Sprache über Datennetzwerke zu transportieren ist heute weitgehend zur Massenware geworden und der Begriff «VoIP» hat bereits etwas Historisches an sich – gemessen an der flüchtigen Zeitrechnung der modernen IT. Es gibt kaum eine Telefonzentralenerneuerung, bei welcher die Option VoIP mit ihren vielen Vorteilen nicht in Betracht gezogen wird. Zur Sprachkommunikation hat sich zudem schon längst Video dazugesellt, und unter dem Marketingausdruck Unified Communications – der die Integration von Sprache, Video, Mail, Instant Messaging und Präsenzinformation umschreibt – bieten führende Hersteller heutzutage ganze Kommunikationssuiten an, welche die Kollaborationsbedürfnisse von modernen Unternehmen abdecken können.
Lync von Microsoft ist eine gute Option für Firmen, die bereits auf eine Microsoft-Umgebung setzen. Ciscos Jabber (nächstes Bild) hingegen wurde von Beginn weg für verschiedene Plattformen konzipiert. (Quelle: Microsoft )
Lync (vorheriges Bild) von Microsoft ist eine gute Option für Firmen, die bereits auf eine Microsoft-Umgebung setzen. Ciscos Jabber hingegen wurde von Beginn weg für verschiedene Plattformen konzipiert. (Quelle: Cisco)
Schatten der Vergangenheit
Die beiden führenden Anbieter in diesem Bereich sind Cisco und Microsoft. Cisco ist bereits seit 1998 mit der Akquisition der Firma Selsius im Voice-Umfeld tätig, während Microsoft durch die Akquisition von Media Streams im Jahr 2005 in die Voice-Welt gestartet ist. Im Vergleich zu den traditionellen Firmen aus dem Telefonieumfeld ist die Präsenz von Cisco und Microsoft im Voice-Geschäft zwar noch jung. Trotzdem haben es grosse Unternehmen mit immensem Telefonie-Know-how – Nortel ist ein Beispiel – nicht geschafft, den Paradigmenwechsel auf Datennetzwerke rechtzeitig vorauszusehen, sich anzupassen und im Rennen zu bleiben. Nortel hat genau gewusst, wie man telefoniert. Cisco hingegen ist mit Hardware gross geworden und hat genau gewusst, wie man Sprache und Video in Datennetzwerke packt. Und Microsoft, mit seinem Software-Background, hatte wiederum eine klare Vorstellung davon, wie man Kommunikation in Windows-Applikationen integriert. Bei Unified-Communications-Evaluationen ist es deshalb immer ein guter Ratschlag, in die ursprünglichen Kernkompetenzen der Hersteller zu schauen, um besser zu verstehen, weshalb eine Lösung heute so ist wie sie ist und welche Schlüsselbereiche die Hersteller zu schützen versuchen.
Corporate Telephony vs. Unified Communications
Gartner macht mit zwei verschiedenen so genannten Magic Quadrants eine klare Unterscheidung zwischen Corporate Telephony (Voice und Voicemail) sowie Unified Communications. So ist es nicht verwunderlich, dass im Unified-Communications-Quadrant Cisco und Microsoft die beiden führenden Hersteller sind, während im Corporate-Telephony-Umfeld Cisco durch die längere Erfahrung und die Architektur die Nase vorne hat. Cisco baut mit seinem Unified Communications Manager auf eine «Back To Back User Agent» (B2BUA)-Architektur auf, während Microsoft mit Lync eine reine SIP-Proxy-Architektur verwendet. Ein B2BUA schaltet sich zwischen die beiden Telefonie-Endpunkte (dies können Softphones, Hardphones, Videophones etc. sein) und teilt so die Signalisierung in zwei separate SIP Sessions, während ein SIP Proxy die SIP Sessions der Endpunkte genau gleich weitergibt (Proxy) und somit nur eine SIP Session zur Signalisierung entsteht. Vereinfacht gesagt hat Cisco einen zentralisierten Ansatz mit zentralen Steuermöglichkeiten und Microsoft einen verteilten Ansatz mit mehr Logik in den Endpunkten. Da bei einem SIP Proxy weniger zentrale Logik nötig ist, skaliert eine SIP-Proxy-Architektur bei zehntausenden von Endpunkten auch bedeutend besser als eine B2BUA-Architektur.
Schauen wir die beiden Schwergewichte einmal in verschiedenen Bereichen etwas genauer an:
-Voice: Im Sprachumfeld hat Cisco von den Features und der Erfahrung her den Vorteil, dass eine B2BUA-Architektur vom Design her komplexere Telefonie-Features zulässt. Flexible Call-Center-Lösungen runden das Portfolio ab. Cisco setzt wegen seinem Hardware-Background – neben Jabber als Softphone – noch immer stark auf eigene Hardphones, während Microsoft sich auf 3rd Party Hardphones und vor allem auf den Lync Client als Softphone konzentriert.
-Video: Im Videoumfeld ist Cisco spätestens seit der Akquisition von Tandberg der führende Hersteller von Videoconferencing-Lösungen im hochauflösenden Telepresence-Bereich.
-E-Mail: Microsoft hat im E-Mail-Bereich praktisch eine Monopolstellung, und Exchange ist der De-facto-Standard bei Firmenkunden. Inwiefern und wie schnell sich neue Cloud-Lösungen durchsetzen werden, wird sich zeigen.
-Presence und Instant Messaging für Windows: Microsoft hat die farbigen Präsenz-Bubbles, die den jeweiligen Status von Kontakten mit verschiedenen Farben untermalen, so richtig populär gemacht. Bei Firmen, die bereits stark auf Microsoft setzten, ist Lync sicherlich eine sehr gute Option.
-Presence für Non-Windows Devices: Hier wiederum hat der Cisco Jabber Client einen Vorteil, da Jabber von Beginn weg für verschiedene Hersteller und Betriebssysteme gebaut wurde.
-Webconferencing mit Desktopsharing: Webconferencing ist bei Lync standardmässig sehr gut und elegant direkt ins Produkt integriert. Cisco wiederum hat mit Webex eine führende Cloud-Lösung, welche einfach in die lokale Unified-Communications-Welt integriert werden oder optional lokal betrieben werden kann.
Das Geheimnis erfolgreicher VoIP-Projekte
Soweit zu Cisco und Microsoft. Doch was sind die wichtigen Punkte, die aus einem UC-/VoIP-Projekt schliesslich auch ein erfolgreiches Projekt machen? Der erste Punkt ist die Erkenntnis, dass die VoIP-Telefonie kein reines IT-Projekt, sondern ein Projekt ist, welches mit vielen anderen Disziplinen Berührungspunkte hat, welche vielleicht bisher nicht auf dem Radar der IT aufgetaucht sind. Der zweite Punkt ist die Erkenntnis, dass die Telefonie sehr viel mit der Kommunikationskultur der jeweiligen Firma zu tun hat und es bei der Beratung darum geht, diese Kommunikationskultur ganzheitlich zu verstehen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig IT-Verantwortliche über die Kommunikationskultur der eigenen Firma wissen. Aus diesem Grund ist es wichtig, Schlüsselpersonen betreffend Kommunikation früh ins Projekt zu integrieren. Dazu gehören mindestens ein Mitarbeiter aus der Vermittlung sowie Mitarbeiter, welche höhere Anforderungen an die Telefonie haben, weil sie beispielsweise eine interne Hotline betreiben. Interviews mit Personen aus der Führungsetage (CxO-Level) helfen zu verstehen, wie deren Erwartungshaltung an die neue Kommunikationslösung aussieht, da eine Migration auf eine UC-Lösung geschlossen von einer Geschäftsleitung getragen werden muss.
Der Teufel liegt ja bekanntlich im Detail und die Abhängigkeiten der Telefonie zu alten, analogen Telefonietechnologien sind nicht zu unterschätzen. Das Thema Fax, Schnittstellen und Spezialtelefone müssen im Lösungskonzept behandelt werden. Hier geht es um Lifttelefone, Modems, Frankiermaschinen, Türöffner, Alarmserver, Konferenzspinnen und andere Spezialtelefone, welche auch nach einer Migration der Sprache aufs Datennetz noch einwandfrei laufen müssen. Auch das Thema Mobilität muss analysiert werden. Soll eine bestehende DECT-Umgebung weiterhin mit DECT betrieben werden, migriert man DECT aufs WLAN-Datennetz oder konzentriert man sich gleich von Beginn auf das bereits vorhandene GSM-Netz eines grossen Providers, um den internen mobilen Kommunikationsbedürfnissen gerecht zu werden?
Zusammenfassend kann man sagen, dass wenn die genannten Details sauber abgeklärt und dokumentiert sind, sich oft ein Trend zu einer bestimmten Lösung mit bestimmten Schwerpunkten erkennen lässt. Reichert man diese Erkenntnisse noch an mit internem, bestehenden Know-how sowie eventuell bestehenden Lizenzen und Einkaufskonditionen, so ist man auf gutem Weg, ein Unified-Communications-Projekt erfolgreich zu starten und auch erfolgreich abzuschliessen.
Terrence Schweizer ist Head of Solution Consulting/Branch Manager bei Bison IT Services.