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Stefan E. Fischer: Standardsoftware - Same procedure as every year?

Ideale der «umfassenden Art» begeistern uns! Es wäre doch schön, wenn man mit einem einzigen Geniestreich – etwa im Bereich Unternehmenssoftware – alle Probleme «universell» lösen könnte!

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/25

     

Vor ein paar Monaten hat mich im Landesmuseum Zürich eine Ausstellung über das Universalgenie Leonardo da Vinci total fasziniert. Unglaublich, auf wie vielen Fachgebieten
dieser Wissenschaftler, Künstler und Architekt hervorragende und visionäre Arbeit leistete. Ein einziger Kopf der fähig war, unzählige Probleme zu analysieren und funktionierende Lösungen zu kreieren.




Auch wenn sich die Welt qualitativ und quantitativ gewaltig verändert hat: Ideale der "umfassenden Art" begeistern uns auch heute noch! Es wäre doch schön, wenn man mit einem einzigen Geniestreich - etwa im Bereich Unternehmenssoftware - alle Probleme "universell" lösen könnte! Solche Standardlösungen gab und gibt es ja auch. Aber wie viel Universalität bleibt in der Praxis tatsächlich übrig? ERP-Systeme hatten eine Zeitlang diese Aura. Kein grösseres Unternehmen, das sich nicht begeistert darauf stürzte. Weil ERPs angeblich so unheimlich gescheit konzipiert waren, dass alle wichtigen Geschäftsprozesse erfassbar und steuerbar wurden. "Standard" wurde primär zuerst einmal als "einfach" und "kostengünstig" interpretiert. ERP-Systeme waren deshalb während mehr als einer Saison der Renner. Heute herrscht Ernüchterung vor. Denn diese erratischen Blöcke haben enorme Schwächen, insbesondere in bezug auf die Modularisierungsfähigkeit. Der prinzipielle Denkfehler: Man kann nicht ein Unternehmen konsequent auf einen USP trimmen und dann noch glauben, dass sich das mit einer "standardmässigen" Software abbilden lasse! Resultat: ERP-Lösungen verursachen im "Rohzustand" oft einen riesigen zusätzlichen Programmierungsaufwand, erhöhen massiv die Projektdurchlaufzeiten und wirken gesamthaft eher kostentreibend als kostensenkend.


Wenn der Standard individuell wird


Da dreht sich Leonardo im Grab: Was ist ein "Standard" wert, wenn nach unzähligen Anpassungen (Zusatzlizenzen!) daraus de facto eine teure Individuallösung geworden ist? Und was macht ein dynamisches, schnell wachsendes Unternehmen mit einer "Lösung", die typischerweise nicht mehr Release-fähig ist? Beim nächsten Entwicklungsschritt wieder von vorne beginnen? Wenn die Branche aus diesen Erfahrungen etwas gelernt hätte, könnte man ja hoffen. Die aktuelle Entwicklung im Bereich CRM-, CMS- oder E-Procurement-Lösungen weckt bei mir allerdings einige Zweifel. Systeme, die als Quasi-Standard verkauft werden, entpuppen sich auch im Jahr 2001 als Potemkinsche Dörfer. Hinter den schönen Fassaden lauert eine mangelhafte Modularität: Einzelfunktionen sind noch immer nicht sauber in bestehende Strukturen integrierbar. Das hatten wir schon. Umgekehrt weisen sie meist schlecht durchdachte APIs auf, denen man anmerkt, dass sie ihren Ursprung bereits in der inkonsequenten Konzeption der Produkte haben und erst im nachhinein hinzuprogrammiert wurden. Wer hier etwas andocken will, erlebt seine blauen Wunder. Auch hier: nichts Neues.





Versprechen hinterfragen


Natürlich stehen die Anbieter unter Druck. Aber wenn z.B. CMS-Lösungen versprechen, dass XML standardgemäss unterstützt werde, die Realität jedoch eher wie ein "Gebastel" aussieht, hat der Kunde wenig davon. Auch nicht, wenn man ihn auf den nächsten Release vertröstet. Ein Branche, die (wieder einmal) zuviel verspricht, ruiniert ihren Ruf. Einige wenige Hersteller haben die Probleme - und die Marktchancen - erkannt. Es lohnt sich also immer noch, den Lieferanten sehr sorgfältig aussuchen. Am besten mit kompetenter Unterstützung: Eine Fehlinvestition wäre teurer! Bei Unternehmen, welche die APIs selber für die Erstellung ihrer Administrations-Anwendungen einsetzen, kann man am ehesten sicher sein, dass die Funktionalitäten nutzbar sind und getestet wurden. Man sollte sich jedoch v.a. die Migrationskonzepte anschauen und im Detail hinterfragen. Einsteigen darf man nie bereits bei der Version 1 - das Release-Management kann sonst nicht überprüft werden. Von Standard-Software-Architekten verlangen wir nicht, dass sie wie Leonardo Mona Lisas malen können. Aber mit ein bisschen mehr universellem Problembewusstsein liessen wir uns gerne den Alltag verschönern.



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