Vom Flussdiagramm zum Workflow
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/05
Prozesse im Unternehmen sind ein heikles Thema. Eigentlich ist jede Tätigkeit ein Prozess, der mehr oder minder standardisiert immer wieder ausgeführt wird. Jeder Mitarbeiter hat diese Abläufe im Kopf und beherrscht zumindest die, die er regelmässig braucht. Ob ein Ablauf korrekt ausgeführt wird, hat also einiges mit der Erfahrung des Ausführenden zu tun. Dies ist auch dann wahr, wenn ein Unternehmen sehr stark prozessorientiert arbeitet und zum Beispiel alle wichtigen Prozesse in einem Prozesshandbuch abgebildet sind. Denn ein solches lässt immer einen Interpretationsspielraum. Zudem ist es kein Garant, dass die Mitarbeiter die Prozesse tatsächlich begreifen und richtig anwenden. Oft ist gerade die mangelnde Qualität, Aktualität oder Verständlichkeit des Prozesshandbuchs der Grund dafür, dass Prozesse nach Gutdünken ausgeführt werden.
Abhilfe erhofft man sich durch den Einsatz von Workflow-Tools, mit denen die fehleranfälligen Prozesse computergestützt nach sturem Schema dann hoffentlich immer gleich laufen sollen. Jedoch, wer ist damit nicht schon auf die Nase gefallen? Workflow-Projekte gehören mitunter zu den dunkelsten Kapiteln der IT, und das hat seine Gründe. Zudem lösen Workflows nur einen Teil der Probleme, denn sie ersetzen zum Beispiel weder eine Prozessdokumentation noch passen sie sich bei einer Reorganisation automatisch an. Aber dass sie nützlich sind, sofern sie richtig eingesetzt werden, lässt sich nicht abstreiten. Nur: Wie vermeidet man es, unterwegs auf der Strecke zu bleiben? Und wie kriegt man auch die anderen Probleme in den Griff?
Lassen Sie uns beim Kern des Problems anfangen: dem Menschen. Bei dem hat man es mit einer Gattung zu tun, die sich zwar in der Regel gerne führen lässt und ein grosses Bedürfnis nach Sicherheit hat, die aber gleichzeitig weder ihren Individualismus aufgeben noch sich überwacht fühlen will. Und weil standardisierte Prozesse alles andere als individuell sind und Workflow-Tools, die jeden Schritt auf die Sekunde genau messen und protokollieren, schnell an einen Film von Orson Wells erinnern, haben wir hier ein ernsthaftes Problem, das mit keinem technischen Mittel der Welt gelöst werden kann. Es aber so weit wie möglich zu entschärfen, ist eigentlich schon die halbe Miete.
Wenn man diesen Widerstand, mit dem auf jeden Fall zu rechnen ist, einmal beiseite lässt und sich auf das Inhaltliche konzentriert, steht man nach kurzer Zeit vor der nächsten Hürde: Jeder am Projekt Beteiligte ist überzeugt, dass seine Version der zur Diskussion stehenden Prozesse die einzig wahre ist. Während die verschiedenen Exponenten der Kundenseite sich in einem länger dauernden Streitgespräch ereifern, ihre Version durchzuboxen, lehnt sich der Prozessberater zurück. Oft werden in Prozessprojekten auch schlicht die falschen Personen mit den zu erledigenden Aufgaben betraut. Die IT-Abteilung, die die Workflows entwickeln soll, versteht nämlich a priori nichts von den Prozessen anderer Unternehmensbereiche. Sie soll dann aber möglichst gleichzeitig alle Prozesse aufnehmen oder aufgrund unterschiedlichster Darstellungen, die die einzelnen Geschäftsbereiche einreichen, etwas interpretieren, das sie gar nicht kann. Dass da nichts Gescheites dabei rauskommt, ist nicht schwer zu erraten.
Falls man soweit kommen sollte, mit der Entwicklung eines Workflows zu beginnen, steht einem als nächstes die eigene IT-Infrastruktur im Weg. Vielerorts sind die prozessrelevanten Systeme isolierte Silos, an die nur schwer heranzukommen ist. Prozesse zeichnen sich aber gerade dadurch aus, dass sie weder System- noch Abteilungsgrenzen kennen. Mit dem klassischen «Ich bau alles in meinem ERP»-Ansatz liegt man leider völlig falsch, denn damit sind viele teure Schnittstellen vorprogrammiert. In diesem Fall ist eine Service-orientierte Architektur mehr als nur ein Schlagwort. SOA ist die flexible Grundlage für Workflows, ohne die Prozessintegration zum kostspieligen Albtraum wird.
Bevor wir nun anschauen, wie man diese Steine aus dem Weg räumt, möchte ich noch einen Schritt zurück machen und der Frage nachgehen, wohin ein Unternehmen typischerweise mit Geschäftsprozessen unterwegs ist. Dadurch möchte ich ein paar andere wichtige Aspekte herauskristallisieren, die – so wird sich in der Folge noch herausstellen – mit den gleichen Ansätzen angegangen werden können. Typisch ist zum Beispiel, dass ein Unternehmen seine Prozesse den Mitarbeitern verfügbar machen will. Und zwar nicht mit wenig strukturierten Visio-Dokumentationen, die manuell in PDFs umgewandelt und als unwartbares verlinktes Gebilde ins Intranet gestellt werden. Ebenfalls oft nachgefragt ist die Möglichkeit, bei einer Reorganisation die bestehenden Prozesse möglichst ohne Aufwand neu anzuordnen respektive der neuen Unternehmensstruktur zuzuweisen. Oder wenn sich ein Unternehmen zertifizieren möchte, eine gesamte aktuelle Prozessdokumentation quasi auf Knopfdruck bereitstellen zu können. Oder man möchte im Zuge von Optimierungsübungen verschiedene Parameter über die ganze Prozesshierarchie hinweg auswerten.
Eine gute Ausgangslage bei so vielen komplexen Anforderungen ist es, zuerst einmal Transparenz und Ordnung zu schaffen. Damit alle das Gleiche sehen und wenn möglich auch noch das Gleiche verstehen. «Visualisieren» heisst das Zauberwort, denn sichtbare Prozesse sind eine verbindliche Grundlage für alle hier skizzierten Szenarien. Erfolg verspricht diese Visualisierung aber nur, wenn sie von den Prozess-Eignern gemacht wird, die ihre Prozesse genau kennen. Und damit diese wiederum in der Lage sind, zu visualisieren, benötigen sie ein Werkzeug, das genau das macht – nämlich visualisieren – und zwar in einer standardisierten, einfachen Weise, so dass man es auch ohne zweiwöchige Schulung bedienen kann. Am besten macht dieses Werkzeug ausser Visualisieren gar nichts, denn für alles andere gibt es wieder andere Werkzeuge, mit denen der Prozess-Eigner aber nichts zu tun haben sollte. Falls das Unternehmen einen zentralen Prozessverantwortlichen hat, sollte dieser das gleiche Werkzeug einsetzen können, um die verschiedenen Prozesse zu strukturieren und zu publizieren, damit sie allen Mitarbeitern zugutekommen. Und er sollte dadurch eine normalisierte Grundlage erhalten, um zum Beispiel mit der IT-Abteilung über Workflows zu sprechen.
Einordnung des Visualisierungstools
Gesucht ist also eine Lösung, die gleichermassen einfach in der Bedienung wie mächtig im Informationsgehalt ist, die unternehmensweit eingesetzt und die Prozesse zentral in einer Datenbank verwalten, dokumentieren und zur Verfügung stellen kann. Etwas, das vom normalen Mitarbeiter, der die Prozesse lernen und darin arbeiten muss, über den Prozess-Eigner und den Prozessverantwortlichen bis hin zur IT-Abteilung im Workflow-Projekt durchgängig genutzt werden kann. Doch ein Werkzeug allein ist erst die halbe Miete. Genauso wichtig ist eine Methode, die sicherstellt, dass alle Beteiligten gleich handeln. Ob das nun etwas Anerkanntes wie Prometheus oder ein pragmatischer Ansatz ist, spielt eigentlich keine Rolle. Wichtig ist, dass die «Flughöhe» für alle die gleiche ist – sprich: Es muss festgelegt werden, wie ein Prozess strukturiert sein soll, wie detailliert er abgebildet sein muss, welche Nomenklatur verwendet wird etc. Ein gutes Werkzeug muss die gewählte Methode unterstützen und sollte möglichst den Benutzer – vor allem den unerfahrenen – dahingehend leiten, dass er gar nicht aus der Reihe tanzen kann.
Dass das nicht so einfach zu sein scheint, zeigt ein Blick auf die zur Verfügung stehenden Lösungen. Während die einen viel zu umfangreich sind und gleichzeitig die Visualisierung nicht als besondere Stärke haben, scheitern die anderen an der Komplexität in der Bedienung. Und wenn man bedenkt, wie schwer sich die meisten Leute schon mit banalen Flussdiagrammen tun, ist das für den Erfolg tatsächlich nicht nur nebensächlich, sondern von zentraler Bedeutung.
Aber es gibt sie, die passenden Visualisierungstools. Mit ihrer Hilfe lassen sich nicht nur Prozesse sichtbar und damit wesentlich brauchbarer machen, sondern es wird auch die sonst sehr hohe Einstiegshürde in Workflow-Projekten tiefer gelegt. Plötzlich kann nämlich die IT-Abteilung viel besser verstehen, was die Business-Seite eigentlich meint, und man kann sich gemeinsam daran machen, die Funktionen zu identifizieren, die elektronisch unterstützt werden sollen. Danach ist es für die IT-Abteilung viel einfacher, die benötigten Schnittstellen und Workflows zu realisieren. Insbesondere können auch sich wiederholende Muster oder Teilabläufe identifiziert werden, die im Workflow anschliessend als Module gebaut werden und mehrfach verwendet werden können. Das wäre ohne einen unternehmensweiten Gesamtüberblick nie möglich. Durch eine gute Visualisierung als Vorbereitung werden Workflow-Projekte wesentlich kostengünstiger und die Umsetzungszeit verkürzt.
Der effiziente Einsatz von Geschäftsprozessen im Unternehmen hängt somit von vielen Faktoren ab, die alle durch eine saubere Visualisierung der Prozesse güns-
tig beeinflusst werden können. Workflows können auf einer einheitlichen Basis mit einer einfachen Drei-Schritt-Methode realisiert werden (Visualisieren – Entwickeln – Integrieren). Mit der gleichen Visualisierung können alle anderen Prozesse allen Mitarbeitern zugänglich und sichtbar gemacht werden. Anders als im klassischen Prozesshandbuch ist dieser Ansatz dynamischer. Er erlaubt dem Mitarbeiter einen direkten Einstieg (d.h. ohne
Medienbruch) in sämtliche Prozesse, egal ob diese nur aus einer Checkliste bestehen oder ob da-
hinter ein Workflow hängt. Damit ist die Prozessvisualisierung eine wichtige Grundlage für erfolgreiche Prozessprojekte in Firmen.
Patrick Püntener ist Mitglied der Geschäftsleitung der Basler itsystems AG. Sie erreichen ihn unter patrick.puentener@itsystems.ch