Informatikmeister werden
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/14
Sind Sie seit einigen Jahren in der Informatik tätig, quer ins Berufsfeld eingestiegen und fragen sich in den raren ruhigen Minuten, die Sie haben, was Ihnen zum «richtigen» Informatiker, zur «richtigen» Informatikerin noch fehlt? – Vielleicht kennen Sie die Antwort ja schon und sind nur etwas verunsichert, weil man so viel hört und die Situation in Bildungssystem Informatik alles andere als klar erscheint.
Welches Ausbildungs- und Abschlussmenu steht zur Auswahl? Antwort: Es kommt darauf an. Auf Ihr Alter, Ihre Seniorität als IT Professional, Ihre Erstausbildung, Ihre zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten, Ihre örtliche Flexibilität und natürlich auf Ihre höchstpersönlichen Bildungs- und Laufbahnziele. Je nachdem investieren Sie Zeit und Geld in die berufliche Grundbildung, die höhere Berufsbildung oder in ein Angebot der berufsorientierten Weiterbildung.
Was spricht für einen bestimmten Bildungsweg, einen bestimmten Abschluss, einen bestimmten Bildungsanbieter, was dagegen? Inhalte, Aktualität, Praxisbezug und praktischer Nutzen, Image und Bekanntheit, Fokus der Ausbildung und Transparenz sind einige Stichworte, die in diesem Zusammenhang wichtig sind.
Die berufliche Grundbildung – Stufe Berufslehre Informatik – ist je länger je weniger eine reine Domäne jugendlicher Schulabgänger, die damit ins Berufsleben einsteigen. Mit der verkürzten Lehre haben auch Erwachsene die Möglichkeit, nachträglich ihr eidg. Fähigkeitszeugnis EFZ zu erwerben. Nach 1¾ Jahren ist der Lehrgang inklusive Facharbeit abgeschlossen, berufsbegleitend. Wer bereits über die in der beruflichen Grundbildung verlangten Kompetenzen verfügt, kann das EFZ auch über die Anerkennung der in der Praxis nachgewiesenen Kompetenzen im Fachgebiet erwerben. Diese Möglichkeit existiert erst seit kurzem und wird in der Deutschschweiz im Rahmen eines begrenzten Pilotprojekts im Kanton Zürich angeboten. Informieren
Sie sich!
Der Königsweg für Praktiker in der Informatik hat zwei Stufen: eidg. Fachausweis, auch Berufsprüfung genannt, und eidg. Diplom (= höhere Fachprüfung). Königsweg deshalb, weil der Weg zum Ziel maximalen Gestaltungsspielraum bietet. Vorgegeben sind lediglich die Zulassungsbedingungen und das Nadelöhr der Abschlussprüfungen; diese werden übrigens durch Experten der sog. Qualitätssicherungskommission entwickelt und bewertet, allesamt gestandene Praktiker. Welche Vorbereitung Sie wählen, ist Ihre Sache. Sie können eine vorbereitende Schule besuchen, «Crash»-Kurse für die Prüfungsvorbereitung machen oder sich ganz einfach selber in Form bringen, je nachdem, was Sie bereits können und wo Sie in der Praxis sattelfest sind. Berufs- und höhere Fachprüfung bilden zusammen eine Einheit. Wer das eidg. Diplom schafft – es gibt übrigens nur eines – der darf sich zu Recht als Informatik-Meister bezeichnen.
Wer stärker auf den Lehrgang schaut und Prüfungen ablegen will, die von der anbietenden, hoffentlich staatlich anerkannten Schule entwickelt, durchgeführt und bewertet werden, der wird eine höhere Fachschule wählen. Wem daran gelegen ist, zusätzlich zur Informatik methodische, verhaltensorientierte und – bei der Richtung Wirtschaftsinformatik – betriebswirtschaftliche Kompetenzen aufzubauen, der ist bei den «HF» ebenfalls am richtigen Ort. Höhere Fachschulen haben je ein individuelles Profil und die Auswahl der richtigen Schule gehört hier zu den wesentlichen und nachhaltigen Gestaltungsentscheidungen.
Praxisorientiert und doch wissenschaftlich – schlägt dafür Ihr Herz? - Bringen Sie die Voraussetzungen mit, direkt an die Fachhochschule zu gehen und Kerninformatik oder Wirtschaftsinformatik zu belegen, an einer der anbietenden FH, mit dem Ziel, einen Bachelor of Science zu machen, vielleicht gefolgt durch einen Master? – Immer mehr FH-Studien öffnen sich den berufsbegleitend Studierenden und sind damit für «studierfähige» Praktiker entsprechend attraktiv. Achtung: es lohnt sich auch hier, die FH seiner Wahl sorgfältig auszusuchen. Dazu gibt es neben den Informationsveranstaltungen, den Prospekten und Webauftritten bereits internetbasierte Ratings. Insgesamt ist eine zunehmende Fokussierung an einzelnen FH (z.B. Richtung Softwareentwicklung, Security, Kommunikation etc.) festzustellen. Wer die Wahl hat, hat die Qual!
Interessant, aber teilweise noch etwas wildwüchsig und selten langjährig etabliert, sind die Nachdiplom-Studienmöglichkeiten an FH. Hier wird im Wesentlichen zwischen MAS – DAS und CAS unterschieden Diese Studienmöglichkeiten (MAS = Nachdiplomstudium mit Masterabschluss, in der Regel 4 Semester; DAS = Nachdiplomstudium, in der Regel 2 bis 4 Semester; CAS = Zertifikatslehrgänge, in der Regel 2 Semester) stehen Ihnen offen, falls Sie über den Abschluss einer staatlich anerkannten Hochschule oder einer Vorgängerinstitution einer heutigen FH oder über gleichwertige Vorbildungen verfügen. Im konkreten Fall lohnt es sich immer abzuklären, ob man die Teilnahmevoraussetzungen erfüllt, weil ein Zugang «sur dossier» grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist. Die Nachdiplomstudien stehen teilweise in Konkurrenz zur höheren Berufsbildung, insbesondere zu den eidg. Prüfungen. Wer hier wählen muss, sollte sich vor Augen halten, was aus seiner und aus Arbeitsmarktsicht am Ende mehr zählt: Die spezifisch gewählte Studienrichtungsvertiefung in Kombination mit dem Namen der Hochschule oder die breite Bekanntheit und das gesamtschweizerisch gleiche und damit vergleichbare Niveau der Praktikerprüfungen eidg. Fachausweis bzw. eidg. Diplom.
MAS/DAS/CAS gehören zur quartären Bildungsstufe, in der Berufsbildung sprechen wir von der berufsorientierten Weiterbildung. Es wäre natürlich nicht korrekt, wenn hier vergessen würde, dass auch an vielen höheren Fachschulen weiterführende Angebote im Nachdiplombereich bestehen. Ebenso sind zahlreiche Angebote zum Erwerb national oder international ausgerichteter Zertifikate Teil der berufsorientierten Weiterbildung. Angesichts der Anzahl Angebote und der begrenzten Transparenz lässt sich hier als allgemeine Empfehlung Folgendes formulieren: Entscheidend ist, was genau Sie wollen: Geht es um produktnahes Fakten- oder um berufsorientiertes Konzept-Know-how? Brauchen Sie ein bestimmtes Zertifikat als Türöffner für ein spezifisches Tätigkeitsgebeit? Wie international sind Sie tatsächlich ausgerichtet und welche Bedeutung haben demnach internationale Zertifikate? Welche Wertschätzung geniessen bestimmte Ausbildung bei Ihrem Arbeitgeber (finanzielle und/oder zeitliche Unterstützung während der Bildungszeit)?
Der einzig richtige Weg existiert nicht, aber ein paar relevante Hinweise lassen sich schon geben. Falls Sie in Ihrer beruflichen Tätigkeit die nötige Breite an Informatik-Grundlagen schmerzlich vermissen, sollten Sie sich tatsächlich auch als Erwachsener überlegen, ob die verkürzte Berufs-Lehre nicht eine gute Wahl wäre. Wenn Sie eine höhere Berufsbildung ins Auge fassen, werden Sie sich fragen müssen, ob Sie – angesichts der Umstände – möglichst rasch und kompromisslos aufs Ziel losgehen, oder, was in jüngeren Jahren sicher leichter fällt, eine etwas breitere, länger dauernde und intensivere Ausbildung an einer höheren Fachschule machen wollen. Falls Sie überschaubare Zeitbudgets lieben und Ihr Kompetenzenportfolio zielgerichtet und klar auf Informatik und später auf IT-Management aufbauen möchten, dann werden Sie die Möglichkeiten, die Ihnen eidg. Fachausweis und eidg. Diplom bieten, zu schätzen wissen. Natürlich - vorausgesetzt Sie erfüllen die Zulassungsvoraussetzungen dafür - kann es auch ein FH-Studium sein, gerade im Nachdiplom-Bereich sind die Wahlmöglichkeiten erstaunlich vielfältig und massgeschneidert. Ausschlaggebend ist in jedem Fall die sorgfältige Evaluation des eigenen Handlungsspielraums und der Angebote, die sich optimal darauf abstimmen lassen.
Dr. Ugo Merkli ist Geschäftsführer von I CH - Informatik
Berufsbildung Schweiz AG. ugo.merkli@i-ch.ch