Eine ausfallsichere E-Patientenakte

Das Projekt HAVE-EPR hat drei Versionen einer ausfallsicheren elektronischen Patientenakte erarbeitet und die einfachste implementiert.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/18

     

Heute haben alle modernen Spitäler ihre Kernprozesse im klinischen Bereich mit geeigneter Software abgebildet. Ein Ausfall dieser elektronisch gestützten Systeme kann für die Patienten lebensgefährdend werden, und auch für den reibungslosen Betrieb des Spitals ist ihre Verfügbarkeit kritisch. Ein ausfallfreies Informatiksystem entspricht aber auch heutzutage eher einer Wunschvorstellung denn der Realität.
Mit dem Projekt HAVE-EPR haben das Institut i3t der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz und die Uniresearch AG nun ein Ausfallkonzept für die elektronische Patientenakte implementiert, das den wesentlichen Verfügbarkeitsansprüchen eines Akutspitals
gerecht wird.
Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil ist seit 1998 eine kommerzielle elektronische Patientenakte der Firma Nexus im Einsatz, die bis heute weiterentwickelt worden ist. Dieses System besteht grundsätzlich aus einem zentralen Datenserver. Über das LAN und über das WLAN können die Client-Applikationen auf diese zentrale Datenablage lesend und schreibend zugreifen. Dazu kommen PCs, Laptops und auch mobile Pen-Pads zum Einsatz.





Alle Kern- und viele Teilprozesse des SPZ wie der Pflegeprozess, der Anmeldungs- oder der Verordnungs-Workflow sind mit dem Nexus-System abgebildet. Das administrative wie auch das medizinische oder pflegerische Personal nutzt das System intensiv und ist darum auch mit seiner Handhabung bestens vertraut. Umgesetzt ist die komplexe Datenbankapplikation mittels Client-Server-Technologie. Aus Datenschutzgründen werden dabei keine Daten dezentral zwischengespeichert, sondern alle Eingaben sofort in der zentralen Datenbank abgelegt. So lassen sich die Daten einfacher vor unerlaubtem Zugriff schützen.






Die Erfahrung am SPZ Nottwil hat gezeigt, dass die Verfügbarkeit des Systems aus diversen Gründen nicht 100 Prozent sein kann. Zum Beispiel führen Wartungsarbeiten oder ein Ausfall der Technik durch fehlerhafte Komponenten zu Betriebsunterbrüchen, während denen keine medizinischen Daten elektronisch zur Verfügung stehen. Um rund um die Uhr eine angemessene Betreuung der Patienten gewährleisten zu können, ist das medizinische und pflegerische Personal jedoch auf die hundertprozentige Verfügbarkeit der Patientendaten angewiesen. Besonders in einer Notfallsituation muss rasch und einfach auf diese Daten zugegriffen werden können. Keine oder falsche Informationen könnten für den Patienten eine lebensbedrohende Situation darstellen und für das medizinische Personal wie auch für die Organisation erhebliche persönliche und wirtschaftliche Folgen haben.


Drei Iterationen

Um eine hundertprozentige Verfügbarkeit der Daten auf einer Station zu ermöglichen, wurde eine Lösung gefunden, die die Schwachstellen der einzelnen Gesamtsystemkomponenten (Nexus Software, Betriebssystem, Datenbank, Hardware, Netzwerk) umgeht. Durch die Projektgruppe wurde ein Gesamtausfallskonzept mit insgesamt drei verschiedenen Iterationsstufen ausgearbeitet, das unter www.intra net.fhso.ch/have-epr detailliert publiziert ist.
Die Iteration 1 entspricht dabei einer einfachen und pragmatischen Lösung, die bei einem Ausfall nur den lesenden Zugriff auf die kritischen Patientendaten sicherstellt. Iteration 2 ermöglicht zusätzlich zum Lesezugriff auch das Schreiben im Offline-Modus. Dazu werden alle Daten der Patienten einer Station jeweils auf einen dezidierten PC pro Station repliziert. Um den Aufwand für das Konfliktmanagement möglichst klein zu halten, können aber nur die medizinisch relevanten Datenfelder beschrieben werden. Als 3. Iteration arbeitete die Projektgruppe schliesslich eine Variante aus, die basierend auf dem Java Messaging Service durch eine vollständige zweiseitige Replikation die grösst mögliche Unabhängigkeit bietet.


Reduktion auf minimalen Datensatz

Um möglichst schnell, günstig und effizient eine Lösung implementieren zu können, hat sich das SPZ für eine Umsetzung der Iteration 1 entschieden. Diese Lösung hat gegenüber den komplexeren Iterationen 2 und 3 den Nachteil, dass während des Ausfalls anfallende Daten von Hand auf Papier geführt und dann im nachhinein ins System eingegeben werden müssen. Dies bedeutet, dass keine durchgängige Prozessunterstützung gewährleistet ist und so eine zusätzliche Fehlerquelle entsteht. Zudem müssen die Stationen bei einem Ausfall die Applikation wechseln, um Lesezugriff auf die Patientendaten zu haben. Diese Übergangslösung erfüllt aber die folgende Zielsetzungen:


• Bei einem System oder Netzunterbruch stehen die wichtigsten Daten dem medizinischen und pflegerischen Personal auf den Stationen zur Verfügung.


• Die dezentralen Daten werden dreimal am Tag (von Schicht zu Schicht) aktualisiert.


• Durch eine klare Benutzerführung ist der Schulungsaufwand für die Benutzer extrem klein.


• Durch den Einsatz der bestehenden Systeme und Software gibt es keine neuen Lizenzkosten. Sämtliche Neuentwicklungen wurden mit Open-Source-Produkten umgesetzt.
Zentral für die Iteration 1 ist der «minimale Datensatz» jedes Patienten, der den Stationen im Offline-Modus zur Verfügung steht. Dieser wurde gemeinsam mit den Benutzern festgelegt und enthält neben allgemeinen Patientendaten, Diagnosebefunde, verordnete und verabreichte Medikamente, Vitalwerte, die Flüssigkeitsbilanz, Laborwerte und die Pflegemassnahmen.
Die einzelnen Stationen erhalten dabei nur den minimalen Datensatz ihrer jeweiligen Patienten, da aus Datenschutzgründen die Patientendaten möglichst nur zentral gespeichert werden sollten.


Java und XML

Für die Umsetzung wurde auf der Serverseite mit XMLEmergency eine Java-Applikation entwickelt und zusammen mit dem Internet Information Server IIS als Service implementiert. Sie wird somit in einem vorgegebenen Zeitraster ohne Benutzerinteraktion ausgeführt.
Dabei werden auf der Serverseite drei Schritte ausgeführt: Als erstes erzeugt XMLEmergency eine Datenbankabfrage, um den minimalen Datensatz auszulesen. Diese Abfrage wird mit einem JDBC-Treiber realisiert. Dann generiert die Datenbank aus dem SQL Query einen XML-Zeichenstrom. Dazu stellen die grossen Datenbankhersteller entsprechende Bibliotheken zur Verfügung. Als dritten Schritt legt XMLEmergency für jede Station eine entsprechende XML-Datei an und speichert diese in einem Ordner unterhalb des Webroot des IIS.





Jede auf diesem Weg generierte XML-Datei wird 20 Minuten später mit einem gewöhnlichem Windows-Batch-Service auf die lokalen Netzwerkclients verteilt. Die für das Ausfallskonzept vordefinierten Clients müssen dazu nicht zwingend über eine feste IP-Adresse verfügen, da die Identifikation der Ausfallskonzeptclients aufgrund von zugeteilten PC-Namen erfolgt. Somit müssen keine zusätzlichen Einstellungen im Zusammenhang mit dem DHCP-Server durchgeführt werden.






Auf der Clientseite sind für die Replikation der Minimaldaten insgesamt vier Schritte nötig: Als erstes lädt der Benutzer mit dem Internet Explorer (IE) über das http-Protokoll mit einer entsprechenden URL die gewünschte Station. Danach liefert der IIS die unter seinem Webroot gespeicherte XML-Datei an den Aufrufer zurück. Steht der IIS-Server in diesem Schritt nicht zur Verfügung, lädt der IE die lokal gespeicherte Kopie. Der IE erkennt dabei aus dem Header der XML-Datei, dass die Datei auf ein XSL-Stylesheet referenziert, und lädt dieses darauf. Das XSL-Stylesheet befindet sich in einem lokalen Ordner. Schliesslich wandelt der XSL-Prozessor des IE die XML-Datei mit Hilfe des Stylesheet in
eine HTML-Datei und stellt diese im Browser dar. Die HTML-Seiten
sind dabei so aufgebaut, dass eine einfache und effiziente Navigation durch die Patientendaten
möglich ist.


Einfach mit Medienbruch

Diese erste Minimallösung einer ausfallsicheren elektronischen Patientenakte ist heute auf allen sechs Pflegestationen inklusive Intensivstation des SPZ Nottwil implementiert. Durch sie sind die wichtigsten Patientendaten immer dezentral verfügbar. Der grösste Vorteil des Systems liegt in seiner Einfachheit – sowohl bei der Bedienung durch die Endbenutzer als auch bei der Administration. Der Einsatz von Standards wie XML und XSL erlauben zudem einen einfachen Ausbau. Durch die Nutzung bereits vorhandener Client-Software (IE) und von Open-Source-Produkten entstanden nur minimale Kosten. Aus der Prozessperspektive ist das Fehlen des Schreibzugriffs unbefriedigend, da so ein Medienbruch entsteht und der Nutzer zudem die Applikation wechseln muss.


Der Autor

Dragan Bosancic ist Leiter Gesundheitsinformatik der Uniresearch AG, einem Tochterunternehmen des Schweizer Paraplegikerzentrums Nottwil. Sie erreichen ihn unter dragan.bosancic@uniresear.ch




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