Der grösste Identitätsspeicher
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/04
Auf die Frage nach dem grössten Identitätsspeicher in ihrem Unternehmen antworten die meisten IT-Verantwortlichen mit dem Active Directory oder einem anderen zentralen Verzeichnis, manchmal auch mit dem HR-System oder dem Verweis auf ein Corporate Directory. Das CRM wird aber selten genannt. Dabei hat die Sichtweise auf das CRM als Identitätsspeicher viel Potential.
Das CRM ist ein System, in dem man mehr oder minder viele Informationen rund um die einzelnen Kunden und deren Vorstufen wie die Leads ansammelt, um die Beziehung zu den Kunden optimal pflegen zu können. Letztlich hat man darin also Informationen zu der digitalen Identität seiner Kunden – und für jeden realen Kunden sollte es genau einen solchen Eintrag geben.
Ein CRM ist damit aus einer etwas abstrakteren technischen Betrachtungsweise nichts anderes als ein HR-System als Informationssystem zu den Mitarbeitern oder ein SRM (Supplier Relationship Management) für Lieferanten – oder ein Active Directory, in dem ebenfalls zu Mitarbeitern und vielleicht noch ein paar anderen Identitäten Informationen gespeichert sind. Nur dass sich eben die Zwecke unterscheiden, zu denen diese Informationen gespeichert werden.
Eine dieser Herausforderungen ist die integrierte Sicht auf den Kunden. Um einen Kunden optimal bedienen zu können und damit den maximalen Profit mit ihm zu machen, muss man möglichst viel über ihn wissen. Nur: Manche Daten liegen im CRM, andere liegen im ERP-System, weil es um Rechnungen geht. Wieder andere befinden sich in einem speziellen System des Customer Help Desk. Dann gibt es da auch noch die Website, auf der sich der Kunde vielleicht einmal registriert hat und wo man auch manches an Daten zu seinem Informationsverhalten gesammelt hat. Eine Gesamtsicht auf den Kunden gibt es aber nicht.
Eng im Zusammenhang mit der Gesamtsicht auf den Kunden steht das Thema der Total Customer Experience (TCE), das bereits seit längerem diskutiert wird. Salopp gesagt, geht es darum, dem Kunden ein optimales Erlebnis zu bieten. Das bedeutet insbesondere, dass der Kunde immer das positive Gefühl hat, dass man ihn kennt – wie im echten Leben. Dort ist das Einkaufen ja auch viel angenehmer, wenn man in einem Geschäft erkannt und anhand seiner Interessen und Vorlieben bedient wird und daher beispielsweise nicht immer wieder erklären muss, was man an Kleidung eben gerne trägt oder nicht trägt.
Über solche Änderungen am Geschäftsmodell muss man sich ohnehin Gedanken machen. Denn die Art und Weise, wie man die Beziehung zum Kunden gestaltet, wird von den Ansätzen von «Identity 2.0» oder dem «User-Centric Identity Management» zukünftig in vielen Bereichen stark beeinflusst werden.
Dabei geht es darum, dass der Benutzer selbst mit einer Identität auftritt und dass er insbesondere selbst kontrollieren kann, wem er welche Identitätsdaten zugänglich macht. Das wird sich schnell auf viele Situationen des Zusammenspiels mit Kunden und Unternehmen auswirken, aber auch neue Chancen für Unternehmen und ihre Interaktion mit ihren Leads und Kunden schaffen.
Ein wichtiger Baustein dabei ist OpenID, ein Standard für eine offene, gegenüber mehreren Websites verwendbare ID. OpenID hat unlängst durch die Unterstützung von Yahoo und Google viel Aufmerksamkeit erhalten.
Aus CRM-Sicht ist OpenID zunächst deshalb interessant, weil man damit die Bereitschaft von Kunden erhöhen kann, sich überhaupt und frühzeitig zu registrieren und sich auch bei weiteren Besuchen wieder zu identifizieren, denn der Nutzer muss sich mit seiner OpenID nur einmal anmelden. Anschliessend braucht er nur noch zuzustimmen, dass die Anmeldung auch bei weiteren Websites verwendet wird, die OpenID akzeptieren. Mit einer OpenID können zudem erweiterte Attribute transportiert werden, die heute bei jeder Registrierung neu nachgefragt werden. Richtig eingesetzt, trägt OpenID dazu bei, dass sich mehr Personen registrieren und sich aktiv immer wieder identifizieren. Das ist für eine Kundenbindung natürlich ausserordentlich wichtig.
Ein weiteres interessantes Element sind die Infocards, die beispielsweise von Microsoft CardSpace, aber auch von verschiedenen Open-Source-Projekten unterstützt werden – und für die auch an einer Interoperabilität mit OpenID gearbeitet wird. Infocards sind ein virtuelles Abbild der Karten, die wir alle im Geldbeutel mit uns tragen. Mit Infocards lassen sich einfache, eigene Karten für die automatische Registrierung erstellen. Es lassen sich aber auch virtuelle Kundenkarten, Kreditkarten oder Payback-Karten realisieren, ebenso Lösungen für die Altersverifikation und viele andere Zwecke.
CardSpace hat noch nicht ganz die Popularität von OpenID. Allerdings stehen die ersten Ankündigungen für grosse Kartenprojekte vor der Tür. Aus Sicht des CRM muss man sich überlegen, wie man solche Technologien nutzen kann. Gerade virtuelle Kundenkarten bieten viel Potential für die Kundenbindung. Andererseits lassen sich auch neue Geschäftsmodelle durch gemeinsam mit Partnern genutzten Karten realisieren, indem man sich beispielsweise Rabatt-Systemen anderer Anbieter anschliesst.
Unternehmen, die intensiv mit Endkunden zusammenarbeiten, müssen sich heute zwingend intensiv mit solchen Ansätzen beschäftigen. Nur so können sie sich darauf vorbereiten, schnell zu reagieren, wenn die kritische Masse erreicht ist – oder vielleicht selbst die Vorreiterrolle zu übernehmen. Die Nutzung muss aber wiederum in Integration mit den vorhandenen Systemen erfolgen. Es darf also nicht noch ein separater Silo mit Kundenidentitäten entstehen, sondern es muss beispielsweise geklärt sein, an welchem Punkt seines Lebenszyklus ein Kunde eine virtuelle Kundenkarte erhält.
User-Centric Identity Management bedeutet insofern einen radikalen Wandel, als der Kunde «seine» Identität hat, die er mehrfach nutzen kann, statt dass ein Unternehmen die Identitäten besitzt. Faktisch werden bei den Unternehmen zwar meist die gleichen Daten liegen wie bisher, grundsätzlich hat der User aber mehr Steuerungsmöglichkeiten.
Diese Umkehrung zeigt sich auch bei einem anderen neuen Konzept, das aktuell heiss diskutiert wird, dem Vendor Relationship Management (VRM). Es geht dabei darum, dass der Kunde bei der Verwaltung der Beziehungen zu seinen Lieferanten die aktive Rolle übernimmt. Ob sich dieser unabhängige Kunde etabliert, bleibt abzuwarten. Gerade die Technologien des User-Centric Identity Management können ein solches Modell unterstützen. Aus CRM-Sicht sollte man sich mit diesem möglichen Paradigmen-Wechsel auf jeden Fall rechtzeitig beschäftigen.
Klar bleibt aber trotz allem: Im CRM geht es zunächst um das optimale Management der Kundenbeziehungen mit den entsprechenden Prozessen. Ein Blick über den Tellerrand hinaus kann aber helfen, viele der heutigen und zukünftigen Herausforderungen besser zu lösen. Und wenn man das CRM mal als Identitätsspeicher betrachtet, wird auch schnell klar, warum manche dieser Lösungen aus dem Identity Management stammen – auch wenn man im Projekt dann vielleicht gar nicht mehr über Identitäten und das Identity Management, sondern über Kunden und Leads spricht.