Photoshops freier Bruder

Mit Version 2 wird die Open-Source-Bildbearbeitung Gimp massentauglich.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/08

     

Im professionellen Umfeld ist Adobes Photoshop der unbestrittene Platzhirsch für die digitale Retusche. Doch für die gelegentliche Nutzung im semiprofessionellen Bereich oder zu Hause ist die Software überdimensioniert, was den Funktionsumfang und vor allem den Preis betrifft. Im Gegenzug sind die günstigeren Retusche-Anwendungen mit Preisen im tiefen dreistelligen Bereich oftmals zu eingeschränkt, weshalb viele Anwender im Zweifelsfall ihre Software lieber eine Nummer grösser tragen und trotzdem zum Paradepferd greifen.


Nützliches Werkzeug, aber nur dreifarbig

Seit Ende März gibt es eine valable Alternative, welche ziemlich gut in die Lücke zwischen Heim- und professioneller Software passt: Das GNU Image Manipulation Program oder kurz Gimp in der Version 2. Diese Retusche-Anwendung kann nicht verleugnen, dass Photoshop Pate gestanden hat, liegt aber im Unterschied zum Adobe-Produkt als freie Software vor. Funktionsumfang und Menügliederung weisen unverkennbare Parallelen zu Photoshop auf, mit einem wichtigen Unterschied: Auch in der aktuellen Ausgabe beherrscht Gimp den Umgang mit Vierfarb-Bildern im CMYK-Format nicht. Solche lassen sich zwar öffnen, werden aber nach RGB konvertiert. CMYK-Unterstützung soll in der nächsten Version 2.2 folgen. Bis dahin ist die freie Bildbearbeitung in der professionellen Druckvorstufe also nur bedingt nutzbar. Anwender, die mit dieser Einschränkung leben können, sind dagegen mit Gimp 2 gut bedient - aus verschiedenen Gründen.



Sicher förderlich für diese zu den Paradepferden freier Software zählende Anwendung ist die offizielle Unterstützung nicht mehr nur für Linux und Unix, sondern auch für das Mac OS X (mit X Window) und vor allem für Windows. Für die letzteren zwei Plattformen stehen fertige Installationspakete bereit, die Links sind unter www.gimp.org zu finden. In der Windows-Variante muss zuerst über das an gleicher Stelle erhältliche Paket das GUI-Toolkit GTK installiert werden, auf dem Gimp basiert. Da die Software für die Benutzeroberfläche nicht auf die Standardschnittstellen von Windows zugreift, unterscheidet sie sich in einigen Aspekten von einer reinen Windows-Anwendung. Dass anstelle eines Anwendungsfensters zahlreiche freischwebende Paletten und Dokumentenfenster das Bild beherrschen, daran dürfte man sich aber gewöhnen. Das gilt auch für die extensive Nutzung der rechten Maustaste, die hier nicht kontextsensitive Funktionen bereithält, sondern gleich die kompletten Menüs der Anwendung. Menüs und Untereinträge lassen sich zudem abreissen und für den schnellen Zugriff als freischwebende Fenster plazieren. Als Folge davon liegt der Aufwand für die Angewöhnung bei Gimp etwas höher als bei einer standardisierten Windows-Anwendung.




Die freie Bildbearbeitung Gimp liegt nun auch als offizielle Windows-Version vor.


Kompletter Funktionsumfang

Kein Anlass zur Klage gibt dagegen der Funktionsumfang von Gimp 2. Sämtliche üblichen Werkzeuge zur Nachbearbeitung von Pixelgrafiken oder Fotos stehen bereit, von Tonwert- über Farbkorrekturen bis hin zu Filtern zum Scharf- oder Weichzeichnen. Wie Photoshop auch, arbeitet Gimp mit verschiedenen Ebenen und bietet zusätzlich einen Alpha-Kanal für die Arbeit mit maskierten Bereichen. Zugelegt hat die Software in der zweiten Version beim Umgang mit Text. Dieser wird als separate Ebene angelegt und lässt sich nachträglich über den eingebauten Texteditor verändern.



Der kreativen Freiheit steht also nichts im Weg - wenn man mit den verfügbaren Hilfsmitteln umgehen kann. Grundkenntnisse der Farbenlehre und ein gutes Auge sind bei Photoshop wie bei Gimp nötig, um die mächtigen Werkzeuge auch wirklich nutzen zu können. Klassische Einsteigerfunktionen, etwa um rote Augen per Knopfdruck zu entfernen, sucht man bei Gimp vergeblich. Die freie Software hat hier allenfalls den Vorteil, dass im Web zahlreiche Dokumentationen und Lehrgänge bereitstehen.




Trotz aller Reife hat Gimp 2 immer noch Ecken und Kanten. Da die Software unter Windows nicht auf die Standard-Dialoge zum Öffnen und Speichern von Dateien zurückgreift, sind Orte wie der Desktop oder freigegebene Netzwerk-Ordner nur mühsam oder über Umwege erreichbar. Und aufgrund von Patenten unterstützt Gimp ausser in der Windows-Version das Speichern LZW-komprimierter TIFF- und GIF-Bilder nicht. Hinzu kommt, dass rechenintensive Operationen wie etwa Schärfen oder Rotieren deutlich langsamer vonstatten gehen als bei Photoshop. Hier machen sich die fehlenden Prozessor-spezifischen Optimierungen bemerkbar.



Unter dem Strich bietet sich Gimp aber als vollwertige Alternative zu kostenpflichtigen semiprofessionellen Produkten an, wenn man auf Vierfarb-Unterstützung verzichten kann. Unter Linux und Unix steht die Software sowieso konkurrenzlos da, und Version 2 mag auch in der Windows-Variante zu überzeugen. Die grössten Vorbehalte dürften Macintosh-Anwender hegen, da die Arbeit unter X Window anstelle der Aqua-Oberfläche zumindest gewöhnungsbedürftig ist. Da Gimp aber frei verfügbar ist, empfiehlt sich in allen Fällen, die Software einfach mal auszuprobieren.




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