Informatiker: Ein Beruf ohne Zukunft?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/13
Obwohl die IT in den Unternehmen immer mehr an Bedeutung gewinnt, nimmt die Bereitschaft der Lehrbetriebe, Informatiker auszubilden, ab. Während im Jahr 2002 gesamtschweizerisch noch rund 1900 neue Informatiker ihre Lehre begannen, sind es dieses Jahr nur noch knapp 1200.
Kein Wunder, warnen Experten vor einem erneuten Informatikermangel. Und dies, obwohl hierzulande zur Zeit ein zunehmender Trend zum Offshoring in Billiglohnländer herrscht. Gemäss dem emeritierten ETH-Professor Carl August Zehnder sollen bis im Jahr 2010 rund 10'000 IT-Spezialisten fehlen.
Dies hängt aber auch damit zusammen, dass die Bereitschaft der Jugendlichen, eine Informatikerausbildung zu machen, seit dem Platzen der New-Economy-Blase kontinuierlich abgenommen hat. Die Gründe dafür liegen einerseits darin, dass die Attraktivität dieses Berufes aufgrund sich häufender Berichte über arbeitslose Informatiker abgenommen hat. Andererseits werden heute keine Phantasielöhne mehr bezahlt, was die Zukunftsaussichten zusätzlich trübt.
Im Jahr 2000 wurde die vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) gegründete Genossenschaft Informatik Berufsbildung Schweiz (I-CH) damit beauftragt, die berufliche Aus- und Weiterbildung in der Informatik neu zu strukturieren. Die Informatik Grundbildung und die höhere Berufsbildung wurden in ein modulares Bildungsmodell integriert (siehe InfoWeek 12/2004).
Mit dieser Reform wollte man ursprünglich die Zahl fundiert ausgebildeter Informatiker markant erhöhen. Die ersten Erfahrungen mit den Pilotprojekten in den Kantonen Bern, Luzern, Zürich, Genf, Neuenburg und Tessin zeigen zwar, dass die Spezialisierung des Berufsbilds an Bedeutung gewinnt, aber von den bis im Jahr 2007 angepeilten 12'000 neuen Lehrstellen jährlich ist man nach wie vor weit entfernt. Ob die reformierte Informatikerausbildung den gewünschten Erfolg bringen wird, bleibt also abzuwarten.
Ein Lehrling, der nach dem modularen Bildungssystem ausgebildet wird, ist Simon Käppeli. Der Siebzehnjährige hat sich für die Berufsvorbereitung an der Wirtschaftsinformatikerschule Schweiz (WISS) in Zürich entschieden. Nach zwei Jahren schulischer Ausbildung folgen zwei Jahre Praktikum in einem Lehrbetrieb. Wo er sein Praktikum absolvieren wird, weiss er noch nicht. Auf jeden Fall möchte er in Richtung Systemtechnik gehen. Die Praktikumstelle wird im zweiten Lehrjahr mit Unterstützung durch die Schule gesucht.
Der Jugendliche steht nun am Ende des ersten Lehrjahrs und zieht eine vorläufig Zwischenbilanz: «Es ist gut, dass die einzelnen Module jeweils direkt abgeschlossen werden können. Somit muss man nicht bis zum Ende der Lehre warten.»
Simon Käppeli hofft auf den Aufschwung und macht sich keine Gedanken über eine mögliche Arbeitslosigkeit nach Beendigung der Lehre. Vielmehr erhofft er sich durch den Lehrabschluss gute Weiterbildungsmöglichkeiten und in Zukunft ein interessantes und vielseitiges Arbeitsgebiet. Er glaubt ausserdem nicht daran, dass die Berufschancen durch Spezialisierung steigen. «Gewisse Spezialisten sind sicher immer gefragt, aber wenn jemand zu stark auf etwas fixiert ist, kann er früher oder später Probleme bekommen», so Käppeli, für den das Zauberwort Flexibilität lautet.
Der Lehrling wurde nicht etwa durch goldene Zukunftsaussichten getrieben, eine Ausbildung zum Informatiker zu absolvieren. Vielmehr war es bei ihm das reine Interesse am PC. Zwar sei die Berufsschule streng wie jede andere Berufsschule auch, aber wenn man ein Ziel habe, sei dies ein guter Weg. Ausserdem seien auch nicht immer alle Module innerhalb der Ausbildung spannend, aber wenn man diese richtig anpacke, sehe man auch den Sinn dahinter.
Obwohl sich Simon Käppeli sicher ist, dass er auf dem richtigen Weg ist, ist die Zuversicht und das Vertrauen in den Beruf bei den Junginformatikern offensichtlich enorm gesunken. Wenn Simon Käppeli mit seinen Kollegen aus dem vierten Lehrjahr spricht, sei bei mindestens der Hälfte der Lehrabgänger das Thema Informatiker vom Tisch. Mangels Zukunftsperspektiven wollen sie nach dem bevorstehenden Lehrabschluss nicht mehr in der IT arbeiten, zitiert Käppeli die Pausengespräche.
Ein PC-Freak, der sein Hobby zum Beruf machen wollte, ist auch Alexander Kälin. Der Junginformatiker absolvierte nach einer einjährigen Handelsschule die Lehre als Informatiker nach dem konventionellen Ausbildungssystem.
Obwohl der Lehrabschluss nur als Systemtechniker möglich war, wurde er ab dem zweiten Lehrjahr fast ausschliesslich für Programmierarbeiten eingesetzt. Als der Lehrmeister, der kein Geld für weitere Ausbildungen investieren wollte, die Firma verliess, wurden die Lehrlinge in Projekte integriert. Dabei seien einige Auszubildende mit unqualifizierter Arbeit, andere wiederum mit sehr spezialisierten Aufgaben wie System-Engineering oder Software-Entwicklung betraut worden. «Wenn die Firma schlecht ist, ist der Informatiker schlussendlich auch schlecht qualifiziert», so das Fazit von Alexander Kälin, der vor zwei Jahren seinen Abschluss machte.
Da die Lehrfirma zu diesem Zeitpunkt selber sehr wenig Arbeit hatte und teilweise auch bereits eigene Angestellte an andere Firmen auslagerte, bekam er keine Anstellung im Lehrbetrieb. Als dann noch die Rekrutenschule vor der Tür stand, wollte ihn sowieso niemand, und nach der RS war die Wirtschaftskrise in vollem Gang.
Nach fast einem Jahr Arbeitslosigkeit entschloss er sich schliesslich zur Selbständigkeit. Heute berät und unterstützt er Privatkunden bei der Installation und dem Betrieb von PC-Systemen. Dies sei zwar von der Arbeit her noch nicht sehr fordernd, aber immerhin habe er gewisse Zukunftsaussichten. Künftig möchte er seine Dienstleistungen auf KMU ausweiten. Kälin hat das Glück, dass er in finanzieller Hinsicht nicht sehr grosse Belastungen auf sich nehmen musste, da er für sein Geschäft die Infrastruktur seines Vaters nutzen kann, der ein Expert-Fachgeschäft in Einsiedeln führt.
Obwohl Alexander Kälin wieder dieselbe Berufsrichtung wählen würde, konnte die Ausbildung seine Erwartungen nicht ganz erfüllen, denn seine Zukunft hat er sich ganz anders vorgestellt: «Da zu Beginn meiner Lehre die Branche boomte, dachte ich natürlich, dass das toll ist und es auch gute Verdienstmöglichkeiten gibt», sagt Kälin.
Dass er keine Anstellung fand, schreibt er hauptsächlich der Tatsache zu, dass er während fast der ganzen Lehrzeit mit Aufgaben betraut wurde, die normalerweise Studienabgänger verrichten. «Hätte ich vier Jahre lang nur Netzwerk-Arbeiten gemacht, hätte ich vermutlich auch eine Stelle gefunden», so Kälin. Auch habe der Schulunterricht nur wenig gebracht.
Trotzdem zweifelt der Informatiker daran, dass das reformierte Bildungssystem diesen Erwartungen besser gerecht werden kann. «Wir hatten im Betrieb auch einen Lehrling, der eine modulare Ausbildung machte. Da er jeweils fünf Wochen in der Schule war und dann wieder für fünf Wochen arbeitete, hat er immer wieder den Anschluss verloren, sowohl zur Schule wie auch zum Geschäft», schildert Kälin seine Erfahrungen. Dabei komme es aber ganz auf die gewählte Form der Ausbildung an. Wenn jemand beispielsweise zuerst zwei Jahre Schule und anschliessend zwei Jahre Praktikum absolviere, könne das gut sein. Kälin selbst hätte dabei allerdings Angst, dass er sich zu einem Theoretiker entwickeln würde.
Der Jungunternehmer ist deshalb auch davon überzeugt, dass eine Lehre nach dem klassischen Modell sinnvoller ist: «Es ist sicher eine bessere Vorbereitung auf das Berufsleben, wenn man Praxis und Schule zusammen macht.» Ausserdem habe man von Anfang an einen kleinen Verdienst und lerne somit auch, mit dem Geld umzugehen.
Viel wichtiger als die Ausbildung ist für Alexander Kälin kontinuierliche Weiterbildung. Auf seinem Plan stehen der CCNA (Cisco Certified Network Associate), den er demnächst beginnt, anschliessend der Marketingplaner und schliesslich der Verkaufskoordinator.
Auf die Frage, was er angehenden Informatikerlehrlingen aus seiner Erfahrung auf den Weg geben möchte, antwortet Kälin: «Jeder sollte sich aktiv in eine Firma einbringen und sich nicht scheuen, den Vorgesetzten darauf aufmerksam zu machen, welche Arbeit ihm mehr und welche ihm weniger Spass macht.»