Gedächtnistraining für Vergessliche
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/21
Mit dem Gedächtnis ist es so eine Sache: Immer wenn man es braucht, lässt es einen im Stich. Sei es beim Lernen in der Schule, beim Vorbereiten einer Rede oder beim Merken von Namen der Geschäftspartner (wo es dann schnell einmal peinlich wird). So oder so, ein besseres Gedächnis wünscht sich fast jeder.
So ging es auch dem damals 32jährigen Gregor Staub anno 1986 – schon in der Schule von störender Lernschwäche betroffen. Damals sei er von Amerika nach Hause gekommen, erzählt er. Aufgrund des schwachen Gedächtnisses habe er sich halt organisieren müssen. Beispielsweise habe er im Parkhaus des Flughafens Kloten immer das Parkhaus B und immer die obersten vier Etagen benutzt. «So musste ich maximal vier Etagen durchsuchen. Nach meinem Amerika-Trip komme ich jedoch nach Hause und finde mein Auto nirgends. Ich durchsuchte also wie immer die vier Etagen im Parkhaus B, dann – man weiss ja nie – vier im Parkhaus A. Aber kein Auto!» So sei er halt zum Münzfernsprecher gegangen, um die Polizei zu benachrichtigen, warf eine Münze hinein, und beim Klang der Münze habe es geklingelt. «Ich bin ja mit dem Zug gekommen!»
Nach diesem Erlebnis hat Staub begonnen, Wege zu suchen, seine grauen Hirnzellen auf Vordermann zu bringen. Und nach mehreren Jahren tüfteln hat er sein System gefunden, es mit Studenten ausprobiert und dann begonnen, es kommerziell unter der Bezeichnung Mega Memory anzubieten.
Gegen Ende Oktober kamen nun auch IT-Spezialisten in den Genuss, ihr Gedächtnis mit Hilfe von Gregor Staub zu verbessern – am von SwissICT organisierten Workshop «Mega Memory – Gedächtnistraining für Informatiker.» InfoWeek hat mit Gregor Staub gesprochen, um herauszufinden, worum es sich bei seinem Gedächtnistraining eigentlich handelt und wie so ein Workshop-Tag abläuft.
An erster Stelle gehe es an einem solchen Event um die Befragung der Leute, darum, was sie eigentlich wollen. Er wisse ja eigentlich, was die Besucher wollen. «Doch es geht um das bewusst machen. Die Leute sollen sich bewusst werden, dass sie beispielsweise ihr Namensgedächtnis verbessern wollen oder eine Rede ohne Spickzettel halten möchten.» Er mache den Leuten auch klar, dass der Lernprozess länger dauert als einen Tag. Weiter erkläre er die Basis, die er anwende – die sogenannte Mnemotechnik, die aus dem Griechischen kommt. «Ich verkaufe eigentlich ganz leckeren, alten Wein in ganz neuen Schläuchen.»
Danach folgen Beispiele, bei denen die Workshop-Teilnehmer ein Erfolgserlebnis verspüren. «Beispielsweise sage ich den Besuchern, dass sie sich bis zum Mittag eine 20stellige Zahl merken können. Kein Mensch glaubt es in dem Moment, in dem ich es sage. Später aber merken sie, dass sie sich nicht nur eine 20stellige, sondern gar eine 50stellige Zahl merken können.» Um solche Erfolgserlebnisse gehe es. Das sei ganz wichtig. Die Didaktik entscheide, ob ein Mensch das Gedächtnistraining verarbeiten kann oder nicht. «Ich mache das nun seit 14 Jahren, ich bin also recht weit fortgeschritten, wenn es darum geht, etwas zu erklären.» Wichtig sei auch, dass es Spass macht. «Manchmal geht’s bei mir zu wie im Cabaret», weiss Staub zu berichten.
Es sei aber schon so, dass die Besucher sehr skeptisch zu einer solchen Veranstaltung erscheinen. Die Leute kommen nur dann, wenn sie aus einer glaubwürdigen Ecke heraus hören, dass es da etwas gibt, das zu funktionieren scheint. Dies kann wie im vorliegenden Fall eine SwissICT sein, die ihre Mitglieder angeht. «Darum findet man auf meiner Homepage auch so viele Videos von Fernsehauftritten, beispielsweise mit Frank Elstner, im Sat1-Frühstücksfernsehen, beim ORF und beim ZDF. Das baut die Glaubwürdigkeit auf.» Die Leute seien dann zwar immer noch sehr skeptisch, würden dem Ganzen aber eine Chance geben.
Staub empfiehlt abschliessend jedem, der die Chance auch nutzen will, mit klaren und konkreten Zielen an seine Veranstaltung zu kommen.
Gefragt nach einem Beispiel seiner Lernmethode bietet Staub an, eine Übung zu machen, um innert drei Minuten die letzten 10 US-Präsidenten zu lernen. Das Ganze funktioniert ungefähr so: «Schauen Sie gedanklich mal auf Ihre Schuhsohlen und stellen Sie sich vor, die wären aus Eisen und hauen beim Gehen auf den Boden. Das wäre dann der Eisenhower. Gut. Auf Ihrem Knie sitzt ein Typ, den Sie noch nie gesehen haben, und Sie sagen zu dem Typ: ‹Kenn i di›? Kennedy! Und jetzt schauen Sie mal auf Ihre Oberschenkel, da liegt eine CD, und zwar vom Beatles-Lennon. Wissen Sie noch, wie der zum Vornamen hiess?» «John.» «Genau, und daneben liegt noch eine CD vom Sohn vom Lennon. Wir haben also John und seinen Sohn: Johnson. An Ihrem Gesäss ist so ein Schwanz einer Frau, die eigentlich ein Fisch ist – einer Nixe also. Der schaut hinten so raus und ist dann der Präsident Nixon. Und in Ihrem Bauchnabel ist eine Garage, in der parkiert ein Auto – ein Ford. Präsident Ford! Und an Ihrer Brust hängt mit ihren Krallen eine männliche Katze, ein Kater also... Jimmy Carter. Und schauen Sie auf Ihre Schultern, da regnet es – Präsident Reagan! Da wo Sie normalerweise Ihre Krawatte hätten, da ist ein grosser, dorniger Busch. Der Präsident Bush senior. Wenn Sie mit Ihren Lippen pfeifen, erklingt ein Ton, der Clinton – auch wenn hier gewisse Leute an Frau Lewinskys Lippen denken. Und auf ihrem Kopf oben sehen Sie einen kleinen Bush – Bush junior.
Sie sehen, es funktioniert deshalb, weil sie plötzlich in Ihrer Logik das haben, was sie beim Computer auch haben: Sie haben plötzlich ein File, das Sie zuordnen können. File Nummer sieben beispielsweise ist die Schulter – aha..., Reagan. File Nummer fünf ist der Bauchnabel – Ford. Und diese Art von denken muss man üben und kann man auch nicht selber erfinden. Aber Sie sehen, in fünf Minuten haben wir einen Lernerfolg!»
Interview mit Gregor Staub, Gedächtnistrainer. Die Fragen stellte Marcel Wüthrich.
InfoWeek: Warum veranstalten Sie ein spezielles Gedächtnistraining für Informatiker?
Gregor Staub: Wenn ich ganz ehrlich sein soll, handelt es sich dabei nur um die Zielgruppe, die wir in diesem Fall ausgesucht haben. Aber jeder Informatiker ist auch ein Mensch – mit Gedächtnisproblemen.
Also unterscheidet sich das Informatiker-Training überhaupt nicht von Ihren übrigen Veranstaltungen?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt keine Unterschiede.
Ganz allgemein, wer sollte an Ihre Veranstaltungen kommen?
Alle, die sagen, ich hätte gerne eine Gedächtnisleistung, die ich heute noch nicht habe.
Und was für Leute tauchen letztlich an Ihren Veranstaltungen auf?
Alle möglichen. Entscheidend ist die Zielgruppe, die angesprochen wird. Im SwissICT-Fall waren das Informatiker – von der Führungskraft bis zum einfachen Angestellten.
Wie lange dauert es, bis man das Training oder das Gelernte umsetzen kann?
Schauen Sie sich mal meine Homepage (www.gregorstaub.com) und dort den Videoclip mit Frank Elstner an. Dort sehen Sie, dass 150 Leute nach einer Viertelstunde etwas konnten, das sie vorher noch nie gekonnt haben. Wie gesagt, es geht an meinen Veranstaltungen um Erfolgserlebnisse. So werden die Leute motiviert, dann mit meinen CDs zu üben und ihr Gedächtnis zu schulen. Letztlich dauert der Lernprozess schon länger als ein Event-Tag.
Können Sie mir ein Übungsbeispiel geben?
Klar, ich bringe Ihnen jetzt bei, wie sie in drei Minuten die letzten 10 US-Präsidenten lernen, so dass Sie sie auch morgen noch wissen (Anmerkung d. Red.: Es hat tatsächlich funktioniert, mit einer Art grossen Eselsbrücke, siehe Kasten). Für Ihre Leser: Schauen Sie sich am besten die Beispiele auf meiner Seite an. So wird viel klarer, wie das ganze funktioniert.
Wie viele Leute können Sie an einem Event von Ihrem Gedächtnistraining überzeugen?
Ich bin erst zufrieden, wenn 80 Prozent danach meine Methode anwenden.
Ist schon geplant, wann Sie das nächste Mal im Rahmen einer SwissICT-Veranstaltung auftreten?
Ja, es wird wieder etwas geben, das Datum erfahre ich aber erst Ende Jahr. Die Veranstaltung wird dann irgendwann 2005 sein.