E-Learning: Pauken im Netz

Wissensaneignung und -vertiefung im Web bietet Komfort unabhängig von Raum und Zeit.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/18

     

Wenn es im Web virtuelle Marktplätze, Behörden, Banken, Tauschbörsen und Auktionshäuser gibt, warum sollte man dort nicht auch virtuelle Klassenräume, ganze Schulen oder Trainingscenter einrichten können? So ungefähr dürfte die Überlegung des findigen Kopfes gelautet haben, der die neue Form des Lehrens und Lernens ersonnen hat, die als E-Learning oder Distributed Learning bezeichnet wird. Wie beim E-Commerce Anbieter und Kunden, so kommunizieren bei dieser Form des Unterrichts Lehrer und Schüler im virtuellen Raum miteinander; Lehrmaterialien stehen als Webseiten und Multimediadateien bereit.




So bahnt sich der Computer auch als Lernpartner zunehmend seinen Weg. "Das Internet ist zu einem der wichtigsten Medien in der beruflichen Fortbildung geworden, weil es enorme wirtschaftliche Vorteile für das Unternehmen bietet", unterstreicht Mike Wenger, Leiter des Bereichs E-Learning bei Sun Educational Services, der Ausbildungsabteilung von Sun Microsystems. Im IT-Bereich hat Sun weltweit eines der grössten Trainingscenter, in denen jährlich über 260'000 Studenten ausgebildet werden.


Multimediales Lernen

Das Computer-based-Training via CD-ROM bot einen Vorgeschmack; das Web-based-Training - oder E-Learning - öffnet das Spielfeld zusätzlich. Via Internet oder Intranet lernen die Wissensdurstigen nicht mehr auf Vorrat, sondern à la carte, entsprechend eigener Interessen oder betrieblicher Erfordernisse, wo und wann immer die Mitarbeiter es wollen.



E-Learning ist die reine Verfügbarkeit von enzyklopädischem Wissen in Form von Datenbanken und digitalen Dateien. Das heisst, effektives computerunterstütztes Lernen ist das Resultat didaktischer Überlegungen. Anwendungen und Trainingsprogramme werden von versierten Redaktoren, technischen Beratern und Programmierern erstellt. Sie treffen eine Vorauswahl und bereiten Informationen mediengerecht auf.




Deshalb sind E-Learning-Konzepte in der Regel multimedial, das heisst, sie verbinden Ton, Bild, Film und Text miteinander. Interaktivität ist ein wesentlicher Baustein, Learning by doing die Devise. Das Wissen wird nicht im Stile des althergebrachten Frontalunterrichts vermittelt, sondern der Lernende soll ausprobieren, mitdenken. Für jeden Erfolg oder Nichterfolg erhält er eine Rückmeldung. Dabei bleibt es ihm überlassen, wie oft er die Materie wiederholt.



So wird gerade in Unternehmen, wo heute jeder Beschäftigte mit einer Vielzahl von Softwareprodukten umgehen können muss, E-Learning häufig angewandt, um die schnelle Einarbeitung zu unterstützen. Je nach Komplexität der Themen, sind auch Tutoren oder Seminarleiter notwendig, die die Teilnehmer begleiten, beraten und unterstützen. So können gemeinsame Seminare auch in Form von Chats stattfinden. Dort geben spezielle Tele-Tutoren Tips und helfen auch bei schwierigeren Problemen. Gleichzeitig können sich, unabhängig vom Standort, Kollegen untereinander austauschen über Probleme, die sich aus der täglichen, praktischen Arbeit ergeben. Im Prinzip ist denkbar, dass diese Chats künftig auch per Videokonferenz stattfinden.




Vorteile

Allem voran hoffen die Unternehmen auf grosse Einsparpotentiale, wenn Mitarbeiter nicht mehr über weite Strecken zu gemeinsamen Seminaren zusammengeführt werden müssen. Mit computergestützter Aus- und Fortbildung lässt sich in diesem Bereich eine Menge Geld sparen.



Lernen am PC ist billiger als herkömmliche Weiterbildung. Firmen sparen bis zu 30 Prozent der Ausbildungskosten. Hotel- und Reisekosten entfallen, es sind mehr Teilnehmer gleichzeitig erreichbar. Zugleich können Lernstoffe innerhalb kürzester Zeit aktualisiert und das Lernen damit dem beschleunigten Rhythmus des Informationszeitalters angepasst werden. Für den einzelnen beinhaltet E-Learning die Chance, das Lernen flexibel und individuell zu gestalten und am persönlichen Bedarf auszurichten.




Ob über CD-ROM, Intranet oder Internet - der Lernweg und die Lernzeit kann individuell ausgewählt werden. Lernen just-in-time wird möglich: Die nahezu unbeschränkte zeitliche und räumliche Verfügbarkeit ist eine Voraussetzung für die schnelle Aus- und Weiterbildung grosser Zielgruppen. Auch wenn die Teilnehmer weltweit verstreut sind, kann trotzdem ein virtueller Workshop stattfinden. Jeder Teilnehmer loggt sich ein und sieht auf einer elektronischen Wandtafel, was der Referent zeichnet. Er studiert Diashows, kann sich zu Wort melden und sogar selbst zur elektronischen Kreide greifen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann er alles noch einmal abrufen. Darüber hinaus stehen Foren und Chaträume zum Thema bereit.



Die Unternehmen hoffen, mit dieser Art des computergestützten Lernens auch Gruppen anzusprechen, die eine Abneigung gegen Schule und Kurse empfinden. Denn jeder kann im anonymen Internet bequem seinen Wissensdurst stillen, ohne vor anderen Kursteilnehmern wegen mangelnden Wissens sein Gesicht zu verlieren. Aber auch der Mitarbeiter profitiert. Zeitraubendes Herumprobieren entfällt, neue Software oder Maschinen können ohne Druck und Angst vor Fehlern spielerisch erlernt werden. Jeder bestimmt sein eigenes Lerntempo und eignet sich die Informationen und Fertigkeiten an, die ihm fehlen. So steigt auch die Akzeptanz bei der Belegschaft.



Experten haben festgestellt, dass die Erfolgsquote bei E-Learning höher liegt als bei herkömmlichen Schulungsmethoden. Studien belegen eine gesteigerte Erinnerungsfähigkeit für multimedial gelernte Inhalte. Gleichzeitig sind sie aber der Meinung, dass E-Learning nicht auf eine technische Dimension reduziert werden darf. Eine gesunde Mischung aus computergestütztem Lernen und althergebrachter Wissensvertiefung sei der beste Weg, die Mitarbeiter zu Höchstleistungen in Sachen Bildung anzuspornen.




Auch durch E-Learning keine Musterschüler

Die Grundproblematik des webbasierten Trainings unterscheidet sich im wesentlichen nicht von der des traditionellen Lernens. Aus lustlosen, unselbständigen Schülern oder Seminarteilnehmern werden auch per Web keine Musterschüler. Anders ausgedrückt: Gerade das E-Learning erfordert den aktiven, selbständigen, mitdenkenden Menschen. Er muss in der Lage sein, die Disziplin aufzubringen, sich neue Inhalte anzueignen. Dabei wird er zwar unterstützt durch die Technik oder einen Tutor, die Arbeit muss er aber letztlich selbst leisten.



Die Fachleute sind sich einig, dass das Büffeln im World Wide Web nie das klassische Lernen ersetzen wird. Das Internet bietet zwar eine schier grenzenlose Fülle von Informationen, die über einen handelsüblichen PC und ein Modem auch abrufbar sind. Mitgeliefert werden aber keine Kriterien, mit denen diese Datenmenge auch gefiltert werden kann. Auch Mike Wenger glaubt nicht, dass E-Learning das klassische Lernen ablösen wird, doch er zieht eine gemischte Form der Wissensbildung in Betracht. "E-Learning wird die Art des Lernen verändern, aber es wird die klassische Bildungsform nicht ersetzen. Bis anhin bauen die erfolgreichsten E-Learning-Programme auf den reichen Erfahrungen von traditionellen Schulen auf." Dass E-Learning nicht alleine stehen sollte, sondern eine Komponente in der Ausbildung sei, glaubt man im zentraleuropäischen Lern-Service-Center von IBM. Der Computerkonzern setzt bei der Ausbildung von weltweit 330'000 Mitarbeitern auf einen Methodenmix, der zu 40 Prozent aus E-Learning besteht. 395 Millionen US-Dollar habe IBM im vergangenen Jahr durch den Einsatz elektronischer Schulungsmethoden eingespart, etwa bei den Reisekosten.





Fazit

Die elektronischen Medien verändern die Art und Weise der Wissensvermittlung und des Lernens. E-Learning hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Boom-Bereich entwickelt. Wo Computer und Internetzugang zum Standard gehören, Firmennetzwerke Hunderte von Arbeitsplätzen miteinander verknüpfen und die Kommunikation via Internet über Kontinente hinweg Normalität ist, liegt es nahe, die neuen Kanäle auch zur Vermittlung von Lernstoffen zu verwenden. Doch eignet sich diese Art des Lernens für jedes Unternehmen?



Mike Wenger: "Ja, E-Learning ist für jede Grösse von Unternehmen geeignet, solange mit einem vernünftigen Einsatz von einem gut geplanten System Gebrauch gemacht wird. Zu Beginn ist es sicher sinnvoll, mit einer kleinen spezifischen Gruppe zu starten und dann auszubauen."




Glaubt man den Prognosen der Marktforscher, so stehen dem E-Learning-Markt rosige Zeiten bevor. Bis zum Jahr 2005 werden die westeuropäischen Anbieter einen Umsatz von 17 Milliarden Euro erwirtschaften. Zwölfmal so viel wie heute, prognostizieren die Marktforscher von IDC. Und sicher, vieles scheint dafür zu sprechen, dass in diesem Markt tatsächlich grosse Chancen liegen. Gleichzeitig gibt es aber auch Faktoren, die seine Entwicklung heute noch behindern. Denn auch das klassische Seminar hat noch lange nicht ausgedient.



E-Learning steckt in vielen Bereichen noch in den Kinderschuhen. Die Unternehmen stellen fest, dass ein webbasiertes Training alleine nicht das Gemeinschaftserlebnis eines Seminars ersetzen kann und es mit dem blossen Übertragen von gedruckten Inhalten auf den Bildschirm nicht getan ist. Die Lernenden bekommen zu spüren, dass für die selbstverantwortliche Integration des Lernens in den Tagesablauf erst Methoden gefunden werden müssen. Darüber hinaus ergeben sich auch beim E-Learning je nach Stoff und Zielgruppe verschiedenste Formen und damit Anforderungen an die technischen Lösungen, die als Plattformen dienen. Insgesamt ist der Anteil der Mitarbeiter, die neue Medien bei der Weiterbildung nutzen, vergleichsweise gering. "E-Learning erreicht bei weitem nicht die Anzahl an Mitarbeitern wie klassische Lernformen", heisst es in einer anderen Studie. Im vergangenen Jahr trainierte nur jedes fünfte Unternehmen mehr als die Hälfte seiner Beschäftigten mit Online-Schulungen. Firmen wie IBM, die allen Mitarbeitern Zugang zu einem eigenen virtuellen Campus geben, sind die Ausnahme. Allerdings haben sich die meisten Unternehmen das Ziel gesetzt, in diesem Jahr 50 bis 100 Prozent mehr Mitarbeiter in ihre E-Learning-Programme aufzunehmen.



Zudem in der Print-Ausgabe: E-Learning-Anbieter in der Schweiz



Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Was für Schuhe trug der gestiefelte Kater?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER