Im Gesundheitswesen ist Verlässlichkeit gefragt

Anwendungen aus den Bereichen Health-Monitoring und der Unterstützung älterer Menschen in ihrer gewohnten Lebensumgebung (E-Inclusion) erfordern zuverlässige Infrastrukturen, die kontinuierliche Sensorsignale verarbeiten können, um kritische Situationen online zu erkennen. Wir stellen mit OSIRIS-SE eine Middleware-Infrastruktur vor, die speziell für solche Arten von Anwendungen entwickelt wurde.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/16

     

Aktuelle Entwicklungen in der Informationstechnologie führen zu enormen Leistungssteigerungen von Prozessor- und Speichertechnik bei gleichzeitiger Reduktion von Gewicht, Volumen und Stromverbrauch. Damit lassen sich mehr oder weniger unsichtbare Computer und Sensoren realisieren. Diese können in Pervasive-Computing-Anwendungen unauffällig in Kleidung oder Dinge des täglichen Gebrauchs eingebettet werden, wodurch relevante Informationen ubiquitär und situations-, zeit- sowie ortsabhängig verfügbar werden.


Diese Entwicklung fördert in höchstem Masse auch Anwendungen im Gesundheitswesen, insbesondere bei der Überwachung von Risikopatienten und chronisch Kranken (Health Monitoring). Genauso nützlich sind derartige Anwendungen aber auch bei der Unterstützung der alternden Gesellschaft, um dieser ein möglichst langes autonomes Leben ermöglichen zu können
(E-Inclusion).

Mittels geeigneter Sensoren können physiologische Parameter der Patienten ausserhalb der stationären Aufnahme kontinuierlich überwacht werden, um ihre Therapie zu kontrollieren und im Notfall sofort eingreifen zu können. Für E-Inclusion sind zusätzlich zu den medizinischen Biosensoren noch spezielle kognitive Hilfssysteme (z.B. zur Aktivitäts- oder Kontexterkennung) notwendig. Beide Anwendungsbereiche verlangen einen hohen Grad an Verfügbarkeit der Information und Verlässlichkeit der zugrundeliegenden IT-Infrastruktur.






Grobarchitektur für Telemonitoring im Gesundheitswesen


Den Gesundheitszustand online erkennen

Benutzer müssen sich auf die eingesetzten Systeme verlassen können. Aus technischer Sicht bedeutet dies, dass neue Informationssystem-Infrastrukturen Ströme von Sensordaten und Workflow-Prozesse integriert verarbeiten können müssen. Die kontinuierliche Verarbeitung von Datenströmen im Lebensbereich der Betroffenen erlaubt es, ihre Aktivitäten respektive ihren Gesundheitszustand online zu erkennen und wenn nötig Assistenzfunktionen anzubieten.

Die geforderten Verlässlichkeits­garantien beinhalten unter anderem Überprüfbarkeit der Korrektheit von Anwendungen, die Erfassung aller Ausnahmesituationen und das Ausführen von Alternativen zur Behebung von Fehlern. Eine besondere Anforderung einer Pervasive-Healthcare-Infrastruktur ist die verlässliche Einbindung von mobilen Geräten (wie z.B. PDAs) oder Sensorsystemen. Während eine Vorverarbeitung von Sensorsignalen bereits auf mobilen Geräten erfolgen kann, ermöglicht erst der Transfer von Sensordaten an eine Basisstation, zum Beispiel einen Heim-PC, respektive die anschliessende Übertragung an den Gesundheitsversorger die Anwendung von komplexen Auswertungsalgorithmen durch die deutlich grössere Rechenleistung.


Flexible Middleware verarbeitet Datenströme

Die OSIRIS-SE-Middleware, die an der Forschungsgruppe Datenbanken und Informationssysteme der Universität Basel entwickelt wurde, setzt eine Reihe dieser Anforderungen um. Dazu gehören neben den bereits erwähnten Eigenschaften eine dezentrale Ausführungsumgebung, die einen Single-Point-of-Failure vermeidet, die transparente Replikation von Datenstromoperatoren zur Erhöhung der Verfügbarkeit sowie die verlustfreie Migration von Datenstromoperatoren im Fehlerfall. Letzteres ist erforderlich, da die Fehlerwahrscheinlichkeit in einer verteilten Umgebung mit mobilen Geräten und drahtloser Kommunikation stark erhöht ist.



OSIRIS-SE unterstützt Datenstromprozesse, durch die beispielsweise ein Gesundheitsdienstleister einzelne Datenstromoperatoren anwendungsspezifisch kombinieren kann. Eine flexible Fehlerbehandlung erlaubt es, den Ausfall einer Komponente durch die Verarbeitung der Sensorsignale nach der Migration eines Datenstrom­operators nahtlos an einer anderen Stelle im System zu kompensieren und so dem Patienten ein grosses Mass an Zuverlässigkeit zu garantieren. Bei Datenstromoperatoren hängt üblicherweise die aktuelle Verarbeitung nicht nur von aktuellen Eingangsstromdaten ab, sondern auch von früheren Stromdaten (beispielsweise bei der Berechnung eines gleitenden Mittelwerts über die letzten zehn gemessenen Blutdruckwerte).

Falls eine Operatorinstanz von einem Knoten zu einem anderen transferiert werden muss, so hat die Infrastruktur auch den Transfer des Operatorzustandes zu gewährleisten. In OSIRIS-SE werden Eingabe- und Ausgabeströme jeweils in Warteschlangen zwischengepuffert. Zusätzlich garantiert die Infrastruktur eine äusserst zuverlässige FIFO-Kommunikation zwischen der Ausgangs-Queue des Vorgängers und der Eingangs-Queue des Nachfolgers.


Regelmässige Sicherung auf einem Knoten

Damit im Falle von Fehlern verhindert werden kann, dass Daten verlorengehen, muss die Infrastruktur zu bestimmten Sicherungspunkten Backups der Operatorzustände durchführen. Dazu gehört jeweils auch der Inhalt der Ausgangswarteschlange. Die regelmässige Sicherung der Operatorzustände auf einem (Stand-By-) Knoten, üblicherweise ein Knoten, der im Fehlerfall auch eine Ersatzinstanz des Operators betreiben kann, wird als passives Stand-By bezeichnet.

OSIRIS-SE unterscheidet zwischen unkoordinierten und koordinierten Sicherungspunkten. Im ersten Fall können einzelne Operatoren unilateral den Zeitpunkt eines Backups festlegen. Bei koordinierten Backups müssen sich zunächst mehrere Operatoren über einen gemeinsamen Backup-Zeitpunkt einigen, es müssen aber deutlich weniger Daten aus den Ausgangswarteschlangen über das Netzwerk zu den Backup-Knoten transferiert werden als im unkoordinierten Fall.
Eine weitere Möglichkeit der Fehlerbehandlung in OSIRIS-SE ist die Definition von alternativen Ausführungen, zu denen zur Laufzeit umgeschaltet werden kann. Steht keine alternative Beschreibung zur Verfügung, so kann der Anwendungsentwickler einen traditionellen Workflow als Alarmprozess vorsehen.



In verschiedenen aktuellen Projekten wird derzeit an einer Verknüpfung von OSIRIS-SE mit anderen Anwendungen gearbeitet. So ist etwa ein Gegenstand des von der EU geförderten DELOS-Netzwerks (Network of Excellence in Digital Libraries) die enge Einbindung der Datenstromverarbeitung von OSIRIS-SE in eine Infrastruktur zur Verwaltung virtueller elektronischer Krankenakten.


Gesundheitswesen im digitalen Zeitalter

Am 26. und 27. September 2007 treffen sich in Nottwil Exponenten aus Medizin und Gesundheitswesen zur 7. Auflage des Kongresses eHealthCare.ch. 150 national und international renommierte Fachreferentinnen und -referenten präsentieren dem Fachpublikum ihre Erfahrungen, Visionen und Erkenntnisse und zeigen die neusten Entwicklungen und Trends. Parallel dazu stellen über 90 Unternehmen ihre jüng­sten Produkte und Dienstleistungen vor. Erwartet werden über 1500 Entscheidungsträger aus Gesundheitswesen und IT. Das diesjährige Konferenzprogramm beinhaltet acht thematische Module mit über 30 Symposien, Foren und Podiumsdiskussionen, die praktisch das ganze Spektrum von eHealth abdecken.
Detailinformationen zu Konferenzprogramm, Terminen und Ausstellern finden sich unter www.ehealthcare.ch.


Nationale Strategie eHealth

Der Bundesrat beauftragte das Eidgenössische Departement des Innern, bis Ende 2006 ein Konzept für eine nationale Strategie eHealth vorzulegen. Dieses Konzept liegt seit Anfang Jahr unter dem Titel «Nationale Strategie eHealth» vor und kann auf der Website des Bundesamtes für Gesundheit unter http://www.bag.admin.ch heruntergeladen werden.


In diesem Strategiepapier werden die Zielsetzungen für den Zeithorizont 2007 bis 2015 gegeben, Massnahmen aufgezeigt und ausserdem ein grober Zeitplan festgelegt. Drei Handlungsfelder stehen im Vordergrund:




· Im Handlungsfeld A geht es um elektronische Patientendossiers. Ziel dabei ist, ab 2008 die Versichertenkarte einzuführen, mit einer freiwilligen Option für persönlich-medizinische Daten. Ab 2010 sollten die akut-somatischen Spitäler sowie die integrierten Versorgungsnetze mit einer elektronischen Krankengeschichte versorgt sein. Ab 2015 soll das elektronische Patientendossier für alle Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz verfügbar sein.



· Das Handlungsfeld B betrifft Online-Informationen und Online-Dienste. Bis zum Jahr 2010 sollten die gesundheitsbezogenen und qualitätsgesicherten Informationsangebote von Bund, Kantonen und Gemeinden nach Zielgruppen und Themen strukturiert vorliegen. Bis 2015 soll der sichere Zugang der Bürgerinnen und Bürger auf ihr elektronisches Patientendossier mit der Möglichkeit verknüpft werden, zertifizierte und spezifische Informationen abrufen zu können.



· Im Handlungsfeld C geht es um die Umsetzung und Weiterentwicklung der Strategie eHealth des Bundes. Neben dem Aufbau einer nationalen eHealth-Architektur soll bis 2008 ein Evaluationsverfahren entwickelt werden, um die Qualität zu sichern. Zudem sollten bis 2010 funktionsgerechte Bildungsmassnahmen für die im Gesundheitssy­stem tätigen Fachpersonen bezüglich eHealth existieren.


Im Strategiepapier des Bundes zum Thema eHealth wird die Absicht geäussert, die Entwicklungen auf dem Gebiet eHealth mit der WHO und der EU abzustimmen.


Die Autoren

Dr. Gert Brettlecker und Prof. Dr. Heiko Schuldt sind Angehörige der Forschungsgruppe Datenbanken und Informationssysteme an der Universität Basel




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