Bringt ein Lehrling Gewinn?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/30
Betriebe analysieren inzwischen ziemlich genau, was jede einzelne Lehrstelle kostet - und was sie einbringt. In der Lehrlingsausbildung wird heute nicht mehr nur ein eindimensionales Fachkönnen angestrebt. Die sich rasch wandelnde Wirtschaft und Technologie fordert flexible, lernfähige, kreative, kooperationswillige und teamfähige Mitarbeiter in den Unternehmungen. Dem hat die Ausbildung mit ganzheitlichen Ausbildungsmethoden Rechnung zu tragen. Methoden wie Selbstlernprozesse, Lernmoderation, Projektlernen und Gruppenlernen gehören ins Repertoire des modernen Ausbilders. Von der Art und Weise der Ausbildung hängt die Motivation und Leistungsfähigkeit der zukünftigen Mitarbeiter massgeblich ab.
Unternehmen erfüllen mit der Berufsausbildung eine gesellschaftspolitische Aufgabe, heisst es. Dass sich die Firmen beim Ausbilden nach wie vor ins Zeug legen, hat auch einen handfesten ökonomischen Grund: Die Ausbildung ist für viele Firmen unter Kosten/Nutzen-Gesichtspunkten attraktiv. Das jedenfalls ergab eine Diplomarbeit von Josef Räber und Ruedi von Flüe am Abendtechnikum der Innerschweiz.
Der Berufsanfang fällt in eine Zeit, in der die Jugendlichen eigentlich schon genug mit sich selber zu tun haben. Eine Zeit der wechselnden Gefühle, der Verunsicherung, des Unverstandenseins, der Ablösung. Da erstaunt es kaum, dass die pubertierenden Jugendlichen für die Lehrmeister eine Nervenprobe darstellen. Gerade im ersten Lehrjahr braucht ein Lehrling dauernde Begleitung und Führung und bringt für das Unternehmen mehr Last als Nutzen.
Um den Nutzen zu beziffern, kommt man an einer Kostenrechnung nicht vorbei. Ein Informatik-Lehrling verdient im ersten Lehrjahr rund 550 Franken. Im vierten Lehrjahr 1220 Franken. Dazu kommen die Arbeitsplatzkosten, Kosten für Schulweg und -material.
Nicht zu unterschätzen ist der Zeitaufwand des Betreuers, der je nach Lehrling zwischen einer Stunde pro Tag und mehr beträgt. Zu berücksichtigen ist, dass die Lehrlinge in den ersten zwei Jahren während rund zwei Tagen pro Woche in der Berufsschule sind. Erst ab dem dritten Lehrjahr sind die Lehrlinge bereits ziemlich breit einsetzbar und liefern gute Arbeit.
Zahlreiche IT-Firmen schicken ihren Informatik-Nachwuchs aus diesem Grund in ein Basislehrjahr. Dort können die Jugendlichen neben theoretischer auch praktische Erfahrung sammeln und sind danach für den Einsatz in der Lehrfirma bestens vorbereitet. Der Preis für dieses Outsourcing beträgt rund 12'000 Franken.
Gegen alle Vermutungen werden im ersten Lehrjahr die Kosten der Ausbildung des ersten Jahres knapp erwirtschaftet. In den folgenden Jahren ist bei sinnvoller Aufgabenzuteilung sogar deutlicher Gewinn möglich.
Genaue Zahlen haben Josef Räber und Ruedi von Flüe in ihrer Diplomarbeit am Abendtechnikum der Innerschweiz errechnet. Die beiden Autoren ermittelten in ihrer Untersuchung die Kosten und den direkten Nutzen der betrieblichen Lehrlingsausbildung für Informatiker. Die Resultate zeigen, dass diese Ausbildung den Betrieben einen Nettoertrag bringt.
Während der vierjährigen Informatiker-Ausbildung erbringt eine Lehrtochter oder ein Lehrling einen Ertrag von durchschnittlich 40'000 Franken. Mit Berufsmatur-Besuch liegt der Ertrag immer noch bei 8000 Franken.
Im Grosskonzern Swisscom sind drei bis fünf Prozent des Personalbestands Lehrlinge, zur Zeit sind es gesamtschweizerisch 880 Lehrstellen. Bevor die jungen Leute jedoch in den einzelnen Abteilungen eingesetzt werden, bekommen sie während 16 Monaten in einem der 16 Berufsbildungszentren der Swisscom eine Grundausbildung. Martin Häusler, Leiter Berufsbildung Region Ost: "Die Swisscom sieht sich gesellschaftspolitisch verpflichtet, qualifizierten Berufsnachwuchs sicherzustellen. Bei der Ausbildung legen wir grossen Wert auf Fach- und Sozialkompetenz. Bei einer technischen Ausbildung rechnen wir in vier Jahren mit Kosten von 25'000 bis 30'000 Franken. Wobei alle Zahlen im Zusammenhang mit Lehrlingsausbildung mit Vorsicht zu geniessen sind."
An den Ergebnissen der obengenannten Diplomarbeit zweifelt Häusler. "Von 40'000 Franken kann man bestimmt nur im besten Fall ausgehen, wenn der Lehrling nach der Ausbildung im Betrieb bleibt und die Rekrutierungskosten für einen Fachmann wegfallen."
Ein nicht zu unterschätzender Nutzen entsteht jedoch aus der Ausbildung an sich. Denn die Suche nach geeignetem Personal ist kostspielig - schon für eine gängige Stellenanzeige in einer Tageszeitung müssen die Firmen zwischen 700 und 3000 Franken hinblättern. Ausserdem ist ein frisch ausgebildeter Mitarbeiter, weil jünger, billiger als eine Fachkraft, die von aussen angeworben werden muss. Last but not least spart der Betrieb die oftmals enormen Einarbeitungskosten für Externe. Hinter allen Durchschnittszahlen verbergen sich auch schwarze Schafe, die während ihrer vierjährigen Lehrzeit den Betrieben nicht einen Franken Gewinn einbringen. Nicht jeder Lehrling ist ein Volltreffer.