Gründe gegen den Offshoring-Trend

Offshoring ist (nicht nur) bei Banken derzeit höchst beliebt. Zu grosses Vertrauen in die Projekte scheint allerdings fehl am Platz.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/14

     

So seltsam es auch anmutet, Offshoring-Projekte scheinen erfolgreich zu sein, denn der Trend zum Offshoring hält unvermindert an. Die meisten Schweizer Banken verfügen bereits über erste Erfahrungen auf diesem Gebiet. Zweifellos kann ein Unternehmen durch Offshoring der Theorie nach sehr viel Geld einsparen. Der wichtigste Grund für dieses Outsourcing im Ausland sind die dortigen günstigeren Lohnkosten. Und solange Schweizer Banken mit jedem Quartal bessere Ergebnisse erzielen, wird der Boom des Offshoring wohl weiter anhalten. Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass nur die wenigsten Offshoring-Projekte wirklich problemlos verlaufen.



Dieser Artikel beschreibt die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Offshoring. Wer diese Voraussetzungen erfüllen will, wird das Offshoring in einem anderen Licht sehen – das ist die These, die in diesem Artikel vertreten wird. Denn so betrachtet, werden die potentiellen Einsparungen fragwürdiger. Daher werden die Schweizer Banken dringlichst dazu aufgefordert, ihre langfristigen Offshore-Strategien zu überprüfen.


Erste Erfahrungen

Alle grossen Schweizer Banken waren bereits an Outsourcing-Projekten in Osteuropa und Asien beteiligt. Gleichwohl war die ermittelte Erfolgsquote dieser Projekte eher niedrig. Die ersten Erfahrungen mit dem Offshoring in Ländern wie Indien haben Fragen aufgeworfen, denn einige der Vorteile erscheinen mittlerweile fragwürdig. Die Nachfrage hat zu steigenden Lohnkosten geführt, und die Fluktuation auf den Arbeitsmärkten nimmt stetig zu. Diese Entwicklung ist wenig verwunderlich, denn schliesslich wollen sowohl die Unternehmen als auch die Arbeitnehmer einen möglichst grossen Profit durch das Offshoring erzielen. Doch in der Zwischenzeit sind die Gehälter in der Schweiz verglichen mit den Einkommen, die noch in der Dotcom-Ära erzielt werden konnten, insgesamt zurückgegangen. Unterm Strich sind also heute die Lohnkostenunterschiede zwischen Onshore- und Offshore-Standort kleiner geworden.



Darüber hinaus gibt es in der Praxis vieles, was schiefgehen kann. Um nur ein paar konkrete Beispiele zu nennen: Häufig erhält ein Auftraggeber einen wirren Spaghetti-Code ausgeliefert, der zwar alle funktionellen Anforderungen erfüllt, aber von minderer Qualität ist. Die Software ist zudem schlecht dokumentiert und somit schwer zu pflegen. Darüber hinaus bleibt häufig völlig im dunkeln, wann die bestellte Software ausgeliefert werden kann: Zusagen werden gemacht, und doch wird der Termin häufig wieder hinausgeschoben. Die Erklärung, «Wir programmieren, während Sie schlafen», ist schlicht nicht zutreffend. Allzu häufig wird ein Problem auftauchen, und am nächsten Tag erhalten Sie dann (wenn überhaupt) die Antwort: «Wir haben doch getan, was Sie von uns erwartet haben.» Und damit ist gleich (wieder) ein ganzer Tag verloren.


Prozessdisziplin

Wie allgemein bekannt ist, haben die meisten Offshore-Anbieter der IT-Branche das sogenannte Capability Maturity Model Integration (CMMI) übernommen, das am Software Engineering Institute der Carnegie Mellon University entwickelt wurde. Das CMMI beurteilt die Prozessfähigkeit eines Softwareproduzenten nach einem fünfstufigen Modell. Die meisten indischen Anbieter werden mit den Reifegradstufen 4 oder 5 des CMMI-Modells bewertet, wobei die Stufe 5 die höchste ist. Anbieter aus anderen asiatischen Ländern scheinen es den Indern nachmachen zu wollen und investieren hohe Summen in die Verbesserung ihrer Software-Entwicklungsprozesse.


Und doch garantiert die Prozessfähigkeit, wie sie im CMMI-Modell bewertet wird, noch keinen Erfolg. Eine wichtige potentielle Gefahrenquelle besteht beispielsweise dann, wenn ein Auftraggeber wie die Schweizer Banken Prozessfähigkeit bei externen Anbietern einkauft, ohne in den Aufbau entsprechender Fähigkeiten im eigenen Haus zu investieren. Denn Prozessfähigkeit schafft immer auch Arbeit für den Auftraggeber, der eindeutige Spezifikationen und Designs erstellen und dem Anbieter regelmässig Rückmeldungen geben muss.

Wenn der Auftraggeber/Kunde jedoch keine eigenen Fähigkeiten zur Durchführung solch anspruchsvoller Prozesse entwickelt, wird auch der Anbieter seine Fähigkeiten nicht entfalten können. Ein Offshore-Anbieter kann über die besten Prozessfähigkeiten verfügen – wie gut das Endergebnis seiner Arbeit sein wird, hängt immer auch von den Prozessfähigkeiten im Unternehmen des Auftraggebers ab, dem häufig schwächsten Glied in der Kette. Diese Beschreibung könnte durchaus auf die Schweizer Bankenbranche zutreffen.



Der einzige Weg, ein Entwicklungsprojekt effektiv zu verwalten – egal ob es intern oder offshore realisiert wird –, ist und bleibt die Fokussierung auf folgende Grössen: Umfang, Terminplanung, Budget und Qualität. Darüber hinaus bedarf es einer disziplinierten Methodik, zielorientierter Messungen und regelmässiger Überprüfungen. Teil dieser Methodik müssen Verfahren sein, welche die Leistungen der Anbieter kontinuierlich auf die vier Grundgrössen hin überprüfen. In der Praxis beschränken sich solche Verfahren allerdings meist auf die Grössen Umfang, Terminplanung und Budget. Der vierte Faktor – die Qualität des entwickelten Quellcodes – wird meistens nicht ausreichend berücksichtigt oder gar vernachlässigt.


Produktqualität

Zwar ist das Offshore-Modell primär auf potentielle Kosteneinsparungen und eine Verkürzung der Entwicklungszeiten ausgelegt, doch fällt es vielen Kunden schwer, andere Leistungsmerkmale wie die Produktqualität im Auge zu behalten. Mit anderen Worten: Die Offshore-Entwicklung mag schneller und günstiger sein, doch die Qualität der ausgelieferten Software kann für unangenehme Überraschungen sorgen, wenn es für präventive Massnahmen bereits zu spät ist.

Erstens werden Qualitätsprobleme, die sich auf die Zuverlässigkeit der Software auswirken, langwierigere Tests durch den Kunden nach sich ziehen. Dadurch können potentielle Zeit- und Kosteneinsparungen schnell gegen null gehen oder sich sogar ins Gegenteil umkehren. Zweitens – und vermutlich noch wichtiger – ist der Wartungsaufwand des ausgelieferten Codes als ein Qualitätsaspekt des Produkts in den meisten Fällen zumindest fragwürdig. Damit drohen überhöhte Wartungskosten und eine mögliche Zwangsbindung an einen bestimmten Anbieter.



Das Management von Offshoring-Projekten bedarf also eines anderen Ansatzes. Das Kundenunternehmen muss Qualitätsprobleme bereits in einem früheren Stadium erkennen und diese proaktiv lösen können. Die Manager der Unternehmen müssen sich auf ergebnisorientierte Indikatoren wie die Qualität des Quellcodes verständigen und diese regelmässig überprüfen. Darüber hinaus müssen sie mit ihren Anbietern regelmässiger und effektiver kommunizieren, damit sie stets wissen, in welcher Entwicklungsstufe sich jedes Teil eines Produkts befindet und ob sich die Qualität dieses Teils noch im vorgegebenen Rahmen bewegt.


Ist Offshoring ein praktikables Modell?

Weshalb ist Offshoring so problematisch? Vor allem weil die Prozessdisziplin und die Qualitätskontrolle die eigentliche Crux für ein erfolgreiches Offshoring bilden. Das Offshoring als neues Wundermittel zur Lösung der Softwarekrise zu betrachten, ist grundsätzlich falsch. Denn dieses Wundermittel kann ganz erhebliche Nebenwirkungen mit sich bringen. Ein erfolgreiches Offshoring bedarf sowohl einer soliden Prozessdisziplin als auch einer proaktiven Qualitätskontrolle. Aber wenn ein Kundenunternehmen sich Fähigkeiten in diesen Bereichen aneignet, hat es dann überhaupt noch Bedarf für Offshoring-Lösungen?

Es ist durchaus vorstellbar, dass sich stärkere Kompetenzen in Prozessdisziplin und Qualitätskontrolle negativ auf die potentiellen Einsparungen auswirken. Der im Offshoring-Modell benötigte zusätzliche Kommunikations- und Verwaltungsaufwand kann die Einsparpotentiale aufwiegen, da wachsende Kompetenzen zu deutlich niedrigeren Onshore-Kosten führen. Aus diesem Grund ist Kundenunternehmen wie den Schweizer Banken dringend zu empfehlen, ein Gesamtgeschäftsmodell für das Offshoring zu entwickeln.



Dieses langfristig konzipierte Geschäftsmodell sollte die auf lange Sicht zu erwartenden Vorteile und Kostenbereiche beschreiben, um eindeutige Argumente für das Offshoring im Vergleich zur Eigenleistung oder zum lokalen Outsourcing aufzuzeigen. Solch ein Geschäftsmodell muss den Einfluss der Prozessdisziplin sowie die nötige Qualitätssicherung berücksichtigen. Indem regelmässig Daten zu den erwarteten Vorteilen und den Kostenbereichen erhoben und ausgewertet werden, erhält das Management eine Grundlage für die Bewertung, ob die Kostenvorteile real sind oder auf falschen Annahmen oder Erwartungen gründen.


Ausblick

Zukünftig werden Kosten und Verfügbarkeit von Energieressourcen den Preis des Offshoring bestimmen. Ein Kundenunternehmen, das Offshore-Projekte plant, wird in Zukunft sehr viel mehr dafür zahlen müssen, da die Inflation in Ländern wie Indien und China aufholt. In diesen Ländern werden die Gehälter rapide steigen, da ihre Wirtschaft in hohem Mass vom Preis und der Verfügbarkeit von Erdöl abhängt.
Dieser Trend wird das Geschäftsmodell des Offshoring letztendlich untergraben. Die Frage ist, ob die Schweizer Banken diesen Aspekt berücksichtigt haben. Überarbeiten sie ihre Geschäftsmodelle regel­mässig oder wurden hier Entscheidungen ohne ein solides Geschäftsmodell getroffen?


Der Autor

Hans Sassenburg
(h.sassenburg@sig.eu) ist CEO der Software Improvement Group AG (www.sig-ag.ch).




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