Die Schweiz als Vorreiter in nachhaltiger Tech-Entwicklung
Quelle: zVg

Die Schweiz als Vorreiter in nachhaltiger Tech-Entwicklung

Die Schweiz ist eine High-Tech-Hochburg. Aus dieser Vorreiterrolle liesse sich auch viel für eine grünere IT-Zukunft machen, meint Jörg Mäder, Nationalrat der Grünliberalen, im Interview.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/06

     

Die Schweiz ist dank einem ausgezeichneten Bildungssystem, renommierten Forschungseinrichtungen und internationaler Glaubwürdigkeit eine High-Tech-Hochburg. Aus dieser Vorreiterrolle hinaus liesse sich auch viel für eine grünere IT-Zukunft machen, wie Jörg Mäder, Nationalrat der Grünliberalen und Stadtrat in Opfikon, überzeugt ist. Wie unser Land diese Aufgabe angehen soll, welche Projekte dabei zentral sein können und wie es um die Digitalkompetenzen in Bundesbern stehen, verrät Mäder im Gespräch mit «Swiss IT Magazine».

«Swiss IT Magazine»: Herr Mäder, neben Ihren Ämtern als Stadt- und Nationalrat sind sie seit bald 20 Jahren als freischaffender Programmierer tätig. Wie kam das bei Ihnen mit der Leidenschaft für IT und digitale Themen?
Jörg Mäder:
Ich bin einer von denen, die sich das Programmieren selbst beigebracht und während der Gymi- und Studienzeit ihre Rechner selbst zusammengebaut haben. Eine Lehre oder Ausbildung habe ich in diesem Bereich nicht absolviert und hauptberuflich habe ich nur kurz als Entwickler gearbeitet. Meinen Hintergrund habe ich in den Naturwissenschaften und in der Politik.


Wie sieht Ihr Engagement als Software-Entwickler heute aus?
Heute arbeite ich gelegentlich für den Betrieb meines Bruders und für meine Partei, bei denen ich teilweise Weiterentwicklungen und Support übernehme. Ich habe einen recht bunten Lebenslauf mit Forschung, IT und Politik.

Aber IT-Themen waren immer dabei.
Ja, es war bei mir eigentlich immer ein Mix.

An welchem Softwareprojekt arbeiten Sie derzeit?
An den nächsten zwei Wochenenden werde ich für die Partei arbeiten – ich baue den Bildgenerator für unsere Social-Media-Beiträge weiter aus.


Kommen wir auf unser heutiges Kernthema – IT und Nachhaltigkeit – zu sprechen. Ohne den Blick in die globale IT-Branche geht das kaum. Bei welchen Digital-Themen ist die Schweiz in Ihren Augen im internationalen Vergleich stark; worauf sollten wir uns konzentrieren?
Wir sind schon lange ein High-Tech-Standort mit ausgezeichneter Bildung und Forschung. Hier sehe ich uns als Land im internationalen Tech-Wettbewerb. Wir sollten uns auf eine breite Entwicklung und Forschung im High-Tech-Bereich konzentrieren, der heute in der Regel eben auch sehr IT-lastig ist.

Haben Sie ein Beispiel?
Im Clean-Tech-Bereich, wo Produkte auf Effizienz und Nachhaltigkeit getrimmt werden, sehe ich beispielsweise grosse Chancen. Also an dem Ort, an dem Hardware und Software zusammenkommen. Hier hat die Schweiz – nicht zuletzt wegen unseren Forschungseinrichtungen – viel Glaubwürdigkeit. Das betrifft etwa Analyse- oder Steuerungstechnik oder Smart-City-Konzepte. Die IT wird im Ressourcenmanagement künftig eine grössere Rolle spielen.


Sie sprechen hier das Konzept «Green through IT» – also das Modell von Nachhaltigkeit dank schlauen IT-Lösungen – und nicht «Green IT» an.
Beides muss sein. Und wir müssen all unsere Lebensbereiche diesbezüglich fortan ständig hinterfragen. Bei guten Beispielen von «Green through IT» ist der Nachhaltigkeitseffekt aber sogar noch stärker.

Welche Bereiche sehen Sie bei der «Green IT», in denen sich die Schweiz künftig stark positionieren kann?
In der Forschung gibt es auch da viel Potenzial – etwa betreffend Ressourcenverbrauch bei der Herstellung von Hardware, beim Recycling der bestehenden Abfälle und bei der Produktion von Hardware, damit man sie besser recyclen kann. Bei Batterien wird das – dank E-Mobilität – langsam ein Thema, sollte aber nicht darauf beschränkt sein.

Wo sehen Sie hingegen eher wenig ­Potenzial in der Schweizer Tech-­Branche?
Wo wir sicher nicht konkurrieren können, ist der Massenmarkt mit industrieller Produktion. Aufgrund von Lohnstrukturen und Platzverhältnissen sind wir hier natürlich kaum konkurrenzfähig.

Zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit gibt es ja einen gewissen Widerspruch: Die grossen KI-Sprachmodelle etwa brauchen immer mehr Daten, für deren Verarbeitung wiederum braucht es mehr Rechenleistung und mehr Speicherplatz. Damit einher geht gesteigerter Rohstoff- und Stromverbrauch. Beschäftigt sich die Politik mit diesem Problem, wie wird das in Bern diskutiert?
Ich fürchte, dass das noch viel zu wenig diskutiert wird. Das Thema Stromverbrauch kam mit dem wachsenden Blockchain-Bereich auf. Aber wie viel Strom eine KI wirklich braucht, ist vielen Parlamentariern kaum bewusst – und den meisten wohl gar nicht. Da müssen wir ganz ehrlich sein.

Das ist ein Problem.
Das eigentliche Problem ist: Die knappste unserer Ressourcen ist Zeit. Wir leben in einer Aufmerksamkeitsökonomie. Neben Themen wie dem Klimaschutzgesetz, der Neutralität, Flüchtlingen oder der Wohnungsnot ist es sehr schwierig, dem hier beispielhaften Stromverbrauch von künstlicher Intelligenz Aufmerksamkeit zu verschaffen und das Thema als Traktandum ins Parlament zu bringen. Die meisten Parlamentarier sind normalerweise nur IT-Anwender. Und etwas böse gesagt: Oft sind sie sogar nur mittelmässige Anwender, die Software nutzen, die vor 10 Jahren spektakulär war.


Die Kritik, dass es nicht besonders gut um die Digitalkompetenz in Bern steht, ist also nicht unberechtigt?
Bis man in Bundesbern ist, macht man einen gewissen Weg. Und es sind bis heute nicht zwingend Digitalkompetenzen, die einen auf diesem Weg voranbringen.

Sollten sie das aber nicht eigentlich?
Es müssen nicht alle Parlamentarier Nerds sein wie ich (lacht). Aber ja, mehr Wissen zu Digitalthemen in Bern wäre gut. Diese Problem haben jedoch viele Bereiche – wahrscheinlich findet in diesem Moment ein Interview zwischen einem Militärmagazin und einem Sicherheitspolitiker statt, in dem man sich einig ist, dass der Nationalrat zu wenig von Landesverteidigung versteht. Die eigene Bubble mag man eben am liebsten.

Jüngst gab es ein Negativbeispiel aus Schaffhausen, wo ein Rechenzentrum bewilligt wurde. Dies, ohne dass man ein Konzept für die Abwärme hatte oder sich bewusst war, dass das RZ bei Volllast 75 Prozent des heutigen Stromverbrauchs des Kantons brauchen würde. Bubble hin oder her – da denkt die Politik doch schlicht nicht weit genug.
Korrekt. Aber hier sind wir mitten im Umbruch. Im Kanton Zürich etwa gibt es einen parlamentarischen Vorstoss, dass Rechenzentren verpflichtet werden, ihre Abwärme zu nutzen. Ich bin ja Stadtrat in Opfikon und in unserem Ortsteil Glattbrugg und der Nachbarsgemeinde Rümlang haben wir hier grosse Rechenzentren. Derzeit arbeiten wir daran, ein Fernwärmenetz um diese herum aufzubauen. Diese Themen kommen immer mehr, aber überall durchgedrungen ist das noch nicht.

Sie sagten vorhin, dass sie Schwierigkeiten haben, die notwendige Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeit in der Digitalbranche zu bekommen. Hier in unserer Tech-Bubble geniessen Sie nun unsere volle Aufmerksamkeit. Wo würden Sie mit Massnahmen konkret den Hebel ansetzen, um für mehr Nachhaltigkeit in der IT zu sorgen, wie werden wir konkret zum angesprochenen Vorreiter?
Ein wichtiger Bereich ist in meinen Augen etwa der vom Bund genannte Datenraum im Bereich Smart Cities und Ressourcenversorgung: Hier sollten offene Standards geschaffen werden, damit auch alle Unternehmen am gleichen Problem arbeiten können. Darauf lassen sich dann Geschäftsmodelle aufbauen. Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist HTML – bis heute die Basis vieler Websites und des Internets. Viele Hersteller glaubten damals, dass sie am besten wissen, wie sich HTML entwickeln soll und es gab ein unsägliches Chaos. Bis das W3C Consortium einen Standard geschaffen hat. Wir müssen solche Systeme als Ganzes denken. Und erst dann kann man die wirklich nützlichen Dinge obendrauf bauen.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die beste Strategie aus, um hier eben durchzudringen und die Politik in der von Ihnen angesprochenen Aufmerksamkeits­ökonomie besser für nachhaltige Digitalisierung zu sensibilisieren?
Bleiben wir gleich beim Beispiel der Abwärmenutzung von Rechenzentren. Hier braucht es Vorzeigeprojekte, bei denen man sagen kann: «Schaut her, wir nutzen die Abwärme optimal, es klappt, kopiert uns doch!» Unter dem Radar etwas zu realisieren und damit zeigen, dass es funktioniert, führt oft dazu, dass es Aufmerksamkeit gibt und der Rest das dann auch haben will. Die Alternative ist die Durchführung von eintausend Studien und Präsentationen, um sich einen Monsterkredit zu sichern. Bei einer NEAT-Röhre zum Beispiel geht das halt nicht anders. Bei Rechenzentren, die trotz allem kleiner sind als Bahntunnel, aber schon, hier finde ich Show-and-Tell-Beispiele sehr sinnvoll.


Das Konzept von Projekten mit Vorreitercharakter als Motivation lässt sich gewissermassen auch auf die Schweiz im internationalen Vergleich anwenden: Sollten die Schweiz mit solchen Projekten nicht auch global gesehen eine Vorbildrolle einnehmen?
Vielleicht haben Sie von der aktuellen Entwicklung in Deutschland bezüglich Wärmepumpen gehört. Diese sind dort noch nicht verbreitet und sollen nun vermehrt eingeführt werden. Als Schweizer liest man das und fragt sich: «Steht da wirklich 2023?» Diese Schlacht ist hierzulande schon lange entschieden. Die Schweiz kann dabei eine Vorbildrolle einnehmen und das gilt auch für IT-Technologie wie eben beim Beispiel der Rechenzentrumsabwärme.

Das ist aber auch teuer.
Wir sind ja auch ein wohlhabendes Land und können uns ein paar Fehlversuche leisten, bis es klappt. Die ersten Fernwärmenetze in der Schweiz waren eine Katastrophe – es hat nicht richtig geklappt und es gab keinen Businessplan. Aber wir haben daraus gelernt und haben heute eine zuverlässige Fernwärmeversorgung zu einem vernünftigen Preis.

Wie Sie sagen, führt Innovation auch immer zu Fehlversuchen und zu gros­sen initialen Investitionen. Muss die Schweiz also noch mehr in ihre Rolle als nachhaltige Innovationsnation investieren?
Wir haben schon einen guten Ruf als High-Tech-Nation. Und aus einer High-Tech-Nation eine Clean-Tech-Nation machen, ist ein machbarer Sprung. Wichtig ist auch: Wir sind dabei glaubwürdig. Als Tourismusland, das mit schöner Natur wirbt, nimmt man uns auch ab, dass wir uns um diese sorgen. …wenn wir das dann auch endlich mal machen würden (lacht)!




Internationale Standards zu schaffen ist ein Mammutvorhaben. Wie würden Sie das von der Schweiz aus angehen?
Wir sollten uns bemühen, aktiv an solchen Standards mitzuarbeiten oder diese gar selbst zu entwickeln, mit Testszenarien zu untermauern und dann freizugeben. Weiter sollten wir etwa eine Nachvollziehbarkeit dafür schaffen, was die Auswirkungen von Produkten sind, die man kauft. Bei den entsprechenden Labels herrscht aktuell Wildwuchs. Das wäre auch aus Marketing-Sicht spannend. Auch hier sind wir aktuell in einem Zwischenstadium.

Hier sprechen Sie aber doch zwei verschiedene Baustellen an. Zum einen geht es um Forschung, die sich letztlich auch verkaufen lässt. Das ist ein Business Case. Bei der Nachverfolgbarkeit hingegen hat die Wirtschaft – abgesehen vom Marketing-Zweck – kaum eine intrinsische Motivation. Wie schafft man den Spagat zwischen freier Wirtschaft und Regulatorien?
Diesen Spagat wird es immer geben. Manche Dinge kann der Staat besser, manche die Wirtschaft und für manche braucht es beide. Der Markt ist in der Regel aber relativ träge, weil getätigte Investitionen bewahrt werden sollen. Die Transformation zur umweltgerechten Produktion etwa muss schneller gehen, als der Markt das von sich aus machen würde. Bei grossen Paradigmenwechseln kann es sinnvoll sein, dass der Staat reguliert.



Gibt es schon politische Pläne für Regulierungen, um entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen?
Bisher nicht, dafür ist das Thema noch zu spezifisch.

Lassen Sie uns das als Gedankenspiel aufziehen.
Am Beispiel Smart Cities: Ich denke, dass sich der Staat etwa für einen Standard für die Kommunikation der Datenflüsse in Smart Cities einsetzen sollte. Dieser muss offen, kompatibel und sicher sein. Idealerweise würden Experten aus Forschung und Industrie diesen entwickeln und gemeinsam mit dem Staat, der den Prozess wohlwollend begleitet, als Standard definieren. In der Bauwirtschaft gib es das etwa mit den SIA-Normen. Wenn sich die Unternehmen dabei streiten, was nun zum Standard werden sollte, muss der Staat die Blockade lösen und eine Entscheidung treffen, damit man wieder vorankommt.


Es scheint, als dass es diese Negativbeispiele – die von ihnen eben angemerkten Streitigkeiten oder kleineren Skandale wie das Rechenzentrum in Schaffhausen – braucht, damit sich etwas tut und der Staat entsprechend eingreift. Geht das nicht früher, einfacher, besser?
Skandale sind natürlich gut für die Aufmerksamkeit. Sie absichtlich einzusetzen, ist mir zwar etwas zu zynisch, aber sie haben den positiven Nebeneffekt, dass die Leute aufhorchen. Die beste Lösung sehe ich aber tatsächlich in den bereits angemerkten, subversiven Vorzeigeprojekten, mit denen man voranschreiten kann und die dank Open Source Standards gewinnbringend kopiert werden können.

Jörg Mäder


Jörg Mäder (1975) ist Nationalrat für die Grünliberale Partei, Stadtrat in Opfikon und seit 2020 im Vorstand seiner Partei. Er hält einen Doktortitel in Naturwissenschaften der ETH Zürich und arbeitete nebenberuflich als freischaffender Programmierer sowie als Mathematiklehrer an der Schweizerischen Technischen Fachschule Winterthur. In Bundesbern sitzt er in den Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit SGK, auch ist er Co-Host des Netzpodcast der Digitalen Gesellschaft. Aufgrund seiner Position als Stadtrat besetzt er eine Reihe von Posten in Verwaltungsräten, Verbänden und Vereinen (z.B. Energie Opfikon und Spital Bülach). (win)


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Was für Schuhe trug der gestiefelte Kater?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER