Mehr Wohlbefinden am ergonomischen Arbeitsplatz

Stundenlange Arbeit am Bildschirm strengt Körper und Geist an. Umso wichtiger ist ein ergonomisch gut eingerichteter Arbeitsplatz.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/25

     

Wohl kein vernünftiger Patron in einem Gewerbebetrieb käme auf die Idee, seinen Arbeitnehmern nur eine einzige "Blaumann"-Grösse anzubieten, die dann jedem passen sollte, dem 160 cm grossen, schmächtigen Kerlchen ebenso wie dem 2-Meter-Koloss mit 140 Kilo Lebendgewicht.



In Büros allerdings ist das gang und gäbe: Das Mobiliar stammt meist von der Stange und darf nicht zuviel kosten. Der Arbeitnehmer sitzt nicht selten auf demjenigen Stuhl, den sein Vorgänger ihm hinterlassen hat. Sein Schreibtisch: Der Standardtisch vom Vorgänger. Tastatur, Maus und Monitor werden mit dem Computer mitgeliefert, ohne dass der Büroangestellte darauf einen Einfluss hätte. Kaum jemand hat die Chance, sein Büro nach ergnomischen Kriterien und mit individuell passenden Arbeitswerkzeugen vom Stuhl bis zur Maus einzurichten.




Die Folgen sind die typischen Bürokrankheiten, von Muskelerkrankungen und Sehnenscheidenentzündungen wie Karpaltunnelsyndromen und Maus-Ellbogen über Augenbeschwerden, psychosomatische Störungen, chronische Müdigkeit und Magen-Darmstörungen bis hin zu Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen aufgrund von schlechter Haltung während der ganztägigen sitzenden Tätigkeit. Typische Berufskrankheiten - die in der Schweiz im Unterschied zu Amerika, Japan und der EU allerdings nur teilweise als solche anerkannt werden. Gemäss Artikel 9 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG) und der zugehörigen Verordnung (UVV) müssen Berufskrankheiten ausschliesslich oder vorwiegend durch bestimmte Arbeiten verursacht worden und darüber hinaus auf einer vom Bundesrat erstellten Liste zu finden sein, was etwa für Sehnenscheidenentzündungen zutrifft. Nicht auf dieser Liste verzeichnete Krankheiten (beispielsweise Augenbeschwerden) können zwar ebenfalls als Berufskrankheiten gelten - allerdings muss in solchen Fällen nachgewiesen werden, dass sie zu mindestens 75 Prozent durch die berufliche Tätigkeit verursacht wurden, was in der Praxis selten möglich ist.


Klarer gesetzlicher Auftrag

Ob anerkannt oder nicht: Laut einer Suva-Statistik über Berufskrankheiten machen Schäden am Bewegungsapparat bereits über die Hälfte aller Berufskrankheiten aus. Eine aktuelle Studie des Seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) beziffert die volkswirtschaftlichen Schäden durch arbeitsbedingte Gesundheitsstörungen auf mindestens 8 Milliarden Franken (ca. 2,3 Prozent des BIP), wovon rund die Hälfte auf Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zurückzuführen ist und die andere Hälfte dem Stress angelastet wird. Dabei handelt es sich gemäss Seco um eine konservative Schätzung, die effektiven Gesamtkosten dürften demnach noch deutlich höher liegen - nicht zuletzt, weil wegen der mangelnden Anerkennung viele arbeitsbedingte Krankheiten und deren Folgen keine Aufnahme in die Statistiken finden.



Interessanterweise zeigen Stress und fehlende Ergonomie weitgehend ähnliche Symptome: Unter anderem gehören dazu Rückenbeschwerden, Nacken- und Schulterverspannungen, Kopfschmerzen, Augenbrennen und Sehstörungen durch Augenübermüdung. Nicht untersucht ist bisher, inwiefern fehlende oder mangelnde Ergonomie von Bildschirmarbeitsplätzen dem subjektiven Stressempfinden zuträglich ist.




Immerhin ist in der Schweiz ein Arbeitgeber verpflichtet, "zur Verhütung von [...] Berufskrankheiten alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. [...]" (Art. 6 Abs. 1 ARG). Präzisierend bestimmt der Artikel 2 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3), dass der Arbeitgeber alle Massnahmen treffen muss, "die nötig sind, um den Gesundheitsschutz zu wahren und zu verbessern und die physische und psychische Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Insbesondere muss er dafür sorgen, dass: a. ergonomisch und hygienisch gute Arbeitsbedingungen herrschen; [...] d. die Arbeit geeignet organisiert wird. [...]." Für die Arbeitsplatzgestaltung schliesslich geben die Art. 23 und 24 ArGV 3 sowie insbesondere die Wegleitung zu dieser Verordnung detaillierter Auskunft.



Wie beispielsweise in Deutschland, wo seit dem 1.1.2000 für alle Bildschirmarbeitsplätze die sogenannte Bildschirmarbeitsverordnung verbindliche Richtlinien für Sicherheit und Gesundheitsschutz und auch die Gestaltung der Arbeitsplätze vorgibt, existieren damit auch in der Schweiz explizite rechtliche Grundlagen, die dem Arbeitgeber die Minimalanforderungen an einen ergonomisch korrekten Bildschirmarbeitsplatz konkret vorschreiben. Der gesetzliche Auftrag zum Gesundheitsschutz und darunter subsummiert der ergonomischen Gestaltung der (Bildschirm-)Arbeitsplätze ist klar.



Für viele Firmen beginnt und endet der Gesundheitsschutz allerdings mit der Arbeitssicherheit. Bei nicht gefährlichen Büroarbeitsplätzen dagegen greifen die gesetzlichen Verpflichtungen der Arbeitgeber nur selten, obwohl gerade diese Arbeitsplätze mittlerweile einen grossen Teil der krankheitsbedingten Fehlzeiten und Produktivitätsausfälle und damit der volkswirtschaftlichen Schäden verursachen. Die Unternehmen, die sich aktiv für das Wohlbefinden ihres Personals einsetzen, sind rar. Zu oft ist man - vor allem in kleineren und mittleren Betrieben - der Ansicht, die Gesundheit sei einzig eine Angelegenheit des Angestellten.




Wellness im Büro

Dem ist nicht so, und vermehrt setzt sich diese Erkenntnis in letzter Zeit auch bei den Arbeitgebern durch. Das Büro - so die Überlegung - ist auch ein Lebensraum, verbringt ein 100%-Angestellter doch mehr als einen Drittel seines Tages darin. Entsprechend soll das Büro auch ein Platz sein, an dem man sich wohlfühlt.



Diesem umfassenden Anspruch gerecht werdend zeigt sich die Ergonomie, die Wissenschaft von der Anpassung der Arbeit an den Menschen, flexibel. Ein ergonomisch guter Arbeitsplatz besteht zwar auch, aber nicht nur aus modernstem Mobiliar und einem strahlungsarmen Monitor. Ganzheitlich betrachtet, sollte ein ergonomischer Arbeitsplatz nämlich alle der folgenden Kriterien mehr oder weniger erfüllen:





Arbeitsplatz: Hohe Anforderungen werden an den Bürostuhl gestellt. Er muss sich den Bewegungen des Sitzenden dynamisch anpassen und den Körper stützen. Dazu muss er eine neigbare Rückenlehne haben, die mindestens unter die Schulterblätter reicht, eine anatomisch geformte, neigbare Sitzfläche sowie eine Sitzfederung, die sich eventuell sogar nach Körpergewicht einstellen lässt. Der Schreibtisch muss mindestens eine Fläche von 180x90 cm bieten und sollte in der Höhe verstellbar sein. Optimal sind Tische, die sich dank hydraulischer Höhenverstellung auch als Stehpult nutzen lassen. Der Monitor muss zumindest die aktuellen TCO-Strahlungsnormen erfüllen und sollte so aufgestellt werden, dass er kein Licht spiegelt. Bei Maus und Tastatur gibt es zahlreiche, mehr oder weniger ergonomische Modelle - als Anwender sollte man sich ein passendes Gerät selber aussuchen können. Auch bei der Wahl von Stühlen und Tischen sollte der Arbeitnehmer einbezogen werden.




Arbeitsumfeld: Ein wichtiger Faktor für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz ist die Beleuchtung. Korrektes Licht schont die Augen und kann die Stimmung verbessern. Ideal im Büro ist eine indirekte Beleuchtung mit Deckenflutern, warmweissen Leuchtstofflampen und Tageslicht. Letzteres allein ist aufgrund der Helligkeitsschwankungen allerdings nicht geeignet. Ausserdem ist in jedem Fall darauf zu achten, dass sich durch die Beleuchtung weder Spiegelungen noch Reflexionen auf Monitoren ergeben. Wichtig ist auch die Temperatur, etwa um Ermüdungen vorzubeugen. Ideal fürs Büro sind 21 Grad. Lärm am Arbeitsplatz stört nicht nur die Konzentration, sondern kann langfristig auch das Gehör kaputtmachen. Für Büroarbeiten gelten beim Dauer-Schalldruckpegel Richtwerte von 35 bis maximal 55 Dezibel (A). Zum Vergleich: Das Tippen an einer Computertastatur erzeugt in unmittelbarer Nähe einen Pegel von ca. 55 bis 60 dB(A). Zu achten ist schliesslich auf genügende Frischluftzufuhr; Grünpflanzen können das Klima zusätzlich verbessern.




Arbeitsklima: Nicht zu unterschätzen ist in ergonomischer Hinsicht das soziale Umfeld am Arbeitsplatz respektive das Betriebsklima. Dazu gehören etwa Gespräche mit Vorgesetzten und Kollegen, aber auch generell die Kommunikation, Information und Mitwirkung innerhalb eines Betriebs. Fehlen diese Faktoren, kann das unter Umständen sogar krank machen - und dem Unternehmen durch geringere Produktivität und Arbeitsqualität, höhere Fehlzeiten und Fluktuation hohe Kosten verursachen. Unbefriedigende Arbeitsabläufe, schwelende Konflikte und andere Probleme sollten offen diskutiert, die Resultate im Alltag umgesetzt werden.




Struktur und Organisation: Eine wichtige Grösse für das Wohlbefinden ist schliesslich die Arbeitsorganisation. Überforderung der Arbeitnehmer durch schwierige Aufgaben und grosse Arbeitsvolumen ist ebenso zu vermeiden wie Unterforderung beispielsweise durch mangelnde Abwechslung bei einfachen, gleichförmigen Arbeitsvorgängen. Mangelhafte Arbeitsorganisation, fehlende Anerkennung und dadurch geringe Motivation und Zufriedenheit verhindern produktive Arbeit. Zur Tätigkeit am Bildschirm gehören ausserdem regelmässige kurze Pausen. Empfohlen werden in der Literatur je nach Arbeitsaufgabe 5 bis 15 Minuten pro Stunde oder 15 bis 20 Minuten alle 2 Stunden zu Lasten der Arbeitszeit, die aktiv zur Regeneration und nicht etwa zum Zeitungslesen oder ähnlichem genutzt werden sollten. Generell sollte die Arbeit so eingeteilt sein, dass sie zu maximal 50 Prozent im Sitzen erledigt werden muss. 30 Prozent der Arbeitszeit sollte stehend, 20 Prozent in Bewegung verbracht werden.



Noch beschränkt sich das Ergonomie-Engagement vieler Firmen auf das Chefbüro. Hersteller und Verkäufer von Stehpulten sind sich, was die Käuferschaft anbelangt, weitgehend einig: Stehpulte und kombinierte, hydraulisch oder elektrisch verstellbare Schreibtische werden vor allem von Mitgliedern der Teppichetagen gekauft. Das ist nicht weiter verwunderlich, kosten derartige High-Tech-Tische doch schon in einer einfachen Ausführung mehrere tausend Franken. Auch bei Bürostühlen wird noch immer häufig zwischen normalen und Chefsesseln unterschieden - wobei die sogenannten Chefsessel allerdings nicht zwingend ergonomisch besser sind als die normalen Drehstühle.



Der Trend aber geht heute auch bei Arbeitnehmern eindeutig in Richtung der Verbindung von Leistung und Gesundheit. Denn es liegt auf der Hand: Nur wer sich an seinem Arbeitsplatz wohlfühlt, arbeitet auch gern - und bringt entsprechend mehr Leistung. Gesundheit am Arbeitsplatz erhöht nicht nur das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Angestellten, sondern auch die Arbeitsmotivation und die Leistungsfähigkeit - und damit letztlich auch die Produktivität. Investitionen in eine ergonomisch korrekte Büromöblierung sind so schnell amortisiert.



Schliesslich arbeiten wir, um zu leben. Nicht umgekehrt.



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