Sind Schweizer Informatiker unter Stress? Ja und Nein!
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/05
Kein Zweifel: Der Berufsalltag und die Berufsaussichten haben sich für Informatikerinnen und Informatiker in den letzten 15 Jahren mehrfach gewandelt. Konjunkturelle Hochs und Tiefs schüttelten den Jobmarkt durch, während gleichzeitig technische Entwicklungen wie das Zusammenwachsen mit Telekommunikation und Internet viele Berufsbilder stark verändert haben. Veränderungen sind aber in einem High-Tech-Bereich wenig erstaunlich. Freude an Neuem gehört doch wohl mit zum Reiz dieser Berufe.
Der Artikel von Marcello Caranci in InfoWeek 03 S. 49 signalisiert allerdings Negativeres. Er beklagt, dass 49 Prozent der Schweizer Informatiker unter «sehr grossem Stress» leiden und damit sowohl europäisch wie im Rahmen der Schweizer Berufstätigen die Meistbelasteten seien; die Zahlen stammen aus einer Studie der Personalfirma Kelly Services. Und dann führt der Artikel Beispiele von Unzufriedenen vor aus dem Bereich «Helpdesk und User-Support». Das schreckt jeden ab, Informatiker zu werden.
Nach dieser Einleitung wendet sich Marcello Caranci der Ausbildung zu, bedauert «zu wenig Nachwuchs» (wen wundert‘s bei solchen Berufsaussichten?) und sieht Chancen wenigstens «für Spezialisten». Er zitiert auch eine Aussage von mir selber, dass nämlich in der Schweizer Informatik noch immer die (oft ungenügend ausgebildeten) Quereinsteiger etwa drei Viertel aller Berufstätigen ausmachen und dass sich dieser hohe Anteil nur sehr langsam abbaut. Dann aber folgt Unsinn. So schreibt er, «die Zahl der ICT-Hochschulabschlüsse in der Schweiz habe sich in den letzten 15 Jahren von 1‘000 auf knapp 5‘000 fast verfünffacht» und zeigt eine Grafik mit weiteren Zunahmen (die so nicht vom zitierten Bundesamt für Statistik stammen können).
Leider ist das Gegenteil wahr; die Zahlen sind viel kleiner und nehmen sogar noch ab! In der grössten Informatikhochschule der Schweiz, im Departement Informatik der ETH Zürich, haben sich die Studienanfängerzahlen von 2001 (341) bis 2005 (151) mehr als halbiert. Ähnlich zusammengebrochen sind die Informatik-Studienanfängerzahlen auch in anderen Universitäten und auch international. Denn Maturanden reagieren auf negative Signale aus dem Stellenmarkt! Zwar melden einige Fachhochschulen zunehmende Zahlen; aber das sind bestenfalls einige Hundert. Ihr Nachwuchs kommt aus der Informatikerlehre, wo die Abschlüsse leider in den nächsten Jahren ebenfalls abnehmen, weil die Zahl der Lehrstellen pro Jahr inzwischen weit unter die Zahl von 2000 gefallen ist!
Der Schweizer Informatiker-Arbeitsmarkt braucht pro Jahr 5000 bis 7000 Nachwuchskräfte, um seinen Bestand langfristig zu halten. Im Moment bilden wir aber nicht einmal die Hälfte davon richtig aus. Das heisst dreierlei:
Der Mangel an guten Informatikfachleuten wird uns noch lange begleiten.
Für gut ausgebildete junge Informatikerinnen und Informatiker (aus Berufslehre und/oder Hochschule) besteht auf viele Jahre hinaus eine grosse Nachfrage. Angst um ihre Stelle brauchen sie auch längerfristig nicht zu haben.
Jene Quereinsteiger, deren Informatikkenntnisse auf schwachen Grundlagen beruhen, leben im Stress und auf Risiko. Hier sind systematische Zusatzausbildungen nötig.