Quantencomputing: Erste Anwendungen stehen vor der Tür

Während der Mainstream-Durchbruch des Quantencomputings noch auf sich warten lässt, zeigen erste Anwendungsmöglichkeiten bereits das enorme Potenzial dieser ­Technologie, das in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entfaltet werden könnte.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/12

     

Beim herkömmlichen Rechnen sind die kleinsten Informationseinheiten oder Bits entweder 0 oder 1 (wie Kopf oder Zahl bei einer Münze). In der Quanteninformatik wird die Information in so genannten Quantenbits oder Qubits gespeichert. So wie eine sich drehende Münze gleichzeitig Kopf und Zahl darstellt, kann sich ein Qubit in einem «Überlagerungszustand» von 0 und 1 befinden. Durch die Nutzung solcher quantenmechanischen Effekte, einschliesslich der Quantenverschränkung und -interferenz, können Quantenalgorithmen entwickelt werden, die Probleme auf eine grundlegend andere Weise lösen als klassische Computer. Das macht das Quantencomputing zu einer sehr vielversprechenden Technologie für diverse Branchen.

Der Zustand eines Qubits ist jedoch sehr empfindlich und die darin enthaltenen Informationen können sich schnell ändern und verloren gehen. Quantencomputer werden daher meist in besonders stabilen Umgebungen aufgebaut, schon kleinste Störungen wirken sich auf die empfindlichen Qubits aus und machen die Berechnungen unbrauchbar.


Quantencomputing operiert an der Grenze dessen, was derzeit technologisch machbar und was physikalisch möglich ist. Ein Quantencomputer mit 100 hochqualitativen Qubits könnte Prozesse simulieren, die für klassische Supercomputer unerreichbar sind. Ein Quantencomputer mit 300 Qubits kann dann schon mehr Zustände erzeugen als es Atome im sichtbaren Universum gibt.
Die wichtigsten Begriffe kurz erklärt
Was ist ein Qubit?
Ein Qubit (kurz für Quantum Bit) ist die grundlegende Einheit der Information in einem Quantencomputer, analog zum klassischen Bit in herkömmlichen Computern. Während ein klassisches Bit nur die Werte 0 oder 1 annehmen kann, basiert ein Qubit auf den Prinzipien der Quantenmechanik, was ihm besondere Eigenschaften verleiht.

Was ist Superposition?
Ein Qubit kann sich in einem Überlagerungszustand befinden, bei dem es gleichzeitig eine Kombination aus 0 und 1 ist. Mathematisch wird dies durch Wahrscheinlichkeitsamplituden beschrieben.

Was ist Entanglement?
Zwei oder mehr Qubits können so miteinander verschränkt sein, dass der Zustand eines Qubits direkt mit dem Zustand eines anderen Qubits korreliert ist, selbst wenn sie räumlich voneinander getrennt sind.

Was bedeutet Rauschen?
Ungewollte Störungen oder Fehler, die während der Verarbeitung von Quanteninformationen auftreten. Rauschen ist ein zentrales Problem in der Quanteninformatik, da die physikalischen Systeme, die Qubits implementieren, äusserst empfindlich auf Umwelteinflüsse reagieren. Rauschen führt zum Verlust von Informationen, Fehlerakkumulationen und einer begrenzten Schaltkreistiefe.

Was bedeutet Fehlerkorrektur?
Ein Verfahren, um die Auswirkungen von Fehlern und Rauschen zu minimieren, die bei der Verarbeitung und Speicherung von Informationen in einem Quantencomputer auftreten.

Aktueller Stand und technololo­gische Herausforderungen

Die Quantenüberlegenheit (die sogenannte «Quantum Supremacy»), bei der sich diese Computer gegenüber herkömmlichen Systemen als überlegen erweisen – auch wenn die Rechenaufgabe vielleicht noch keine praktische Relevanz hat – wurde angeblich bereits 2019 erreicht. Google hat ein sehr spezielles mathematisches Problem mit einem selbst entwickelten System gelöst. Grosse Unternehmen wie Amazon, Google und IBM veröffentlichen und aktualisieren laufend Roadmaps für die weitere Entwicklung in den kommenden Jahren. Für die absehbare Zukunft wird ein hybrider Einsatz von Quantencomputern erwartet: Sie werden mit herkömmlichen Computern zu quantenzentrierten Supercomputern kombiniert. Viele Berechnungen werden weiterhin auf konventionellen Systemen durchgeführt und nur besonders rechenintensive Probleme, für die Quantenalgorithmen entwickelt wurden, wie zum Beispiel Risikoanalysen, werden auf Quantencomputern bearbeitet.

Gegenwärtig sprechen wir von der Noisy-Intermediate-Scale-Quantum-Ära (NISQ), die durch Quantencomputer mit ungefähr 50 bis 200 Qubits gekennzeichnet ist. Diese Systeme haben das Potenzial, Berechnungen durchzuführen, die über die Möglichkeiten klassischer Computer hinausgehen, obwohl ihre verrauschten Gatter und die fehlende Fehlerkorrektur erhebliche Einschränkungen mit sich bringen. NISQ-Geräte gelten als Sprungbrett zu leistungsfähigeren, fehlertoleranten Quantensystemen, die für die Realisierung revolutionärer Anwendungen unerlässlich sind. Kurzfristig ermöglichen NISQ-Systeme Fortschritte in der Forschung, aber das Rauschen und die Grösse dieser Geräte können kommerzielle Anwendungen einschränken. NISQ-Hardware beschleunigt die Entwicklung von Quantenalgorithmen, was zu Innovationen führt und heuristische Ansätze validiert.


Technologiefirmen arbeiten intensiv an der Verbesserung der Stabilität von Qubits und an Ansätzen zur Skalierung der Fehlerkorrektur. Um Fehlertoleranz zu erreichen, sind jedoch möglicherweise Millionen von physikalischen Qubits erforderlich, was einen grossen Sprung gegenüber den heutigen Möglichkeiten darstellt. Die Bewältigung dieser Quantenkluft wird Jahrzehnte anhaltender Anstrengungen und Innovationen in Wissenschaft und Technologie erfordern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Quantengemeinschaft ein Gleichgewicht zwischen kurzfristigen Experimenten und langfristigen Investitionen in Hardware, Algorithmen und Techniken zur Fehlerbegrenzung finden.

Quanten-Ökosysteme

Weltweit investieren Staaten erhebliche Summen in die Quantenforschung, um Wettbewerbsvorteile zu sichern. In der Schweiz tragen Universitäten wie die ETH Zürich, EPFL, die Universität Genf und die Universität Basel wesentlich zur Grundlagenforschung auf diesem Gebiet bei, insbesondere in den Bereichen Quantensensorik, Quantenverschlüsselung und Quantencomputing. Neue private Initiativen wie Quantumbasel, geförderte Start-ups und etablierte Technologieunternehmen spielen alle eine wichtige Rolle bei der Anwendungsentwicklung. Die kürzlich ins Leben gerufene strategische Partnerschaft zwischen der Universität Basel und QuantumBasel zeigt das intensive Bestreben der Beteiligten, den Fortschritt kollaborativ und zukunftsweisend voranzubringen. Die Partnerschaft zielt darauf ab, das Center for Quantum Computing and Quantum Coherence (QC2) zu stärken. Es sollen Forschungsaktivitäten des QC2 in Zusammenarbeit mit führenden Quantencomputing-Unternehmen durchgeführt, der Wissensaustausch zwischen Forschung und Industrie intensiviert und die Ausbildung qualifizierter Talente gefördert werden. Dem weltweit zunehmenden Protektionismus gerade im Bereich Quantencomputing begegnet QuantumBasel mit dem ersten physischen, kommerziell nutzbaren Quantencomputer der Schweiz des Herstellers IonQ, der in den kommenden Monaten in Betrieb genommen wird.

Mögliche Anwendungen von Quantentechnologien

Im Allgemeinen warten Unternehmen nicht darauf, das Neueste und Beste aus den Labors zu testen. Die Ungewissheit über den genauen Zeitpunkt des Durchbruchs des Quantencomputings schafft Unsicherheit bei Investoren und in der Industrie. Gleichzeitig erfordern die neuesten Trends und geopolitischen Entwicklungen jedoch auch ein hohes Mass an Flexibilität von Lösungsanbietern und Unternehmen, die ihre Strategien auf eine Quantenzukunft ausrichten, während sich die Quanten- und KI-Landschaft sehr schnell verändert.


Quantenalgorithmen haben das Potenzial, in verschiedensten Bereichen Verbesserungen zu ermöglichen. Quantumbasel erarbeitet konkrete Anwendungsfälle zusammen mit Start-ups, Industrieunternehmen und Forschungsinstitutionen. Die Brücke, die zwischen Industrie und Grundlagenforschung geschlagen wird, ermöglichte in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Fortschritte beim Mapping von Quantenalgorithmen auf Probleme mit industrieller Relevanz. Beispiele sind die Beschleunigung der (Krebs-)Diagnose, die Optimierung von Netzwerken zur Heizung, Lüftung und Klimatisierung und damit eine umweltschonendere Gebäudeplanung, die Routenoptimierung von Lieferdiensten und die Entwicklung von Kernspinresonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie) für Vorhersagen mit einer höheren Genauigkeit. Quantencomputing hat auch Implikationen für die Cybersicherheit und bedingt schon heute Migrationspläne auf Quantum-Safe-Standards durch das Risiko von «Harvest now, Decrypt later»-Attacken.

Ausblick

In den kommenden Jahren werden Quantencomputer konventionelle Computer nicht ersetzen, sondern ergänzen. Insbesondere das maschinelle Lernen hat sich als eines der vielversprechendsten Anwendungsfelder herauskristallisiert und eine Symbiose hat sich gebildet. Quantencomputing kann die Genauigkeit von Modellen erhöhen und das Training effizienter gestalten – sei es durch Zeitersparnis, Nutzung von verrauschten Eingangsdaten oder bessere Energieeffizienz. Gleichzeitig unterstützt klassisches maschinelles Lernen die Weiterentwicklung von Quantenmethoden, etwa beim Verständnis von Rauschen und der Fehler­eliminierung. Quantencomputer werden ihre Stärken vor allem bei besonders rechenintensiven Aufgaben ausspielen, für die spezielle Quantenalgorithmen bekannt sind. Hybride quanten-klassische Systeme kombinieren die Vorteile beider Technologien und eröffnen vielversprechende Perspektiven für unterschiedlichste Anwendungen.
Anwendungsfälle in der Schweiz / im QuantumBasel-Ökosystem:
Start-ups
Moonlight AI: Verbesserung von Computer Vision – Verfahren zur Krebsdiagnose mittels Blutabstrichen

Industrie
Vinci Energies: Optimierung des Designs von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen für komplexe Gebäude
Artidis: Erhöhung der Genauigkeit von ­Gewebeanalysen mittels Quantum Machine Learning

Akademia
ZHAW: Effizienteres Training von KI mit Quantenalgorithmen
FHNW: Simulation von Kernspinresonanz-­Experimenten (NMR) zur verbesserten Modellierung von Molekülen und Materialien

Der Autor

Frederik F. Flöther ist Chief Quantum Officer bei Quantumbasel, dem Kompetenzzentrum für Quantencomputing und KI als Teil des UptownBasel-Innovationscampus. Zuvor war er über sieben Jahre bei IBM, zuletzt verantwortlich für das Gesundheitswesen und die Biowissenschaften bei IBM Quantum. Frederik F. Flöther erforscht die technologischen Anwendungen sowie die philosophischen Implikationen von Quantencomputing und KI. Er hat einen Doktortitel in Physik mit Schwerpunkt auf photonischem Quantencomputing und einen MA, MSci und BA von der University of Cambridge. Insgesamt ist er Autor von über 40 angemeldeten Patenten, peer-reviewten Veröffentlichungen, Whitepapers und Buchkapiteln.


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welche Farbe hatte Rotkäppchens Kappe?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER