei IBM unter anderem in die Entwicklung von Komponenten-basierter Software wie den EJB (Enterprise Java Beans) involviert. Wird in Zukunft auch Lotus durchgehend in einer Komponenten-Architektur aufgebaut?
IBM zerlegt die gesamte Software in Komponenten. Ob Lotus, Websphere, DB2 oder Tivoli: Alle einzelnen Produkte können so die Fähigkeiten der anderen Abteilungen nutzen. Lotus kümmert sich in der Entwicklung um alles, was mit Kollaboration und Interaktion zu tun hat. Websphere ist für Integration und Transaktionen zuständig, DB2 fürs Data-Management und Tivoli entwickelt Verwaltungs- und Sicherheitskomponenten. In ihren Produkten können dann die einzelnen Abteilungen vom Know-how der anderen Gruppen profitieren, in dem sie die entsprechenden Komponenten einbauen.
Vielleicht beruht es auf diesem Funktionalitäten-Swapping, aber wenn ich Websphere Portal und Lotus Workplace vergleiche, fällt es mir schwer, einen grundlegenden Unterschied zu erkennen. Wie grenzen sich die beiden voneinander ab?
Lotus kommt immer von der Kollaborationsseite her und Websphere von der Integration. Je nach dem wo ein Unternehmen sein Schwergewicht hat, wird es sich für die eine oder andere Software als Grundlage entscheiden.
IBM steckt als Konzern eine Menge Energie in die Förderung von Linux. Sind bei den kleinen Firmen aber nicht gerade quelloffene Lösungen einer der Hauptkonkurrenten für Lotus?
Kann sein. Wenn man beispielsweise nur die E-Mail-Funktionalität anschaut, dann gibt es sicher ein Open-Source-Produkt, das dies auch kann. Aber die Leute wollen auch Support. Wir bieten ihnen das: Applikationen von Partnern, die auf der Software aufsetzen und Services rundherum.
Wir haben jetzt viel von Kollaboration geredet. Ein weiteres Standbein von Lotus ist Knowledge Management. Seit der Lancierung von Discovery Server ist es darum eher still geworden. Wie hat sich dieses Feld seitdem verändert?
Früher dachte man, man könne einen Experten nehmen, sein Wissen in einen Computer füttern und dann sei die Person als Wissensträger überflüssig. Diese Form von Knowledge Management wird nie funktionieren, denn diese Person weiss jeden Tag etwas Neues. Wir müssen in der Lage sein, den Spezialisten zu finden. Knowledge Management heisst für uns heute, Zugang zu Wissen und Zugang zu Experten zu ermöglichen. Die Frage ist, wie kann man Mitarbeiter in die Prozesse miteinbeziehen und nicht, wie man sie überflüssig macht. Discovery Server ist nur ein Teil davon - die Wissens-Suche.
Das Interview führte Daniel Meierhans.