Editorial

Mekka der günstigen Produktionskosten


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/20

     

Seitdem im Jahr 2000 die IT-Branche unter Druck geraten ist, sind Löhne und Honorare gesunken und die Zahl der Arbeitslosen erheblich gestiegen. Ein Grund dafür ist auch die vermehrte Auslagerung der Softwareproduktion in Billiglohnländer wie zum Beispiel nach Indien.
Die indischen IT-Spezialisten haben eine gute (Fach-)Ausbildung und besitzen durchs Band ein hohes kundenorientiertes Denken. Gerade damit haben sie den schweizerischen Arbeitnehmern einiges voraus, denn diese sind nicht nur teurer, sondern denken auch nicht immer besonders servicebezogen. Grundsätzlich könnten alle Schweizer Arbeitnehmer durch kostengünstigere Inder ersetzt werden; nach Meinung von Branchenkennern auch Manager und Verwaltungsräte.
Zu beachten ist allerdings, dass die kulturellen Unterschiede zusätzliche Kosten verursachen:







• Indische Informatiker halten sich genau an die Vorgaben. Diese müssen deshalb sehr detailliert ausformuliert werden, was eine sorgfältige Dokumentation von Betriebsabläufen und Änderungswünschen erfordert.


• Um die Kommunikation zwischen Schweizern und Indern sicherzustellen, müssen Schweizer Projektmitarbeitende regelmässig nach Indien reisen.


• Inder sprechen meist englisch, jedoch nicht akzentfrei. Schweizer beherrschen die Englische Sprache nicht immer einwandfrei.


• Die indische Kultur hat andere Bräuche als die der industrialisierten Länder. Dadurch entstehen schnell Missverständnisse.


• Im Offshoring wird nur ein bestimmtes Zeitfenster für die Aufgaben zur Verfügung gestellt. Ist dieses abgelaufen, werden die Ressourcen gegen einen viel höheren Betrag weiter eingesetzt.


• Sobald ein Teil der Produktion ausgelagert wird, müssen die einzelnen Arbeitsstationen sorgfältiger definiert werden. Erste Abklärungen, Analyse und Design müssen genau dokumentiert werden – natürlich in englischer Sprache. Für Integration und Abnahme muss in der Schweiz eine eigene Abteilung auf- oder ausgebaut werden. Dies erfordert ein konsequentes Qualitäts- und Testmanagement.


• Gerade bei Banken und Lebensversicherungen herrschen diesbezüglich spezifisch schweizerische Regelungen und Praxen. Indische Mitarbeiter müssen, um ihre Arbeit korrekt ausführen zu können, darin ausgebildet werden.


• Werden Fehler erst im Betrieb erkannt, ergeben sich zusätzliche Schwierigkeiten. Damit ein Unterbruch so kurz wie möglich ist, müssen die entsprechenden Verantwortlichen in Indien jederzeit erreicht werden können und die Probleme in englischer Sprache gelöst werden. Schweizerische Mitarbeiter würden für die Problembehebung mehr Zeit in Anspruch nehmen, da sie die Programme nicht selbst geschrieben haben.


• Durch die Auslagerung der Softwareerstellung in Offshore-Länder entsteht ein entsprechender Know-how-Verlust. Dieser wird spätestens bewusst, wenn ein Insourcing stattfindet.
Abgesehen von den nicht einkalkulierten Mehrkosten der oben aufgeführten Posten, hat Offshoring auch negative Auswirkungen für die Gesamtwirtschaft, indem offshorewillige Unternehmen ihre soziale Verantwortung nicht wahrnehmen: Die Arbeitslosigkeit und die tieferen Steuereinnahmen drücken auf die Kaufkraft. Die Frustration wird dadurch zunehmen und Schweizer Firmen werden nicht mehr als schweizerisch angeschaut.
Die IT-Branche pflegt heute teils selber einen paradoxen Umgang mit der Problematik. So wird auf der einen Seite auf die spezifisch schweizerische Verankerung hingewiesen, während auf der andere Seite gleichzeitig Offshore-Dienstleistungen bezogen werden. Eine Art Schweizer Taschenmesser «Made in Indien».




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