Quo vadis Qualitätsmanagement
Hans-Peter Pfister, Process- & Quality Executive im Bereich System- und Prozessmanagement, Helsana Versicherungen
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/14
ISO-Normen und Vorgehensweisen wie TQM, Business-Engineering und Re-Engineering sowie prozesszentriertes Arbeiten, Maturitäts-Modelle wie SPICE, CMM, CMMI sowie das Modell EFQM für Business Excellence sind alles nur Hilfsmittel zur Definition und Implementation eines Qualitäts-Management-Systems und für dessen kontinuierliche Verbesserung. Der Mensch, mit seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen als zentraler Teil in einem qualitätsorientierten System, geht dabei vollständig unter.
Die erwähnten Standards, Vorgehensmodelle und Beurteilungsmodelle können ihre Wirkung nur dann erreichen und entfalten, wenn dem Menschen im System Unternehmung die gebührende Achtung in Form von Respekt, Wertschätzung, Sicherstellung der persönlichen Integrität und Vertrauen durch die anderen Teilnehmer im System entgegengebracht wird. Dies setzt auch eine radikale Veränderung gegenüber der aktuell immer noch weit verbreiteten Betrachtung des Menschen als Ressource wie Werkzeuge und Material voraus. Alle Partner im System sollen mit mehr Bescheidenheit, Ehrlichkeit und Unvoreingenommenheit den täglichen Umgang pflegen. Die verantwortlichen Führungskräfte müssen auch anerkennen, dass nicht nur Menschen mit einer akademischen Ausbildung gute Ideen und ein Potenzial zur Förderung haben. Eine Unternehmung muss sich darauf konzentrieren das gesamte geistige Kapital innerhalb des Systems kontinuierlich aktiv zu halten und zu fördern. Bezüglich einem akademischen Diplom sei hier die Bewertung von Walter Deming (1900 – 1993) zitiert: «Ein Diplom bestätigt, dass der Inhaber desselben seine Fähigkeit zum Lernen bewiesen hat.»
William Edwards Deming wurde am 14.Oktober 1900 in Sioux City im US-Bundesstaat Iowa geboren. Nach Studien an der University of Colorado erwarb er 1927 ein Doktorat in mathematischer Physik der Universität von Yale. Seine erste Anstellung Als Physiker fand er im United States Department of Agriculture zu einer Zeit, als Sir Robert Fisher am University College of London und Walter Shewhart an den Bell Laboratories grundlegende Erkenntnisse zur Qualitätsüberwachung industriell gefertigter Produkte (heute als SPC, Statistical Process Control, bezeichnet) erarbeiteten. Die enge persönliche Beziehung zu diesen beiden Wissenschaftlern und ihren Forschungsgebieten war wegweisend für den Weg Demings vom Statistiker zur weltweit führenden Autorität im Bereich Qualitätsmanagement.
Keiner hat die Kräfteverteilung der Weltwirtschaft des 20. Jahrhunderts dermassen geprägt wie Deming. Im «System of Profound Knowledge» versuchte er seinem Wissen zur Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen eine einfache und einprägsame Struktur zu geben. Erstmals vorgestellt und dokumentiert wurde das System am 3. Januar 1990, also knapp 4 Jahre vor Demings Tod.
Ein System besteht aus verschiedensten Komponenten, die sich alle in den Dienst eines gemeinsamen Zieles stellen. Ganz nach dem Motto: Ohne Ziel kein System! Da es dem Menschen schwer fällt, vernetzt d.h. in Systemen zu denken, führt dies zu folgenden Problemen:
1. Eine Komponente wird zum Nachteil der anderen gefördert. Meist ist es der Teil eines Systems, den wir am besten verstehen und dem wir auch unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
Deming vertritt ein umfassendes Prozessverständnis. Was immer der Mensch tut, denkt, fühlt und empfindet, ist Bestandteil eines Prozesses. Prozesse transformieren Input in Output und nichts in dieser Beziehung ist absolut fix oder beständig. Alles ist veränderlich. Dies ist nicht neu. Der Mensch hat es immer verstanden, damit zu leben. Seit vielen Jahrzehnten erforschen die Statistiker die Zusammenhänge. Neu ist hingegen, dass die Variation in der Form der Statistischen Prozessüberwachung (Statistical Process Control SPC) zu einem grundlegenden Bestandteil der Unternehmensführung gemacht wurde.
«Management heisst Voraussagen (Management is Prediction). Ohne Wissen lässt sich nichts voraussagen. Es gibt kein Wissen ohne Theorie. Ohne Theorie keine Fragen. Ohne Fragen gibt es kein Lernen.» Deming betont, dass sein Verständnis für dieses Thema grundlegend durch das Buch von Clarence Irving Lewis, «Mind and the World Order», geprägt wurde. Management stützt sich auf Prognosen. Prognosen stützen sich auf Erfahrung oder Theorie. Beides isoliert betrachtet, ist gefährlich. Theorie ohne Erfahrung ist wertlos und Erfahrung ohne Theorie ist kostspielig und Gefahr voll.
In der Vergangenheit veränderten sich die Dinge langsam. Erfahrung war ein guter Ratgeber. Doch heute überstürzen sich die Ereignisse. Was heute richtig ist, ist möglicherweise morgen bereits falsch. Doch falsche Weltbilder, falsche Überzeugungen, eingefleischte Gewohnheiten haben ein langes Leben. Die Geschichte bietet dazu unzählige Beispiele (z.B. Taylorismus). Doch das einzige was Geschichte uns lehrt, ist, dass der Mensch aus der Geschichte leider nichts lernt. Was sich hier als Humor anhört, kann für ein Unternehmen zum Galgenhumor werden. Auch dazu gibt es unzählige Beispiele. Blindes Vertrauen in Erfahrung ebenso wie blindes Vertrauen in Theorien können fatale Auswirkungen haben. Deshalb sollte jeder auch nur einigermassen plausible Ansatz erprobt, das heisst zum Ausgangspunkt des PDCA-Regelkreises gemacht werden. Ist der Ansatz geeignet das Problem zu lösen – im kleinen Massstab ebenso wie im System? In diesem Sinne sollte ein Manager auch über die Qualitäten eines Forschers verfügen, ja diese sogar übertreffen. Denn seine Fehlentscheide bringen nicht nur ein theoretisches Gebilde ins wanken, sondern gefährden die Existenz von Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und Aktionären.
Produkte und Dienstleistungen werden von Menschen geschaffen. Jeder Mensch ist ein Unikat. Es ist für das System erfolgreicher, die Menschen zu führen, als sie anzutreiben. Jeder Mensch verfügt über unabsehbare Möglichkeiten. Infolge mangelndem Selbstvertrauen und mangelndem entgegengebrachtem Vertrauen sind sich die meisten dessen gar nicht bewusst. Dieses unermessliche Potenzial an Kenntnissen, Kreativität und Tatkraft kann genutzt werden, wenn der Mensch geführt und gefördert statt angetrieben und frustriert wird.
Zu Beginn der 80er Jahre arbeitete Watts Humphrey als Director of Technology Assessment für IBM. Später übernahm er dann eine führende Funktion im Bereich der Software Qualität und Prozesse, die er dann auch bis zu seiner Pensionierung 1986 inne hatte. Humphrey wurde 1987 an das damals gerade gegründete SEI (Software Engineering Institute) an der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh berufen. Sein erster Auftrag war, zusammen mit einem Team von der MITRE Corporation, ein Konzept zur Evaluation von Softwareanbietern zu erarbeiten. Diese Arbeit war der Grundstein des Software CMM.
Das CMM resp. dessen Weiterentwicklung CMMI decken damit den Bereich der Unternehmung und deren Prozessbewertung ab und erklären was zu tun ist, aber nicht wie es zu tun ist. Diese Erkenntnis führte zu Beginn der 90er Jahre zum Start an den Arbeiten zum PSP (Personal Software Prozess). Dieser dient dem einzelnen Software-Entwickler zur strukturierten Arbeit und seiner persönlichen, kontinuierlichen Verbesserung. Nach ersten intensiven und positiven Erfahrungen mit dem PSP lernten die Beteiligten, dass noch das Element des Teams als Bindeglied vom Individuum zur Organisation (Unternehmung) fehlte. Dies war ausgangs des 20. Jahrhunderts die Geburtsstunde des TSP (Team Software Prozess). Jetzt waren die drei Teile Organisation, Team und Individuum miteinander vernetzt.
Humphrey ist wie Deming von der starken Überzeugung geprägt, dass der Mensch der zentrale Faktor zum Erfolg ist. Tools wie Maturitäts-Modelle, Prozess Dokumentationen und Reporting Tools sind wichtige Hilfsmittel zum Selbstmanagement, Analyse der Arbeitsweise und der Resultate sowie der daraus abgeleiteten Verbesserung, eines Individuums oder vor allem eines sich selbst führenden Teams.
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Wie das «System of Profound Knowledge» von W.
Edwards Deming zeigt, sind vernetzte Systeme stärker als einzelne kleine Systeme. Angewandt auf die Industrie lässt sich somit ableiten, dass Firmen, welche sich für bestimmte Gebiete zum Zwecke von Erfahrungsaustausch und Wissensförderung in verschiedenen Interessensgemeinschaften zusammenfinden, sich gegenseitig stärken und somit auch das einzelne Mitglied auf dem Markt wettbewerbsfähiger wird.
Wird das ganze im Kontext, beispielsweise der schweizerischen Volkswirtschaft, betrachtet, so ergäbe eine Vernetzung vieler Unternehmungen auch eine nachvollziehbare Stärkung der schweizerischen Volkswirtschaft auf dem Weltmarkt. Um den Aufbau und die Pflege eines solchen Interessensnetzwerkes im Bereiche der schweizerischen Softwareindustrie zu ermöglichen resp. voranzutreiben, engagiert sich der Branchenverband SwissICT mit der Organisation und Durchführung des QSEN-Symposiums vom 30./31. Oktober dieses Jahres in Solothurn (siehe Veranstaltungskalender). QSEN steht für Quality System Engineering Network. QSEN soll der schweizerischen Software Industrie sowohl im Bereich der Entwicklung und Wartung von Stand-alone-Applikationen wie auch von Embedded-Systemen die Plattform zur nachhaltigen Vernetzung in den Bereichen Prozess- und Qualitäts-Management sein.