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Souveränes Bewältigen komplexer Situationen trainieren

Führungskräfte stehen zunehmend vor der Herausforderung, komplexe Situationen zu meistern. Die hierfür nötigen Kompetenzen können Führungsnachwuchskräften mit Business-Simulationen vermittelt werden. Ein Projektbericht.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/04

     

Unternehmen müssen ihrem Führungsnachwuchs die Kompetenzen vermitteln, die sie brauchen,
- um Veränderungen im Unternehmen und dem Umfeld früh zu erkennen und
- die ihnen anvertrauten Bereiche zum Erfolg zu führen.

Dabei kämpfen Unternehmen oft mit einem Problem: In Seminaren können sie ihren Führungsnachwuchs nur begrenzt für die Vielschichtigkeit dieser Aufgabe sensibilisieren. Deshalb fehlt den jungen Führungskräften im Führungsalltag häufig die Verhaltenssicherheit, die sie in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz) zunehmend brauchen.
Deshalb entschied im Juni 2022 ein weltweit agierendes Technologieunternehmen, im Rahmen seiner Führungskräfteentwicklung eine Business-Simulation durchzuführen, - - bei der die Teilnehmenden
die Komplexität des Umfelds, in dem sich Führung zunehmend vollzieht, sozusagen live erfahren,
- verschiedene Problemlöse- und Managementstrategien ausprobieren und
- alternative Vorgehensweisen identifizieren, sodass sie letztlich ein grösseres Handlungsrepertoire haben und ihre Verhaltenssicherheit steigt.


Zudem sollten die Führungsnachwuchskräfte durch ihr Probehandeln in der Business-Simulation ein Gespür dafür entwickeln, wo bei ihnen noch ein Entwicklungsbedarf besteht.

Die Simulation spiegelt die Realität wider

Vor der Führungskräfteentwicklungsmassnahme wurde ein bestehendes Business-Simulationsprogramm mit MTI-­Unterstützung so modifiziert, dass es das Unternehmen und dessen Marktsituation widergespiegelte – inklusive der unter anderem durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Turbulenzen. Denn eine Anforderung an die Business-Simulation lautete: Die Teilnehmenden sollen in dem Workshop mit realen Unternehmens- und Marktdaten arbeiten.

Als die zentrale Herausforderung wurde zudem definiert: Das Unternehmen steht unter einem hohen Innovationsdruck, weil sich sein Markt rasch wandelt und der technische Fortschritt immer neue Problemlösungen ermöglicht. Deshalb haben die Strategien des Unternehmens eine immer kürzere Haltbarkeit. Also müssen alle Unternehmensbereiche ihre Strategien und Prozesse regelmässig überdenken. Damit sind folgende Heraus- beziehungsweise Anforderungen an die Führungskräfte verbunden:


- Sie müssen Veränderungsbedarf früh erkennen.
- Sie müssen ausser ihren Mitarbeitenden oft auch die Bereiche, mit denen sie kooperieren, und ihre Vorgesetzten als Mitstreiter dafür gewinnen, gewisse Weichen neu zu stellen. Und:
- Die Führungskräfte müssen ihr Handeln koordinieren und als Team agieren.

Komplexität managen lernen

Nach Abschluss der Vorbereitungen fand Ende August 2022 ein dreitägiger Workshop mit insgesamt zwölf Nachwuchsführungskräften aus der gesamten DACH-Region statt. Er startete an einem Dienstagnachmittag. Die Teilnehmenden reflektierten zunächst gemeinsam:
- Welche Funktion hat Führung?
- Was sind die Voraussetzungen, um in einer von rascher Veränderung geprägten Zeit als Organisation auf Dauer Spitzenleistungen zu erbringen? Und:
- Welche Anforderungen resultieren hier­aus an Führung?

In zwei Sechserteams erstellten die Teilnehmenden jeweils eine Collage, die diese Zusammenhänge verdeutlichte. Diese wurden im Plenum debattiert. Danach stellten die beiden Prozessbegleiter genannten Berater, die den Workshop leiteten, den Teilnehmenden das Simulationsprogramm vor. Ausserdem erläuterten sie ihnen das inhaltliche Setting. Danach erhielten die Teilnehmenden ihre Rollenbeschreibungen für die Business-Simulation, so dass sie sich am Abend bereits überlegen konnten:
- Wie nehme ich diese Rolle adäquat wahr und
- welches Verhalten sollte ich als Führungskraft zeigen?


Bei der Rollenverteilung wurde darauf geachtet, dass die jungen Führungskräfte in ihrer Fachdisziplin fremden Bereichen zum Einsatz kamen. Aus Führungskräften in der Produktion wurden also zum Beispiel Einkaufsleiter und aus HR-Spezialisten Führungskräfte im Bereich Finanzen. So sollte vermieden werden, dass die Teilnehmenden sich beim Bewältigen der Herausforderungen in der Simulation primär auf ihr Fachwissen stützen. Denn diese sollte nicht ihre fachliche Kompetenz vertiefen; vielmehr sollten sie erfahren, wie sie in einem komplexen, von zahlreichen Interdependenzen und Veränderungen geprägten Umfeld als Führungskräfte und -team handlungsfähig bleiben. Am Mittwochmorgen begann die eigentliche Business-Simulation. Sie bestand aus fünf 90-minütigen Simulationsphasen, auf die jeweils Module folgten, in denen die Teilnehmenden unter Anleitung ihr Vorgehen und Verhalten in der Simulation reflektierten beziehungsweise sich inhaltlich mit einem für das Führen von Bereichen relevanten Thema befassten. Dabei war in den Simulationsphasen stets eine der beiden Sechsergruppen als Management-Team aktiv; die zweite Gruppe beobachtete sie hierbei, um ihr anschliessend Feedback zu geben. In der nächsten Phase erfolgte ein Rollentausch: Nun setzte die zweite Gruppe die Simulation fort, während die erste sie dabei beobachtete.


Die Teilnehmenden sind mal Akteure, mal Beobachter

In der ersten Phase der Simulation lautete das Setting: Das Unternehmen läuft aktuell noch rund und sein Geschäft ist weitgehend stabil. Erste schwache Zeichen deuten jedoch darauf hin, dass sich die Rahmenbedingungen in absehbarer Zeit wandeln. Zentrale Fragen waren in dieser Phase:
- Wie verhalte ich mich in einer solchen Situation?
- Wie erkenne ich frühzeitig Veränderungen, potenzielle Chancen und Risiken?


Danach wurde im Plenum mit den beiden Prozessbegleitern, die den Workshop moderierten, reflektiert,
- welche Instrumente es zum Erkennen von Veränderungen gibt und
- wie man deren Relevanz für das Unternehmen bewertet und hierauf angemessen reagiert.
Interventionen während der Simulation
- Impulsvorträge: Der Entwicklungsprozess, der sich in der Simulation vollzieht, wird durch Impulsvorträge der Prozessbegleiter gennannten Berater unterstützt. Dabei wird den Teilnehmenden unter anderem das Management- und Führungswissen vermittelt, das sie zum Bewältigen der in der betreffenden Phase der Business-Simulation thematisierten Herausforderungen brauchen.

- Time-outs: Das Simulationsgeschehen wird von den Beratern bei signifikanten Erlebnissen angehalten, um das gerade Gesehene oder Geschehene mit den Teilnehmenden zu besprechen und zu reflektieren. Die so generierten emotionalen Anker fördern den Transfer. Auch die Teilnehmenden können ein Time-out initiieren.

- Consulting-Karte: Die Teilnehmenden erhalten Consulting-Karten. Mit ihnen können sie während der Simulation einen Prozessbegleiter als fachlichen Berater konsultieren – wie in der Realität. Die Teilnehmenden erhalten von ihm die Infos, die sie von ihm erfragen, nicht mehr und nicht weniger.

- Kellner-Rolle: Wenn die Berater hierum gebeten werden oder dies als hilfreich erachten, bieten sie den Teilnehmenden Alternativen zu den nächsten Schritten, methodische Interventionsformen und so weiter an. Die Teilnehmenden entscheiden selbst, was ihnen hilfreich erscheint und wenden es gegebenenfalls in der Simulation an.

- Coaching: Jeder Teilnehmende kann im Verlauf des dreitägigen Workshops individuelle Coachinggespräche mit den Beratern führen. Die Präsenz von zwei oder drei Beratern gewährleistet, dass stets mindestens ein Begleiter die Live-Situationen in der virtuellen Business-Simulation verfolgt, während ein Kollege Teilnehmer coacht.

Steigender Handlungsdruck

Das Setting in der nächsten Phase lautete: Das Geschäft des Unternehmens ist zwar noch stabil, doch die Anzeichen eines fundamentalen Wandels verstärken sich. Die Führungskräfte mussten nun aus den Umfeldsignalen konkrete Informationen ableiten und ermitteln, ob gewisse Weichen neu gestellt werden müssen.
In der dritten Phase erhöhte sich der Handlungsdruck weiter – zum Beispiel, weil wichtige Kennzahlen nun negative Vorzeichen aufwiesen – sodass in der vierten Phase der Simulation für alle Teilnehmenden offensichtlich war:
- «Wenn wir in Phase 3 nicht erste Vorsichtsmassnahmen ergriffen hätten, wären wir in eine Krise geschlittert» und
- «Wenn wir jetzt nicht neue Strategien entwerfen, erreichen wir die langfristigen Ziele nicht.»

Das Erreichte sichern und ausbauen

In der fünften und letzten Simulationsphase ging es darum, zu überprüfen, ob die ergriffenen Veränderungsmassnahmen die gewünschte Wirkung zeigten, und wenn ja, dafür zu sorgen, dass die von den Teilenehmenden neu gestalteten Abläufe und Strukturen die nötige Stabilität aufweisen.

Durch die praxisnahe Business-Simulation gelang es dem Unternehmen, die Sensibilität seiner Nachwuchskräfte für die Komplexität ihrer Führungsaufgabe zu erhöhen. Ausserdem stieg durch das Erproben verschiedener Management- und Kooperationsstrategien ihre Handlungskompetenz in einem von rascher Veränderung geprägten Umfeld.


Davon profitierte das Technologieunternehmen unmittelbar, als sich in den folgenden Monaten weitgehend in Folge des Ukraine-Krieges seine Beschaffungs-, Absatz- und Finanzierungsprobleme verschärften – auch weil durch die Business-Simulation das Gespür der Teilnehmenden für die bei ihren Entscheidungen zu beachtenden Wechselwirkungen geschärft worden war. Deshalb entschied die Unternehmensleitung Ende 2022: Die Business-Simulation soll ab 2023 ein fester Bestandteil unserer Führungskräfteentwicklung sein – und zwar nicht nur in der DACH-Region, sondern weltweit.

Der Autor

Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer des international agierenden Trainings- und Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI), Visselhövede. Dieses ist unter anderem auf das Planen und den Rollout von Personal- und Führungskräfteentwicklungsmassnahmen mit Hilfe der Digitaltechnik spezialisiert.



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