Service-orientiertes IT-Management

Geschäftsprozesse lassen sich kaum noch ohne IT durchführen. Wichtig ist deshalb die Umstrukturierung der IT vom Lieferanten zum Dienstleister.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/20

     

Der Beitrag der Informationstechnologie (IT) zum Unternehmenserfolg nimmt kontinuierlich zu. Viele Geschäftsprozesse sind heute bereits nicht mehr ohne IT-Unterstützung durchführbar oder werden komplett durch IT abgewickelt.



Mit der wachsenden Bedeutung steigt auch der Wunsch nach einer höheren Effizienz des IT-Einsatzes im Unternehmen. Traditionelle Spannungsfelder zwischen IT-Abteilung und Geschäftsbereichen, etwa die geringe Transparenz, fehlende Kundenorientierung und mangelhafte Qualität der IT-Leistungen, werden seitens der Geschäftsbereiche immer weniger akzeptiert. Dies äussert sich nicht zuletzt in der steigenden Nachfrage nach Outsourcing-Dienstleistungen und dem Aufbau eigener IT-Ressourcen in den Geschäftsbereichen. IT-Abteilungen geraten unter einen Rechtfertigungszwang und den Druck, ihre Arbeit effektiver und effizienter zu gestalten.




Als eine Reaktion auf diese Entwicklung sind viele Unternehmen heute dabei, ihre IT-Abteilungen von einem reinen Lieferanten für Informationstechnik hin zu einem IT-Dienstleister für das gesamte Unternehmen zu wandeln. Die Auswirkungen dieses Wandlungsprozesses sind weitreichend. Aus den Geschäftsbereichen werden Kunden, die auf der Basis transparenter Liefer- und Leistungsbeziehungen und marktähnlicher Mechanismen mit dem IT-Dienstleister zusammenarbeiten. Die Wünsche des Kunden und die geschäftlichen Anforderungen an die IT rücken in das Zentrum der Betrachtungen. Der IT-Dienstleister übernimmt einen Teil des unternehmerischen Risikos, indem er marktgerechte Preise kalkulieren und seine Dienstleistungen anpreisen und absetzen muss.



Bei der Umsetzung einer service-orientierten IT-Organisation sind Unternehmen mit erheblichen kulturellen, politischen und gestalterischen Problemen und Herausforderungen konfrontiert. Traditionelle IT-Managementprozesse müssen überdacht und in Richtung eines service-orientierten IT-Managements weiterentwickelt werden. Im Folgenden werden einige grundlegende Voraussetzungen für die Gestaltung service-orientierter IT-Managementkonzepte beschrieben und Hinweise für die praktische Umsetzung gegeben.


Kategorien von IT-Services

Zentrale Voraussetzung für ein service-orientiertes IT-Management ist die Definition von IT-Services. IT-Dienstleister und Kunde arbeiten nicht mehr auf der Basis IT-bezogener Objekte wie beispielsweise Anwendungssystemen, Systemplattformen oder Netzwerken zusammen, sondern definieren IT-Services, die vom IT-Dienstleister angeboten und verkauft werden. Dabei stellt sich die Frage, was sich konkret hinter den Services eines IT-Dienstleisters verbirgt. In der Praxis lassen sich Kategorien von IT-Services beobachten, die sich vor allem im Grad der Geschäftsorientierung voneinander unterscheiden (vgl. Grafik).




Kategorie 1 - Ressourcenorientierte IT-Services: Vielfach werden lediglich die durch die IT bereitgestellten Ressourcen zu IT-Services umdefiniert und beispielsweise Services wie "1 Personentag Entwicklung" oder "Bereitstellung von 1 MIPS Rechenleistung" angeboten. Aus der Sicht der Kunden handelt es sich dabei nicht um Services im eigentlichen Sinne. Die geschäftliche Orientierung fehlt, und der Kunde ist gezwungen, sich mit für ihn kaum verständlichen technisch-orientierten Servicegrössen auseinanderzusetzen.





Kategorie 2 - Lösungsorientierte IT-Services: Aus Sicht der Softwareentwicklung bildet die Bereitstellung einer IT-Lösung den zentralen Service. Services wären in diesem Fall beispielsweise die Bereitstellung eines Anwendungssystems zur Kundenverwaltung, eines Systems zur Rechnungserstellung oder einer CAD-Lösung für die Konstruktion. Derartige IT-Services werden in der Regel in enger Abstimmung mit den Kunden entwickelt und sind speziell auf deren Bedürfnisse zugeschnitten. Aus Kundensicht bilden IT-Lösungen einen ersten Schritt in Richtung einer geschäftsorientierten Zusammenarbeit mit dem IT-Dienstleister. Mehrere IT-Leistungen, wie zum Beispiel Entwicklung, Betrieb und Support einer IT-Lösung, werden durch den Dienstleister zu einem IT-Service zusammengefasst.




Kategorie 3 - Prozessorientierte IT-Services: Immer häufiger bieten IT-Dienstleister, beispielsweise im Rahmen des Business Process Outsourcing, die Übernahme kompletter Geschäftsprozesse als Service an. Prozessorientierte IT-Services wären damit beispielsweise die Erstellung einer Gehaltsabrechnung, die Abwicklung einer Buchungstransaktion in der Finanzbuchhaltung oder die Abwicklung eines Bestellvorgangs. Die IT-Services beinhalten aus Sicht des Kunden die für die Unterstützung seiner Geschäftsprozesse benötigten IT-Leistungen. Aus Sicht des IT-Dienstleisters setzen sich die Services aus einer Vielzahl einzelner Leistungen zusammen, darunter beispielsweise die Bereitstellung der erforderlichen Infrastrukturen, Anwendungssysteme und Supportleistungen. Prozessorientierte IT-Services ermöglichen es Dienstleister und Kunde, auf der Grundlage von Geschäftsprozessen über rein geschäftliche Grössen und Servicekonditionen miteinander zu verhandeln.




Kategorie 4 - Geschäftsproduktorientierte IT-Services: Nicht nur interne Geschäftsprozesse, sondern auch die eigentlichen Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens basieren zunehmend auf IT-Services. So beinhalten beispielsweise die Geschäftsprodukte der Telekommunikations-, Unterhaltungselektronik- oder Automobilbranche heute bereits eine Vielzahl von IT-Services. Vollständig IT-basierte Geschäftsprodukte existieren ebenfalls, beispielsweise elektronische Tickets, netzbasierte Anrufbeantworter oder Internetzugänge.


Service-Lebenszyklus

IT-Services durchlaufen einen Lebenszyklus. Dieser kann in die typischen Phasen eines Produktlebenszyklus, bestehend aus Entwicklung, Einführung, Wachstum, Reife und Rückgang, unterteilt oder durch den Lebenszyklus eines Informationssystems, bestehend aus Planung, Entwicklung, Produktion (Betrieb, Support, Wartung) und Ausserbetriebnahme, beschrieben werden. Der Nutzen eines IT-Services für den Kunden und dessen Erträge für den IT-Dienstleister verändern sich über den Zeitablauf. Aus Sicht des IT-Managements ist es daher von Bedeutung, über durchgängige Managementkonzepte für den gesamten Service-Lebenszyklus zu verfügen. Nur so lassen sich die Auswirkungen einzelner Managemententscheide ermitteln und Services unter unternehmerischen Gesichtspunkten steuern. Betrachtet man die bestehenden Ansätze zum Lebenszyklusmanagement innerhalb der IT, so konzentrieren diese sich vor allem auf den Lebenszyklus der Softwareentwicklung. Die Ausweitung auf den gesamten Service-Lebenszyklus stellt eine Herausforderung für das IT-Management dar.



Zwei konkrete Ansatzpunkte ergeben sich im Bereich des Life Cycle Costing und des Service Data Management. Ansätze des Life Cycle Costing sollten sich dabei nicht nur auf die heute in der Praxis verbreiteten Analysen der Total Cost of Ownership (TCO) von Desktop-PCs konzentrieren, sondern zur kostenmässigen Betrachtung sämtlicher IT-Komponenten eines Unternehmens herangezogen werden. So hat eine Untersuchung der Life Cycle Costs von 30 Anwendungssystemen durch das Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen ergeben, dass bereits bei einer Betriebsdauer von 5 Jahren annähernd 80 Prozent der Life Cycle Costs für Betrieb, Wartung, Support und Weiterentwicklung der Anwendungssysteme anfallen. Planung und Erstentwicklung machen lediglich 20 Prozent der Kosten aus. Aufgabe des Service Data Managements ist es, präzise und zuverlässige Informationen über einen Service in jeder Phase seines Lebenszyklus bereitzustellen. Dies erfordert eine Ergänzung traditioneller IT-Asset-Management-Konzepte um Ansätze des Configuration Management und Life Cycle Management.





IT-Governance

Im Rahmen eines service-orientierten IT-Managements kommt der IT-Governance bei der Gestaltung der Prozesse zur Beschaffung, Auslieferung und Unterstützung von IT-Services eine besondere Bedeutung zu. Im Mittelpunkt steht die Ausgestaltung der Schnittstelle zwischen IT-Dienstleister und Kunde, bei der die IT-Governance die folgenden Themenbereiche adressieren muss:




• Grundsätze und Organisation (strategische Positionierung der IT, Rollenverteilung, Anwendungsbereich der IT-Governance, Grundsätze für Liefer- und Leistungsbeziehungen, rechtliche Beziehungen, Eskalations- und Schlichtungsprozesse);





• Wettbewerbssituation (Gestaltung der Bezugspflicht, Grad der Freigabe der Leistungserbringung, Bezugsprinzipien, rechtliche Voraussetzungen);




• Preisfindung und Leistungsverrechnung (Preisbildungsmethoden, Budgetierungsverfahren, Besitzverhältnisse, rechtlicher Rahmen);




• Risiko- und Performance-Management (Verteilung des Risikos, Verantwortung für Risiken, Risiko-Kontrollmechanismen, Berichterstattungsprozesse, Leistungsüberwachung).


Aufgaben und Rollen

Die institutionelle Umsetzung eines service-orientierten IT-Managements erfordert die Unterscheidung zwischen Leistungserbringern und -abnehmern (siehe Grafik S. 45). Der IT-Dienstleister übernimmt die Rolle eines Leistungserbringers, die Geschäftsbereiche die Rolle der Leistungsabnehmer. Service-Manager bilden die Schnittstelle zwischen beiden Seiten. Ihnen obliegt die Verantwortung für die Definition und Verhandlung der benötigten IT-Services. Der Leistungserbringer fasst seine Services in einem Angebots-Portfolio zusammen. Die Erstellung eines solchen Service-Portfolios erfordert die Zusammenarbeit von Entwicklung und Produktion, da jeder Service entwickelt und produziert werden muss. Zwischen Leistungserbringer und -abnehmer existiert ein interner oder externer Markt, je nachdem ob sich beide innerhalb desselben Unternehmens befinden oder rechtlich unabhängige Einheiten darstellen. Aufgabe des Marktes ist es, Angebot und Nachfrage möglichst effizient zusammenzuführen. Die Verhandlung konzentriert sich vor allem auf die genauen Serviceeigenschaften, die Abnahmemenge, die Lieferzeiten, die Servicequalität und die Konsequenzen bei Nichteinhalten der vereinbarten Servicekonditionen. Die über den Markt vollzogenen Kommunikations- und Verhandlungsprozesse müssen innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen ablaufen. Diese unterscheiden sich in Abhängigkeit davon, ob es sich um einen internen oder externen Markt handelt. Innerhalb eines unternehmensinternen Marktes ist die Gestaltung der Rahmenbedingungen eine Teilaufgabe der IT-Governance. Im Falle eines externen Marktes finden die für alle geschäftlichen Handlungen gültigen gesetzlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen Anwendung.





IT Infrastructure Library (ITIL)

Es existiert eine Vielzahl von Referenzmodellen zur Umsetzung service-orientierter IT-Managementkonzepte. In der Praxis kommt in diesem Zusammenhang vor allem der IT Infrastructure Library (ITIL) Bedeutung zu. Bei der Einordnung und Positionierung von ITIL sollten eine Reihe von Punkten berücksichtigt werden:




• Praktische Bedeutung kommt ITIL derzeit nur im Bereich Service-Support und teilweise Service-Delivery zu. Diese beiden Bausteine bilden, auch historisch betrachtet, den Kern des Modells. Unternehmen erhalten eine Vielzahl sehr konkreter Hinweise darauf, was bei der Umsetzung von Support- und Delivery-Prozessen zu berücksichtigen ist. ITIL sollte aus diesem Grund nicht als umfassendes Modell zur Gestaltung des IT-Managements betrachtet werden, sondern als eine Sammlung von Best Practices, die in ausgewählten Teilbereichen, vor allem im Service-Support, wertvolle Hinweise liefern.





• ITIL ist kein Prozessmodell. Es bietet keine konsistente Prozessbeschreibung. So fehlen beispielsweise Input/Output-Beschreibungen, die eine genaue Betrachtung der Beziehungen zwischen den Prozessen ermöglichen würden. Sowohl in bezug auf die Struktur als auch hinsichtlich des Detaillierungsgrads existieren zwischen den Modellbereichen starke Unterschiede.




• ITIL konzentriert sich auf eine Beschreibung dessen, "was" getan werden sollte, um service-orientierte Managementprozesse umzusetzen. "Wie" die Umsetzung erfolgen kann, steht nicht im Vordergrund. Unternehmen, die ihre Prozesse auf der Basis von ITIL neu gestalten möchten, erhalten nur wenige konkrete Hinweise darauf, wie das erforderliche Prozess-Reengineering und das Change Management ablaufen sollten. An dieser Stelle können auf ITIL basierende Prozessmodelle kommerzieller Anbieter wertvolle Hilfestellungen leisten, da diese sich bewusst auf das Vorgehen zur Umsetzung konzentrieren.




• ITIL ist ein generisches Modell und enthält keine branchen- oder unternehmensspezifischen Hinweise. Zwar lassen sich die in ITIL beschriebenen Best Practices auf Grund der generischen Beschreibung an unterschiedlichste Anwendungsbereiche anpassen, allerdings muss diese Anpassung durch das jeweilige Unternehmen selbst geleistet werden. Branchenspezifische Besonderheiten finden in ITIL ebensowenig eine Berücksichtigung wie spezielle Hinweise für kleine, mittlere oder grosse Unternehmen.




Geschäftsorientierung des IT-Service



Service-orientiertes IT-Management


Weitergehende Informationen

Der nebenstehendeArtikel kann nur einige übersichtsartige Einblicke in zentrale Fragestellungen und Herausforderungen des service-orientierten IT-Managements geben. Im Rahmen des Kompetenzzentrums Integriertes Informationsmanagement entwickelt die Universität St. Gallen gemeinsam mit einer Reihe internationaler Partnerunternehmen konkrete Lösungsansätze im Bereich des service-orientierten IT-Managements. Nähere Informationen zu den Arbeitsschwerpunkten und bisherigen Ergebnissen finden sich im Internet. Aktuelle Informationen zur Thematik bietet auch die Veranstaltung "IT Service Management mit ITIL" am 24. November 2003 im Kongresszentrum Trafo Baden. Informationen und Anmeldung unter
www.knowledgeplace.ch.





Der Autor Dr. Rüdiger Zarnekow ist Leiter des Kompetenzzentrums IIM an der Universität St. Gallen.



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