IT ohne Frauen: Ein Verlustgeschäft

Es ist ein Dauerbrenner: Frauen in der IT sind nach wie vor extrem selten. Dabei könnte durch ein ausgewogeneres Verhältnis viel Mehrwert generiert werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/08

     

«Auf die Frage, was ich denn von Beruf sei, ernte ich mit der Antwort ‹Informatikerin› in der Regel eine von zwei typischen Reaktionen: Entweder ein von Fragezeichen begleitetes ‹Ah ja› oder die Aufforderung, mich um den havarierten Computer des Fragestellers zu kümmern.» Silke Kemnitz ist diplomierte Ingenieurin und Informatikerin und arbeitet als IT-Consultant bei der Firma MondayCoffee. Ausserdem ist sie Leitungsteam-Mitglied der Donna Informatica, einer Fachgruppe der Schweizer Informatik Gesellschaft SI, die sich an Informatikerinnen und Fachfrauen aus IT-nahen Berufen wendet. Ihre Erfahrung spiegeln erstaunlich genau die Probleme wider, mit welchen die IT zurzeit zu kämpfen hat:





Einerseits ist das eine mitunter ziemlich verzerrte Wahrnehmung davon, was IT eigentlich ist. Auf der anderen Seite steht das auch in der IT bekannte Problem der geschlechterspezifischen Klischees, welchen mit Argumenten nur schwer beizukommen ist.




Der Frauenanteil in der IT-Branche liegt bei ungefähr zehn Prozent. Daran hat sich in den letzten Jahren nicht sonderlich viel geändert. Betrachtet man die jährlichen Zahlen der IT-Studentinnen beispielsweise, so lässt sich zwar ein leichter Aufwärtstrend erkennen, allerdings befindet man sich im europäischen Vergleich noch weit hinter vielen anderen Ländern. Besonders die skandinavischen Universitäten und Hochschulen können einen Frauenanteil von bis zu 30 Prozent verzeichnen.


Denkt Mann an Frauen, welche in der IT beschäftigt sind, so wird er wohl kaum eine Softwareentwicklerin oder Security-Expertin vor Augen haben. Bereiche wie Webdesign und Support sind da eher die Bereiche, in welchen man sich eine erhöhte Anzahl an Frauen vorstellen kann. Allerdings sei dies eine Ansicht, welche so nicht der Wahrheit entspreche: «Ein Blick auf die Tätigkeiten der Informatikerinnen unseres Netzwerkes zeigt, dass diese in den verschiedensten Bereichen der IT tätig sind. Die Bereiche Softwareentwicklung, Webdesign, Datenbanken, Usability, Security und Consulting seien hier exemplarisch genannt, die Liste lässt sich allerdings beliebig fortsetzen», so Kemnitz.



Entwicklung Schweizer Informatikstudierenden seit 1991


Hürdenlauf IT

Daran, dass die Arbeit rund um die Informationstechnologien ein eher negatives Image bei der breiten Bevölkerung geniesst, wird heute wohl niemand mehr zweifeln. Projekte wie das Jahr der Informatik, Informatica08, und ähnliche wollen diesem Problem mit unzähligen Informationsveranstaltungen und Aufklärungsversuchen zu Leibe rücken. Auch Frauen sollen vermehrt für Informatik begeistert werden. Allerdings sei dies nur ein Teilbereich des gesamten Problems, so Kemnitz: «Solange technische Ausbildungsgänge und Berufe hauptsächlich männerorien­tiert und -dominiert sind, sind diese auch nur bedingt attraktiv für Frauen. Die Schwelle, sich bereits in jungen Jahren beruflich in diese Richtung zu orientieren, ist damit wesentlich höher. Dies ist ein Teufelskreis, den es zunächst einmal zu durchbrechen gilt.»





Das Image der IT ist allerdings bloss die Einstiegshürde, welche vor allem für Frauen extrem hoch zu sein scheint. Arbeitet man als Frau erst einmal in der Informatik, sieht man sich mit den hinlänglich bekannten und ebenso falschen Klischees konfrontiert. Kemnitz: «Als Fachspezialistin Akzeptanz und Respekt gleichermassen wie Männer zu erfahren, ist sicherlich eine weitere Hürde, die sich aber durchaus als Herausforderung verstehen lässt. Hat Frau diese Hürden als Herausforderungen verstanden, so bietet die Informatik ein sehr interessantes, abwechslungsreiches und anspruchsvolles Betätigungsfeld.»



Allerdings sollte man sich hier die Frage stellen, ob dies nicht ein Problembereich ist, der nicht vor allem die Herren der Schöpfung betrifft. Es scheint wohl etwas viel verlangt, dass Frauen in der IT es als Herausforderung ansehen sollten, sich Respekt und Ansehen zu verschaffen.


Weiblicher Mehrwert

Nicht alle Klischees sind zwingend falsch. Einige Frauen betreffende Klischees können sogar wissenschaftlich nachgewiesen werden. Es sind dies hauptsächlich auch Vorurteile, welche für die Frauen sprechen. So zum Beispiel die ihnen zugetraute höhere Sozialkompetenz. Der Mehrwert, den IT-Spezialistinnen generieren können, liegt nicht bloss in ihrer Arbeitskraft. Es ist vielmehr die weibliche Mentalität, welche dem IT-Sektor bisweilen ganz gut tun könnte. «Heute sind zunehmend umfassende, interdisziplinär erarbeitete IT-Lösungen gefordert, die in einer globalisierten Welt zum Einsatz kommen. Kommunikative Fähigkeiten, Einfühlungsvermögen, Sozialkompetenz, Kreativität, wie auch vernetztes Denken, werden daher in der Informatik immer wichtiger. Skills, die Frauen in der Regel von Haus aus mitbringen», so Kemnitz.



Die IT wurde mehrheitlich von Männern entwickelt. Das mag mit ein Grund – wenn nicht der zentrale – sein, weshalb vor allem Vertreter des männlichen Geschlechts damit zu tun haben. Allerdings gibt es da noch das Sprichwort, dass das Problem nicht Teil der Lösung sein kann. Und obwohl hier auf keinen Fall behauptet werden soll, dass Männer in der IT ein Problem wären, kann es laut Kemnitz durchaus sein, dass der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen ist: «Frauen haben eine andere, weniger technikzentrierte Sichtweise auf die Dinge. Diese ermöglicht es, dass Lösungen und Prozesse allen Teilen der Gesellschaft gerechter werden. Darüber hinaus wurde bereits hinlänglich der Beweis erbracht, dass gemischte Teams besser funktionieren und durch Nutzung der Unterschiede höhere und bessere Leistungen erbringen.» Ausserdem liegt es in der männlichen Natur, dass Männer in Anwesenheit von Frauen zu Höchstleistungen angespornt werden können.


«Angebot schaffen»

Aber was braucht es denn nun konkret, damit die IT etwas weiblicher werden kann? Ansätze wie das Jahr der Informatik sind sicherlich ein Anfang, allerdings dürften reine Informationskampagnen nicht den grossen Effekt haben, der dazu nötig ist. Vielmehr bedarf es tiefgehender Umwälzungen was die Praxis und die Ausbildung betrifft:

«Ausbildungsträger und Unternehmen sind nun gefordert, Angebote und Infrastrukturen zu schaffen, die für Frauen und Familien attraktiv sind. Viele Initiativen von Unternehmen und Organisationen gehen zum Glück bereits in diese Richtung; jetzt gilt es, diese auszubauen und zu Nachhaltigkeit zu verhelfen»,
so die IT-Spezialistin. Ausserdem sei es wichtig, dass Frauen erkennen, wie interessant und abwechslungsreich die IT-Branche tatsächlich sein kann. Dafür allerdings kann es keine Patentlösung geben. Denn Interessen sind nach wie vor etwas, was bereits in frühester Kindheitsphase geweckt wird und können nicht einfach plötzlich umgekrempelt werden.


Donna Informatica

Die Donna Informatica ist eine Fachgruppe der Schweizer Informatik Gesellschaft SI, die sich an Informatikerinnen und Fachfrauen IT-naher Berufe wendet. Sie besteht seit Ende 2000 und hat derzeit über 100 Mitglieder. Zu den Angeboten der Fachgruppe gehören ein Mentoring-Programm, welches von Bund und Organisationen finanziell unterstützt wird, sowie eine Online-Rechtsberatung. Monatlich werden Veranstaltungen in Form von Referaten oder moderierten Diskussionen durchgeführt, welche die Vernetzung von Frauen in der IT-Branche fördern sollen. Weitere Informationen finden sich unter www.donnainformatica.ch.




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