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Business Outlook: Der Hype ist vorüber - Telecommuting ist "out"

David Rosenthal über die Gründe, weshalb sich Telecommuting an der breiten Front nie richtig durchsetzen konnte.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/42

     

Noch vor einigen Jahren war die Vision vom Arbeitsplatz der Zukunft klar: Heerscharen von Angestellten würden nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit fahren und stattdessen von zu Hause die Datenautobahn ins
Büro benutzen. "Telearbeit" oder "Telecommuting" hiess das Schlagwort, das Unternehmen wie Arbeitnehmer gleichermassen inspirierte. Erstere konnten damit wertvolle Büroinfrastruktur sparen, letztere gewannen völlig neue Freiheiten. Inzwischen ist es etwas ruhiger um das Telecommuting geworden. Zwar gibt es auch hierzulande Voll- und Teilzeit-Telearbeiter. Doch an der breiten Front konnte sich diese Arbeitsform nie richtig durchsetzen, weder in Europa, noch in den USA. Und dies aus guten Gründen.



Telecommuting mag in gewissen Situationen seine Berechtigung haben. Der Handelsreisende sollte zweifellos sein Büro auf Achse mitnehmen können. Auch die telekommunikationsgestützte Arbeit von zu Hause aus kann sinnvoll sein. Wer etwa ausnahmsweise den Handwerker in die Wohnung lassen oder auf sein Kind aufpassen muss, wird die Vorzüge der Telearbeit schätzen. Sie kann auch eine ruhige Zufluchtsstätte für all jene bieten, die sich für ein Projekt aus dem hektischen Büroalltag zurückziehen müssen. Der mobile Zugriff auf Informationen, E-Mails und eine Kommunikation von unterwegs ist aus unserer Arbeitswelt ebenfalls nicht mehr wegzudenken.




Als "primäre" Arbeitsform erweist sich Telecommuting aber je länger je mehr als kontraproduktiv, dies trotz den Kosteneinsparungen, die Betriebe damit realisieren können. Manchmal sind es praktische Gründe wie der Bedarf an Infrastruktur oder Unterlagen, die nur im Betrieb selbst vorhanden sind. Manchmal müssen Kunden oder andere Personen empfangen werden.


Sabotage der Firmenkultur

Der wichtigste Faktor ist aber letztlich ein anderer: Telearbeitern fehlt der direkte formelle und informelle soziale Kontakt mit ihren Mitarbeitern im Betrieb. Zwar kann Telecommuting die Produktivität einer einzelnen Person steigern; die Produktivität, Koordination und der Zusammenhalt der Gesamtgruppe aber leidet darunter, wie Studien zeigen. Mit anderen Worten: Die Kultur eines Unternehmens gerät ins Wanken, je mehr Mitglieder nicht mehr physisch vor Ort präsent sind. Genau auf dieses Wirken in der Gruppe kommt es jedoch an.



So kann heute zwar ohne weiteres per E-Mail kommuniziert werden, doch ist dies eben nur auf verbale Art möglich. Die ebenso wichtige non-verbale Kommunikation oder das Feedback eines Gesprächs von Angesicht zu Angesicht kann kein Mail ersetzen. Untersuchungen zeigen aber auch, dass die vom Kollektiv des Betriebs getrennten Telearbeiter die Werte, die Kultur und andere Grundnormen eines Unternehmens viel rascher in Frage stellen oder gar nicht erst zu übernehmen verstehen.




Diese Dinge aber sind für ein produktives und gleichgerichtetes Zusammenarbeiten wesentlich. Telecommuting gefährdet letztlich die Integration des Einzelnen in das Team, und sei es nur über die Plauderei in der Kaffeepause, am Rande einer Sitzung oder beim Lunch. Genau aus diesem Grund haben auch Videokonferenzen nicht das Reisen ersetzt: Für gewisse Dinge eignen sie sich zwar wunderbar, doch den direkten Kontakt ersetzen sie nicht.




Isolation vermeiden

Neuere Untersuchungen scheinen dies zu bestätigen. Laut einer IBM-Studie sind weniger als fünf Prozent aller US-Beschäftigten Vollzeit-Telearbeiter, Tendenz fallend. Das Internet trägt das seine dazu bei: Gerade Programmierer, Webdesigner oder andere Leute, die den ganzen Tag vor dem Computer verbringen, suchen auch von sich aus den Austausch mit anderen Personen.



Wie reagieren die Unternehmen? Sie richten beispielsweise vermehrt dezentrale, aber integrierte Arbeitsorte für mehrere Personen ein - sei es, um Mitarbeitern Reisen zu ersparen, sei es für einen Tapetenwechsel. Eine grössere Schweizer Internet-Firma unterhält darum in Kalifornien ein eigenes Haus: Immer wieder reisen Mitarbeiter aus der Schweiz dorthin und arbeiten eine Zeitlang vor Ort. Sie hat damit grossen Erfolg. In den eigenen vier Wänden alleingelassen sind die Arbeitnehmer in beiden Fällen aber nicht.



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