Als Crowdsourcing bezeichnet man im klassischen Sinne die Auslagerung von Aufgaben aus dem Unternehmen an eine Gruppe von Internetnutzern, welche verschiedene Probleme löst, Dienst-leistungen erbringt oder neue Ideen entwickelt. Crowdsourcing ist demnach eine interaktive Form der Leistungserbringung, die eine grosse Anzahl von Menschen mit unterschiedlichen Wissensständen einbezieht. Einige Stimmen kritisieren Crowdsourcing. Aus Sicht der Kritiker verdrängt das neue Prinzip der Arbeitsverteilung Mitarbeiter und nimmt ihnen die Arbeit weg.
Diese Befürchtungen könnten bald Realität werden: So plant IBM laut mehrerer Presseberichte einen massiven Umbau der Unternehmensstruktur. Demnach will IBM bis zu 75 Prozent seiner knapp 400’000 Beschäftigten entlassen, um sie anschliessend als Leiharbeiter wieder einzustellen. In Deutschland wären laut «Spiegel Online» bis zu 8000 IBM-Mitarbeiter betroffen.
Mit einer sogenannten Cloud will IBM zukünftig Projektarbeit ausschreiben und Fachkräfte aufgrund ihrer Bewertungen aus vergangenen Jobs akquirieren. Damit könnte der blaue Riese seine ehemaligen Mitarbeiter rein nach Bedarf nutzen. Sozialleistungen würden für IBM nicht mehr anfallen. Ziel von IBM ist dementsprechend eine deutliche Senkung der Personalfixkosten, um so den Gewinn pro Aktie zu steigern. Das «Handelsblatt» zitiert aus einem Schreiben des Konzerns: «Wir richten unser Geschäft ständig innovativ und wettbewerbsfähig aus.»
Globales Fachwissen bündeln
Crowdsourcing ist in seinen Ursprüngen eine Idee zur Nutzung des kreativen Potentials ausserhalb eines Unternehmens. So kann man beispielsweise Ideen für neue Produkte von Verbrauchern crowdsourcen. Bislang wurde Crowdsourcing nur mit Verbrauchern und Externen betrieben, Mitarbeitern waren nicht daran beteiligt.
Grosse Konzerne wie Henkel oder die Deutsche Telekom haben allerdings auch Crowdsourcing-Ansätze bei ihren Mitarbeitern erfolgreich eingeführt und dabei Entlassungen vermieden. Diese internen Crowdsourcing-Ansätze zielen darauf, das weltweit verteilte Fachwissen von Mitarbeitern an den Stellen zu bündeln, wo es gebraucht wird. Entlassungen sind nicht Teil dieser internen Crowdsourcing-Konzepte. Henkel konnte mittels internem Crowdsourcing mit seinen Mitarbeitern seine Absatzprognose um 22 Prozent verbessern, was eine Umsatzsteigerung von zweistelligen Millionenbeträgen jährlich ermöglicht. Die Deutsche Telekom bündelt das Wissen ihrer 240’000 Mitarbeiter in einer Zahl, welche direkt an den Vorstand geht. So erhalten Entscheider gebündeltes Feedback von der ganzen Organisation, beispielsweise zu den Erfolgs-chancen neuer Produkte als auch die strategische Ausrichtung.
Jedoch handelt es sich bei Crowdsourcing mit Mitarbeitern noch um ein Nischenthema. In der Schweiz ist bisher noch kein Unternehmen in dieser Form tätig geworden. So beschränken sich die Aktivitäten Schweizer Firmen bislang nur auf das klassische Crowdsourcing, das heisst bestimmte Tätigkeiten werden an Externe ausgelagert. Da das Thema aber immer mehr an Bedeutung gewinnt und in Europa bereits von mehreren grossen Unternehmen genutzt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Schweizer Firmen diesen Ansatz für sich entdecken werden.
Ob sich jedoch der Ansatz der deutschen Unternehmen oder der Vorstoss von IBM durchsetzt, wird sich erst langfristig zeigen, da die Einsatzmöglichkeiten von Crowdsourcing noch nicht gänzlich erschlossen ist. Aleksandar Ivanov, Experte im Bereich Mitarbeiter-Crowdsourcing und Gründer des Crowdsourcing-Anbieters
Crowdworx, spricht im nachfolgenden Interview über die Pläne von IBM und stellt alternative Beispiele der Deutschen Telekom und Henkel vor.
Wie beurteilen Sie das von IBM geplante Mitarbeiter-Crowdsourcing?
Aleksandar Ivanov: Die Grundfrage bei Crowdsourcing ist immer, welche Aufgaben überhaupt ausserhalb des eigenen Unternehmens erledigt werden können. Bislang waren das relativ einfache manuelle Arbeiten aber auch kreative Arbeiten, wie etwa die Entwicklung neuer Produktideen zusammen mit Kunden. Ich glaube, dass IBM eine klare Strategie für seinen Ansatz braucht, und diese Strategie muss mit den Mitarbeitern abgestimmt werden – auch im Interesse von IBM, um nicht Prozesse auszulagern, die ausserhalb des Unternehmens nicht funktionieren können.
Was ist der Vorteil von Crowdsourcing mit Mitarbeitern? Wie funktioniert dieser Ansatz?
Bei diesem Ansatz wird nur mit Mitarbeitern gearbeitet. Der Vorteil gegenüber normalem Crowdsourcing ist, dass Mitarbeiter sowohl Verbraucher als auch Spezialisten für das eigene Unternehmen und dessen Produkte und Märkte sind. Dadurch erhält man nachweislich genauere Antworten als wenn man nur Verbraucher fragt. Die berühmte rosarote Brille der Mitarbeiter beim Blick auf das eigene Unternehmen wird dadurch umgangen, indem besondere Anreize für genaue Antworten gegeben werden.
Der Prozess funktioniert wie folgt: Ein Manager oder ein Bereich eines Unternehmens hat eine konkrete Frage, die sich als Zahl beantworten lässt, zum Beispiel welches Umsatzpotential hat ein neues Produkt, oder wie wird der Absatz in den kommenden Monaten sein?
Die Frage wird in ein Crowdsourcing-Portal im Intranet des Unternehmens eingestellt. Relevante Mitarbeiter werden über die neue Frage benachrichtigt und haben maximal fünf Tage Zeit, freiwillig ihre Meinung abzugeben. Nach maximal einer Woche liegt die Antwort in Form einer Zahl, und nicht in Form tausender Kommentare, auf dem Tisch des Fragenstellers.
Welche Praxisbeispiele kennen Sie?
Die Deutsche Telekom bündelt so beispielsweise das Wissen von 240’000 Mitarbeitern in einer Zahl, welche direkt an den Vorstand geht. Dabei werden in dem Crowdsourcing-Portal der Telekom die verschiedensten Fragen eingestellt, zum Beispiel über die Marktentwicklung, die monatliche Netzauslastung, die Nachfrage nach bestimmten Handys sowie strategische Fragen wie Technologie-Trends.
Ein anderes Beispiel: Henkel konnte durch diesen Crowdsourcing-Ansatz mit seinen Mitarbeitern seine Absatzprognose um 22 Prozent verbessern, was eine Umsatzsteigerung von zweistelligen Millionenbeträgen pro Jahr ermöglicht, da entgangene Umsätze und Lagerkosten geringer ausfallen.
Was ist bei Crowdsourcing mit Mitarbeitern anders als bei anderen Enterprise-2.0-Methoden wie Wikis oder Blogs?
Die Klienten haben hier immer einen messbaren Nutzen aus der Bündelung der kollektiven Intelligenz ihrer Mitarbeiter gezogen. Das unterscheidet diesen Ansatz von normalen Enterprise 2.0 Wikis oder Blogs. Dort wird Wissen eher gespeichert beziehungsweise diskutiert. Bei Crowdsourcing mit Mitarbeitern steht am Ende immer eine Zahl, die alle Meinungen auf den Punkt bringt. Auf Basis dieser breit fundierten Zahlen kann das Management konkrete Entscheidungen treffen.
Wie schätzen Sie die Entwicklung von Crowdsourcing ein? Das Thema ist omnipräsent und wird auch in Zukunft mehr an Bedeutung gewinnen. Ich denke, dass Crowdsourcing mit Mitarbeitern für viele Unternehmen an Bedeutung gewinnen wird, denn in einer komplexen Welt können Entscheidungen nicht mehr allein auf Basis von Expertenmeinungen erfolgen. Man braucht die kollektive Intelligenz der ganzen Organisation. Wir befinden uns diesbezüglich in sehr spannenden Zeiten.
Dennis Otto ist Senior Global Strategist bei Crowdworx.