Content-Filtering in Basler Schulen
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/06
Schulen ans Internet!" Die Forderung, für den seit jeher in Sachen elektronische Kommunikation pionierhaften Stadtkanton Basel nachgerade selbstverständlich, führte in den letzten drei Jahren dazu, dass vom Gymnasium bis zur Primarschule nach und nach alle Basler Schulen mit dem nötigen Equipment und einer schnellen Anbindung ans Internet ausgerüstet wurden. Seit Sommer 2000 sind nun die Schulen von Basel umfassend ans Internet angeschlossen. Zuvor wurde der Computer, wie eine Erhebung von 1997 zeigte, im normalen Unterricht selten eingesetzt.
Schüler wie Lehrer sollen den nutzbringenden Umgang mit dem PC als Arbeitsinstrument für alle Fächer lernen. Der grosse Rat des Kantons Basel-Stadt genehmigte zu diesem Zweck im März 1998 einen Dreimillionenkredit zur Umsetzung des Projekts NIKT@BAS; das Kürzel steht für "Neue Informations- und Kommunikationstechnologien an den Schulen des Kantons Basel-Stadt".
Im Unterschied zu vielen anderen Kantonen gibt es in Basel bisher keine Informatikfachstelle, die vollumfänglich für den Informatikeinsatz im Schulbereich zuständig ist und über pädagogische, technische und administrative Fachkräfte verfügt. Vielmehr kümmert sich ein Team aus zwei Mitarbeitern um die korrekte Umsetzung des Niktabas-Projekts: Hanspeter Meier und Andreas Schenker teilen sich als Ko-Projektleiter eine Vollstelle und kümmern sich um die wesentlichsten Aufgaben. Dazu gehört insbesondere die Ausbildung der Lehrer. In den vergangenen anderthalb Jahren besuchten zweitausend Lehrer PC-Grundkurse sowie Spezialkurse für Kommunikations- und Informationstechnologien. Die Schule soll ja nicht zum Internet-Café verkommen, was nur verhindert werden kann, wenn der PC von allen Lehrern didaktisch ernstgenommen wird. Ebenfalls wichtig: Der Support muss gewährleistet sein. In jeder Schule zeichnet dafür jeweils ein Lehrer verantwortlich, der bei Bedarf externe Fachkräfte beizieht.
Technisch geplant und durchgeführt wurde die PC- und Internetausrüstung der Basler Schulen durch externe Anbieter, die das Basler Erziehungsdepartement im Rahmen eines ordentlichen Submissionsverfahrens ermittelt hat.
Die Wahl fiel auf die Siemens I&C Enterprise Networks für Beschaffung und Installation von Hardware und Software. Als Internet-Provider fungiert die Basler Kabelfernsehgesellschaft Balcab, die bereits zuvor mit Siemens zusammengearbeitet hatte.
Bei der Auftragserteilung war mitentscheidend, dass Balcab zu Selbstkosten offerierte - dies wohl nicht zuletzt, um sich bereits dem jüngsten Publikum als idealer Internet-Provider zu präsentieren; Balcab war ja auch einer der ersten Schweizer Anbieter von Highspeed-Internetzugängen für Privatnutzer. Daraus ergibt sich für Basel ein interessantes Unikum: In keinem anderen Kanton sind, mit wenigen Ausnahmen, die über eigene Standleitungen verfügen, sämtliche Schulen via TV-Kabelnetz permanent ans Internet angeschlossen.
Die PC-Ausrüstung in den Schulen besteht aus sogenannten NIKT-Cornern mit jeweils drei PCs und Drucker. Sie sind nicht in Klassenzimmern, sondern in allgemein zugänglichen Bereichen des Schulgebäudes untergebracht, so dass sie je nach Bedarf allen Schülern zur Verfügung stehen. Daneben gibt es eine Lehrerversion mit zusätzlichem Scanner.
In den Primar- und Orientierungsschulen stehen pro Schulhaus zwei solche Corner, in den höheren Schulstufen zehn bis fünfzehn. Das Gebäude, wo neben dem Niktabas-Büro das Wirtschaftsgymnasium und die Diplommittelschule untergebracht sind, wartet beispielsweise mit 160 PCs für die rund 800 Schüler auf.
Die meistbenutzten Office- und Grafikanwendungen laufen nicht auf den PCs selbst, sondern werden von einer beim Provider Balcab installierten Terminal-Server-Farm bezogen, was sowohl den Unterhalt erleichtert als auch die Lizenzkosten senkt. "Trotzdem haben wir keine Thin-Clients gewählt, sondern vollständig ausgestattete Workstations. So kann man lokal zusätzliche Software installieren oder CD-ROMs benutzen", präzisiert Andreas Schenker. "Auf den Terminal-Servern laufen die Applikationen für den täglichen Gebrauch; schulspezifische Anwendungen wie Lernsoftware installieren wir an den einzelnen NIKT-Cornern."
Mehr noch als beim Privatsurfer oder in der Wirtschaft spielt die Kontrolle über die abgerufenen Inhalte im Erziehungsbereich eine Rolle. Die Schüler sollen weder zufällig mit unpassenden Webseiten in Kontakt kommen noch gezielt auf Sites mit Pornografie oder extremistischen Pamphleten herumsurfen können. Mit der ständigen Kontrolle "von Hand" wäre das Lehrpersonal hoffnungslos überfordert. Deshalb verlässt man sich in Basel auf Software, die sämtliche Webzugriffe überwacht und unerwünschte Sites sperrt.
Hanspeter Meier dazu: "Nachdem klar war, dass wir auch in der Unterstufe Internetanschlüsse haben werden, gab es im Grossen Rat, der ja den Rahmenkredit zu bewilligen hatte, Diskussionen. Das Thema Content war dabei einer der Hauptaspekte - wie kann man zum Beispiel verhindern, dass ein Primarschüler durch Zufall auf eine Porno-Seite kommt? Die Problematik ist insgesamt natürlich vielschichtiger und umfasst nicht nur Sex, sondern generell alles, was in irgendeiner Beziehung extremistisch ist."
Bei der Wahl des Content-Filtering-Tools verliess sich das Niktabas-Team ganz auf den Lieferanten der Gesamtlösung: Für die Evaluation, so Michael Mankel, bei Siemens zuständig für das Niktabas-Projekt, habe die im Vergleich mit dem Hauptkonkurrenten Mimesweeper starke Verbreitung des ausgewählten Produkts I-Gear im US-Education-Bereich die Hauptrolle gespielt; dazu komme ein günstiges Lizenzmodell.
Auf dem Content-Proxy-Server, der wie die Terminal-Server-Farm physisch beim Internet-Provider stationiert ist und durch den Provider verwaltet wird, wurde die I-Gear-Software ohne weitere Konfiguration installiert, wie Meier betont: "Wir haben es uns ganz einfach gemacht: I-Gear wird genauso eingesetzt, wie es mit den vordefinierten Ausschlusslisten geliefert wird. Wir haben also überhaupt nichts spezifisch freigegeben und gleich einen Testlauf an einigen Schulen gemacht. Weil es praktisch nicht zu Reklamationen kam, sind wir auch bei den nachfolgenden Schulen gleich vorgegangen. Heute geht jeder Webzugriff zwingend über den Content-Proxy". Probleme treten dabei nur selten auf. Wenn ein Schüler zum Beispiel im Browser die Proxy-Einstellungen ändert, ist auf dem PC kein Internetzugriff mehr möglich, und der Support ist gefordert.
Die Akzeptanz bei den Lehrkräften ist hoch - abgesehen von einzelnen Lehrern, die aus prinzipiellen Gründen jede Zensur ablehnen. Auch die Schulleiter wollen in ihrem Zuständigkeitsbereich keinen Internetanschluss ohne Massnahmen, die den Lehrer in seiner Aufsichtspflicht unterstützen und entlasten. Dank I-Gear müssen sich die Lehrkräfte nicht ständig um das Surfverhalten der Schüler kümmern. Genau dies wäre ohne Filter offenbar dringend nötig: Als ein Ausfall des I-Gear-Servers einmal für kurze Zeit den unbegrenzten Zugriff möglich machte, begannen findige Schüler sofort und intensiv auf schlüpfrigen Sites zu surfen.
Die Festlegung pädagogischer Richtlinien und Regeln ist Sache des Erziehungsdepartements. Momentan befasst sich eine Fachstelle damit, die Zuständigkeiten festzulegen und zu definieren, in welchen Schulen was erlaubt ist. Es ist durchaus denkbar, sagt Hanspeter Meier, dass künftig an gewissen Schulen nur Teilbereiche von I-Gear genutzt werden oder der Internetzugang sogar völlig freigegeben wird - zum Beispiel dort, wo sich die Schülerschaft ausschliesslich aus Erwachsenen zusammensetzt.
Die Listen mit den "verbotenen" Sites und Schlüsselwörtern kommen direkt vom Hersteller Symantec, sind trotz Berücksichtigung deutscher und französischer Sprache stark auf den angelsächsischen Sprachraum ausgerichtet und werden regelmässig automatisch auf den Server übertragen. Hier sieht Schenker ein Problem: "Wir sehen bei I-Gear nicht dahinter - was genau gesperrt und erlaubt ist, ist Betriebsgeheimnis des Herstellers. Von uns aus können wir aktiv bloss zusätzlich freizugebende Sites bestimmen, aber der Aufwand ist gross, um jeweils herauszufinden, was genau zu tun ist."
Um den höchstmöglichen Schutz zu erreichen, geht I-Gear gelegentlich etwas zu weit. Neben dem traditionell als Missverständnisquelle für Content-Filtering-Produkte herbeigezogenen Beispiel "sex" (heisst englisch schlicht "Geschlecht" und kann sich genauso in einem Biologietext finden wie auf einer Porno-Site) kann das Niktabas-Team von einigen fast schon amüsanten Fehlern berichten, deren Behebung jedoch immer mit Aufwand verbunden ist.
So wurde plötzlich die Site www.basel.ch gesperrt. Auch nach eingehender Suche fand man kein unstatthaftes Wort auf den Seiten, bis man die eingebundenen Javascripts näher unter die Lupe nahm: Dort wurde "butt" als Bezeichnung für einen Button benutzt - und das ist im Amerikanischen eine leicht anrüchige Bezeichnung für das menschliche Hinterteil, die I-Gear gemäss seiner Logik folgerichtig sperrte. Ein weiteres Beispiel: Das nur scheinbar harmlose Wort "besorgen" könnte ja allenfalls im Kontext "Er besorgte es ihr" auf Unsittliches schliessen lassen und wird von der Software ebenfalls nicht geduldet.
Auch verschlüsselte Seiten sind problematisch: Sie können nicht auf unerwünschte Wörter gescannt werden; Niktabas hat deshalb zu Beginn sämtliche https-Seiten gesperrt. Darauf aber konnten zahlreiche Lehrer nicht mehr auf ihre Mailbox zugreifen: Der beliebte Hotmail-Webservice kommt nicht ohne SSL-Verschlüsselung aus. Es blieb nichts anderes übrig, als den https-Zugriff wieder generell zu öffnen.
Anfangsprobleme traten auch im Betrieb auf. Der Linux-Server, auf dem die I-Gear-Software installiert wurde, stürzte mehrmals ab und musste jeweils neu aufgesetzt werden. Ein Update der URL-Listen wurde etwa erst beendet, als alle Harddisks randvoll geschrieben waren. Heute läuft der Server jedoch stabil.