Urs Binder: Browser Watch - ausser IE nix gewesen
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/28
Netscape-Chef Jim Bankoff tut wohl gut daran, wenn er mit seiner Firma inskünftig andere Ziele als die Entwicklung von Browser-Software verfolgt: "In sechs Monaten", verkündete er Anfang Juni, "wird man Netscape nicht mehr als Browser-Company wahrnehmen". Ob allerdings angesichts der globalen Portalüberflutung die Ersatzstrategie wirklich fruchtet, wird sich erst noch weisen: Netcenter soll als Webportal mit Inhalten aus anderen Time-Warner-Unternehmen ausgebaut werden.
Des Browsers Kern hat man in Form des Mozilla-Code ja bereits einer breiten Entwickleröffentlichkeit übergeben, wo er seit diversen Monaten in Gestalt verschiedener unvollendeter Open-Source-Projekten vor sich hin dümpelt. So kann es "Kronjuwelen" - nichts geringeres ist der Browser laut Bankoff trotz allem - ergehen.
Wie der Netscape-Chef selbst einräumt ("statt weiter in der Schlacht gegen Microsofts Internet Explorer zu kämpfen..."), handelt es sich bei der ansonsten vornehm als Strategiewechsel proklamierten Einstellung der Browser-Entwicklung schlicht und einfach um die Kapitulation vor der Übermacht des "bösen" Monopolisten. Und die wird durch die Realität bestätigt: Die nackten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.
Als Beispiel sei die Besucherstatistik von Internet.com genannt, einer aus naheliegenden Gründen vielgewählten Site. Aus der Gesamtheit aller Zugriffe stammten im April 2001 über 87 Prozent von Browsern des Typs Internet Explorer, Versionen 5.x (77%) und 4.x (knapp 10%). Netscape-artige Web-Clients dagegen waren für weniger als 12 Prozent aller Zugriffe auf eine der Internet.com-Sites verantwortlich. In der Mehrzahl aller Fälle handelte es sich um Netscape-4.x-Browser; inbegriffen sind aber auch Mozilla-5.x-Agenten.
Was gibt es sonst noch? Opera, die von Standard-Puristen vielgerühmte, technisch einwandfreie und, zumindest in der werbebefreiten Variante nach wie vor kostenpflichtige Alternative? Null komma zwei fünf Prozent!
Wer nun ob des Microsoft-Browser-Monopols in Heulen und Zähneknirschen ausbrechen möchte, sollte eines bedenken: Mit einem bestimmten Browser als Quasi-Standard haben die Seitendesigner eine einheitliche Plattform, an der sie ihre Gestaltungen ausrichten können. Noch immer gibt es nämlich die leidigen "Browser-Inkompatibilitäten" - vor allem Seiten, die fortschrittliche und hochelegante Technologien wie CSS und DOM nutzen, leiden nach wie vor unter erheblichen Differenzen in der Darstellung, je nachdem, mit welchem Browser sie betrachtet werden.
Da ist es nur gut, wenn die überwältigende Surfermehrzahl auf ein und den selben User-Agenten setzt. Und der IE ist ja anerkanntermassen kein schlechter Browser. Zwar musste er bis vor kurzem auf jedem Windows-basierten System vom Hersteller zwangsinstalliert werden - aber ein schlechtes Produkt hätten die meisten wohl dennoch rasch durch eine bessere Alternative ersetzt. Abgesehen davon überrascht Microsoft immer wieder mit kleinen Gimmicks. In der gerade demnächst erwarteten sechsten Ausgabe hält IE unter anderen den "Image Toolbar" bereit, der bei Mausberührung das Sichern, Drucken und Mailen eines angezeigten Bildes möglich macht. Nett.
(ubi)