Wo steht der ERP-Markt?


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/16

     

Zwei Jahre war Ruhe. Nun liegen sie vor: Die Ergebnisse der «Anwenderzufriedenheits-Studie ERP/Business Software Schweiz 2008». Direkt vorweg: Eine Studie dieser Art ist nicht geeignet für reisserische Aufmacher. Schliesslich hat sich auch in diesem Jahr eine beeindruckende Anzahl von Unternehmen beteiligt und 927 ERP-Installationen bewertet. Die Erkenntnis liegt somit im Detail, und hier kann man von der ERP-Zufriedenheitsstudie noch immer viel lernen.



Mehrsprachigkeit bei ERP-Systemen





ERP-Systeme im Überblick


Markt zeigt sich stabil auf durchschnittlichem Niveau

Nimmt man den Mittelwert bezüglich des Aspektes «Zufriedenheit mit dem System» von 2006 (4.18) und vergleicht ihn mit dem aktuellen Wert (4.15), ergibt sich nur eine geringe Verschiebung. Selbiges gilt für den Wert «Zufriedenheit mit dem Implementierungspartner» mit 2006 (4.08) und 2008 (4.05). Damit wird erneut klar: Der ERP-Markt als Ganzes erhält ein «gut» – nicht schlechter, aber leider auch nicht besser. Eine Benotung mit «gut» wäre für viele Schweizer Industrieunternehmen natürlich schon lange nicht mehr ausreichend: Wer sich auf einem immer rauheren Markt behaupten möchte, strebt nach Excellence und «sehr guten» Noten.


Damit wird klar: Der ERP-Anbietermarkt hat das Umsatzwachstum und den damit gestiegenen Ressourcen-Bedarf ohne allzu grosse negative Folgen in Bezug auf die Dienstleistungsqualität gemeistert, wirkliche und nachhaltige Verbesserungen sind allerdings auch nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem Investitions- und Innova­tionsschub, den einige Anbieter in den letzten zwei Jahren eingeläutet haben: Ein Effekt in Bezug auf die Anwenderzufriedenheit ist nicht messbar! Eigentlich schade um die vielen Millionen und Milliarden, die in allerlei Technologieschabernack geflossen sind. Dienstleistungsqualität bleibt für viele Anbieter ein Stiefkind.






Anwenderzufriedenheit ERP-Systeme 2008



Zufriedenheitsaspekte im Detail


Frühere Erkenntnisse werden erneut bestätigt

Nun klingt es fast schon ein wenig gebetsmühlenhaft, aber dennoch: Die kleinen Anbieter haben den grossen noch immer eine Nase voraus, wenn es um die Anwenderzufriedenheit geht. Die Gründe hierfür sind bekannt: Einerseits sind kleine Anbieter näher am Kunden, andererseits sehen sich kleine Anbieter nicht mit den immer ausladenderen Wunschlisten konfrontiert. Solche Wunschlisten sind gerade bei Grossunternehmen üblich, greifen aber auch auf grössere KMU über. Gerade erst heute wurde dem Autor von einer Ausschreibeunterlage mit weit über 3000 Anforderungen berichtet.

Da ist es dringend notwendig, die grossen Anbieter zu trösten: Bei solchen Wunschlisten kann man es nicht mehr allen recht machen. Problematisch dabei ist, dass immer mehr Unternehmen die Konsensfindung bei solchem Wunschlistenverhalten gerne an die Anbieter selbst delegieren. Diese sollen gefälligst den Ausgleich zwischen all den Anwenderinteressen suchen. Dass solche Ansätze auch ins Geld gehen, scheint gerade vielen Anwenderunternehmen nicht bewusst. Man provoziert mit dem eigenen Verhalten quasi Nachträge in Form von Change Requests und wundert sich anschliessend dennoch darüber.


Partnerqualität nicht ganz im Griff

Ein weiteres Problem offenbart sich auch deutlich: Gerade grosse und internationale Anbieter, etwa Microsoft, Lawson oder Infor, werden in Bezug auf die Systemzufriedenheit deutlich besser bewertet wie der Partner selbst. Ein alteingesessener IT-Leiter formulierte diesen Umstand einmal ganz salopp: «Die bringen ihre PS nicht auf die Strasse». Deutlich hebt sich hier SAP ab, das in Bezug auf beide Kriterien ähnlich bewertet wird, was letztlich als positives Ergebnis eines langjährigen und intensiven Partnermanagements und intensiver Beraterausbildung zu werten ist.


Mythen und Realitäten

Noch immer gibt es in der ERP-Diskussion ein Killerkriterium, das als universeller «Haudrauf» gerne genutzt wird: Die Mehrheit der ERP-Systeme ist nicht mittelstandsgeeignet. Ein Blick auf das Zufriedenheits­portfolio nach Aspekten sollte einen dabei eines anderen belehren: «Mittelstandseignung» (oder in der Schweiz richtiger: KMU-Eignung) steht an fünftbester Stelle unter den Zufriedenheitsaspekten – und das auch noch bei einem annehmbaren Varianzmass.

Interessanter sollte daher die Schlussgruppe sein: Einsam stellt das Thema «Formulare und Auswertungen» auch in diesem Jahr den Tiefpunkt dar, gefolgt von den Themen «Wissens- und Schulungsangebot» und «Schnittstellen». Eigentlich wird es dringenst Zeit, dass sich wirklich alle Anbieter strukturiert und ganzheitlich dieser Themen annehmen und hier an Lösungen arbeiten. Interessant ist die hohe Zufriedenheit mit dem Thema «Branchenkompetenz». Hier scheint wenigstens einer der zentralen Trends, den viele Anbieter in den letzten Jahren aufgegriffen haben, zu positiven Bewertungen zu führen.


Neuerungen in der Studie

Nachdem die Studie nur noch im 2-Jahres-Rhythmus durchgeführt wird, gab es natürlich auch Zeit für Neuerungen bei der Studie an sich. Neu wurde das Bewertungskriterium «Zufriedenheit mit dem Betriebs­partner» eingeführt. In der Vergangenheit wurde immer nur die Zufriedenheit mit dem Implementationspartner abgefragt und damit stets auf den Zeitraum der Einführung und Projektierung verwiesen.



Der neue Wert rückt den Umstand in den Mittelpunkt, dass die Betriebs­phase eines ERP-Systems über viele Jahre geht und letztlich wichtiger ist, als die ursprüngliche Einführung. Hieraus ergeben sich natürlich auch gewisse Verschiebungen. Im Durchschnitt werden die einzelnen Anbieter und Beratungspartner in Bezug auf die Betriebsphase noch immer leicht schlechter bewertet als in Bezug auf die Implementation (4.01 zu 4.05).




Immer wieder monieren Anwender, dass sie von ihren Anbietern nach Ende des formalen Projektes alleingelassen werden und damit letztlich auf einer ERP-Baustelle ohne Hilfe sitzenbleiben.
Eine weitere Änderung betrifft die konsequente Nutzung von Methoden der Wirtschaftsstatistik zur Qualitätssicherung der ERP-Daten. Hierzu hat die i2s unter anderem intensiv mit der Universität Dresden sowie der Wirtschaftsuniversität Wien zusammengearbeitet. Mit Hilfe von statistischen Methoden und SPSS wurden die Datensätze der Anwender des jeweiligen Systems auf ihre Normalverteilung geprüft.



Dabei wurde das Prüfverfahren nach Kolmogorov-Smirnov angewandt. Die Ergebnisse sind insgesamt beeindruckend: Die Studie ist statistisch gesehen exzellent. Leider musste aber auch in diesem Jahr ein Anbieter ausgeschlossen werden, dessen Datengesamtheit weit weg von einer Normalverteilung lag und daher Manipulationen nicht ausgeschlossen werden konnten. Der Einsatz von anerkannten statistischen Methoden sollte nun ein für alle Mal einigen Anbietern den Wind aus den Segeln nehmen, die bei schlechten Benotungen gerne wüste Attak­ken auf die Urheber der Studie reiten.


Zum Hintergrund der Studie

Die ERP-Zufriedenheitsstudie – kurz ERP-Z – wird seit 2003 regelmässig in der Schweiz und allen anderen deutschsprachigen Ländern einschliesslich der Region Südtirol durchgeführt. Insgesamt haben sich 2008 über 3000 Unternehmen an der Studie beteiligt. Die Studie ist in dieser Form die weltweit umfassendste ihrer Art und wurde mittlerweile in vielen Ländern Europas sowie den USA auf anerkannten Foren und Publikationen vorgestellt. Die i2s unterhält für die Studie ein eigenes Team, das Anwender wie Anbieter betreut. Die Leitung liegt bei Sabina Lichtensteiger, die statistischen Auswertungen wurden von Philip Drack vorgenommen. Mehr Informationen zur Studie und die Möglichkeit, den ausführlichen Bericht zu bestellen, finden Sie unter www.erp-z.info.


Der Autor

Dr. Eric Scherer ist Geschäftsführer des Beratungs- und Markt­forschungsunternehmens i2s. Er gilt als einer der führenden ERP-Experten und ist Initiator der ERP-Zufriedenheitsstudie. Sie erreichen ihn unter scherer@i2s-consulting.com.




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