IT-Outsourcing - Vom Sparen zum Werte schaffen

Outsourcing als Bestandteil der Unternehmensstrategie bedeutet, nicht allein Kosten zu senken, sondern neue Unternehmenswerte zu schaffen und - immer wichtiger - Veränderungsprozesse anzustossen. Am Beispiel der IT-Sourcing-Strategie der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) stellen die Autoren dar, wie diese Ziele in der Praxis umgesetzt werden können.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/14

     

Lieferanten tragen auch bei IT-Leistungen einen immer grösseren Teil zur Wertschöpfung bei. Gerade beim IT-Outsourcing sind Kosteneinsparungen noch immer die vorrangige Motivation. Dabei verdeckt der reine Kostenfokus wesentliche Stärken von Outsourcing-Strategien und kann aufgrund von Qualitätseinbussen sogar negative Folgen haben. So wird das eigentliche Outsourcing-Potential häufig unterschätzt: Outsourcing generiert Unternehmenswert, ist somit wichtiger Bestandteil der Unternehmensstrategie und fungiert zusätzlich als Treiber von Veränderungsprozessen.



Die SBB-Informatik, die IT-Services für rund 15’000 Anwenderinnen und Anwender an mehr als 800 Standorten im In- und Ausland bereitstellt, hat den Betrieb ihrer zentralen Systeme schon frühzeitig an einen externen Partner ausgelagert. Nach rund siebenjähriger Outsourcing-Erfahrung gewichteten die SBB-Informatiker bei der Neuvergabe des Outsourcing-Kontraktes zusätzlich zu strengen Kostenzielen auch diese qualitativen Faktoren stark. Eine wesentliche Entscheidung war dabei von Anfang an die Umstellung von einer Single- auf eine Multi-Sourcing-Strategie.


Optimale Fertigungstiefe macht IT agiler

IT-Outsourcing als Teil einer unternehmensweiten Sourcing-Strategie verknüpft die Lieferantenleistungen mit den eigenen Stärken des Unternehmens. Konkret: Leistungen werden so weit ausgelagert, dass keine Abhängigkeiten in strategisch wichtigen Bereichen entstehen, aber gleichzeitig unnötige interne Spezialisierungen vermieden werden. «Die SBB sind kein IT-Unternehmen, sondern sie transportieren Personen und Güter», lautet deshalb das Motto bei der Erbringung von IT-Services. So konzentriert man sich auf die Entwicklung von Services, die eine grosse Nähe zum Bahngeschäft aufweisen und hohe SBB-spezifische Anforderungen stellen. Entwicklung und Betrieb von Commodities hingegen werden weitgehend externen Partnern überlassen. Oberstes Ziel ist eine optimale Fertigungstiefe, die je nach Leistungsbereich variieren kann. Die Wahl der passenden Fertigungstiefe bestimmt massgeblich die Art und den Umfang des Outsourcing-Vorhabens und hat somit entscheidenden Einfluss auf den Erfolg der Transition und die spätere Leistungsbeziehung mit dem Provider.


Allgemein hat sich ein zweistufiges Modell für die Wahl der passenden Fertigungstiefe bewährt: In einem ersten Schritt werden die Leistungsgebiete aus strategischer Sicht hinsichtlich ihrer Sourcing-Fähigkeit beurteilt. Im wesentlichen wird diese von zwei Faktoren bestimmt: der Bedeutung für das Kerngeschäft und dem Beitrag zu Wettbewerbsvorteilen. Leistungen mit geringer Bedeutung für das Kerngeschäft und vernachlässigbarem Beitrag zu Wettbewerbsvorteilen sind aus dieser Sicht potentielle Outsourcing-Kandidaten. In einem zweiten umsetzungsorientierten Schritt wird für jeden Bereich die Summe der Vorteile mit der Summe der Veränderungen und Risiken ver­glichen.



Im Fall der SBB wurden entsprechend standardisierte Leistungen mit Commodity-Charakter wie der Betrieb der Desktop-Systeme und des Mainframe ausgelagert. Hingegen werden Leistungen von strategischer Bedeutung weiterhin intern erbracht. Dies gilt etwa für die Individualentwicklung bahnspezifischer Applikationen und den Betrieb betriebskritischer Systeme wie der Directory-Services.


Eine optimale Fertigungstiefe schafft somit einen doppelten Mehrwert: Das Unternehmen konzentriert sich auf seine Kernkompetenzen und nutzt die Expertise der Lieferanten zum gegenseitigen Vorteil. Frei werdende Mittel können gezielt in die Erweiterung des Geschäfts umgelenkt werden (von «Run the Business» zu «Change the Business»).


Angesichts kürzerer Geschäfts- und Innovationszyklen wird die IT-Agilität – die Fähigkeit der IT, die veränderten Anforderungen der Fachbereiche so schnell und kostengünstig wie möglich umzusetzen – immer bedeutsamer. Eine hohe IT-Agilität erfordert eine gleichermassen flexible Sourcing-Strategie. Die Vertragspartner befinden sich damit in einem Spannungsfeld aus Standardisierbarkeit und Skalierbarkeit im Gegensatz zu Individualität und Innovation. Entsprechend den Marktanforderungen können die Leistungsvereinbarungen in einer Vielzahl von Kriterien wie beispielsweise Menge, Verfügbarkeit und Ausgestaltung bei geringerer Vorlaufzeit flexibel sein beziehungsweise Leistungen können kurzfristig ergänzt oder gekündigt werden.

Bei entsprechender Vertragsgestaltung können Outsourcing-Beziehungen agiler sein als die Leistungserbringung im Unternehmen. So haben die SBB mit dem Neuabschluss ihrer Sourcing-Verträge nicht nur bessere Konditionen erhalten, sondern auch mehr Leistung und gleichzeitig mehr Flexibilität durch On-demand- und Termination-Assistance-Vereinbarungen gewonnen.


Vom Single- zum Multi-Sourcing

Flexibilität beschränkt sich nicht nur auf die Leistungsebene, sondern übt einen prägenden Einfluss auf Art und Anzahl der Outsourcing-Beziehungen selbst aus. In der Vergangenheit herrschte das Modell «Single-Sourcing» vor, bei dem ein Grossteil der Leistungen in einer langfristigen Beziehung von einem Outsourcing-Partner erbracht wurde. Mittlerweile nimmt die Zahl der Single-Sourcing-Partnerschaften zugunsten eines sogenannten «Multi-Sourcing» ab. Dabei wird das Leistungsportfolio in mehrere, kleinere Vertragslose aufgebrochen, die separat ausgestaltet und vergeben werden. Das Ergebnis sind verringerte Vertragsvolumina und kürzere durchschnittliche Vertragslaufzeiten.


Für den Outsourcing-Geber hat der Multi-Sourcing-Ansatz gleich mehrere Vorteile: Neben stärkerem Wettbewerbsdruck auf die Anbieter werden die Flexibilität erhöht und die Abhängigkeiten gemindert. Aufgrund von Spezialisierungen können die einzelnen Leistungen an den jeweils qualifiziertesten Anbieter vergeben werden. Insbesondere über Innovationsklauseln kann der Outsourcing-Geber vom Know-how mehrerer Partner profitieren.



Der Fokus verschiebt sich damit von der klassischen Kostenorientierung hin zu einer optimalen und zielgerichteten Nutzung der Kompetenzen des Lieferantennetzwerks. Und hiervon profitieren alle Partner. Da ein hoher Anteil der Wertschöpfung von extern erbracht wird, ist es wichtig, die Lieferanten gut in den Innovationsprozess einzubinden, um die Weiterentwicklung des Outsourcing-Gebers optimal zu unterstützen.


Die SBB haben drei in sich geschlossene Leistungsbereiche an zwei Provider vergeben und mit Innovationsklauseln versehen, die den SBB-Informatikern Zugang zu neuen Technologien und aktuellem Fachwissen sichern.
Jedoch ist Multi-Sourcing erheblich komplexer als ein Single-Sourcing-Ansatz, da es schwieriger ist, mehrere Provider zu managen und die einzelnen Vertragslose optimal zuzuschneiden. Um Reibungsverluste im späteren Betrieb zu vermeiden, müssen die einzelnen Lose möglichst gut gekapselt und voneinander unabhängig sein.

Gerade bei Basistechnologien wie zum Beispiel Netzleistungen ist dies komplex und erfordert eine sorgfältige Governance. Die Provider müssen im Betrieb geführt und kontrolliert werden. Zudem muss das Lieferantennetzwerk für eine optimale Zusammensetzung laufend überprüft werden. Dies bedeutet gegenüber einem Single-Sourcing eine erhöhte Zahl von Transitionen und Provider-Wechseln.


Tiefgreifende Veränderungen

Outsourcing – und insbesondere die komplexen Anforderungen einer Multi-Sourcing-Situation – erfordert jedoch auch Anpassungen an der IT-Organisation des auslagernden Unternehmens. Durch die Vergabe werden bestehende Prozesse und Organisationseinheiten zwangsweise aufgebrochen und sie müssen neu ausgerichtet werden. Neben dem offensichtlichen Übergang von Mitarbeitenden zum Outsourcing-Nehmer nehmen operative, vorwiegend technische Aufgaben ab, während steuernde und koordinatorische Aufgaben, wie Provider-Management und die Pflege des Lieferantennetzwerks, wichtiger werden. Diese Verschiebung ist umso grösser, je serviceorientierter das Vertragswerk ausgelegt ist.


Für die Mitarbeitenden hat das im wesentlichen zwei Konsequenzen: Einerseits werden technische Aufgaben durch die Entlastung von Basistätigkeiten anspruchsvoller und stärker auf den Betrieb und die Weiterentwicklung der Kernsysteme ausgerichtet. Andererseits wird durch die steuernden Aufgaben das Arbeitsfeld IT für neue Berufsgruppen, wie etwa Betriebsökonomen, attraktiv. Diese organisatorischen Veränderungen haben massgeblichen Einfluss auf den Erfolg von Outsourcing-Vorhaben. Gerade in einem Multi-Sourcing-Umfeld mit naturgemäss häufigen Provider-Wechseln ist die Fähigkeit zur Steuerung und Integration der verschiedenen Provider unabdingbar.



Outsourcing ist jedoch nicht nur ein Treiber für Veränderungen der Prozesse und der Organisation, sondern auch ein Anlass, die gewachsene IT-Infrastruktur hinsichtlich Standardisierung, Sonderlösungen und Betriebsinseln laufend kritisch zu durchleuchten. In der Folge können dauerhafte Einsparungen erzielt und die Betriebsqualität erhöht werden. Auch die SBB haben im Zuge der Neuvergabe der IT-Leistungen ihre Systeme einschliesslich der unterstützten Applikationen komplett inventarisiert und deutlich reduziert. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten zeitgemässer Technologien, wie Virtualisierung und Dynamic Computing, für die spezifischen SBB-Zwecke ausgeschöpft.


Der Mehrwert einer zielgerichteten Outsourcing-Strategie übersteigt daher bei weitem den reinen Kostenfokus und wirkt als Bestandteil der gesamten Unternehmensstrategie über mehrere Aspekte:



- Konzentration auf die Kernkompetenzen – optimale Fertigungstiefe



- Steigerung der Innovationsfähigkeit



- Erhöhung der IT-Agilität



- Treiber für kontinuierliche Verbesserungen von Prozessen, Organisation und Systemen



- Nutzung des Lieferantennetzwerks zum gegenseitigen Vorteil.



Während die SBB in allen vergebenen Outsourcing-Losen die kommerziellen Ziele auf Anhieb erfüllen konnten, werden die Prozesse und Systeme kontinuierlich im täglichen Betrieb, auch im Zusammenspiel der verschiedenen Provider, Zug um Zug optimiert. Dies war insbesondere während der komplexen Transitionsphase eine grosse Herausforderung für alle beteiligten Parteien. Das Gute daran: Die Informatiker der SBB stärkten in diesem Übergangsprozess die Kompetenzen, die im täglichen Betrieb, vor allem aber für die Weiterentwicklung der Sourcing-Fähigkeiten der SBB von grossem Wert sind. So lässt sich bereits wenige Monate nach der vollständigen Implementierung der Multi-Provider-Strategie feststellen, dass sich ein Sourcing-Ansatz, der sich auf mehrere starke Provider-Schultern stützt, strategisch und auch praktisch bewährt.




Agile IT: Widersprüchliche Anforderungen


Die Autoren

Martin Röthlisberger ist Leiter des Operations Managements der SBB IT und Gesamtprojektleiter Sourcing 06, Jochen Decker ist Manager bei Esprit Consulting und Teilprojektleiter Sourcing 06.




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