Internet heute und in vier Jahren
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/06
Das Internet ist erwachsen – oder zumindest doch schon in der späten Pubertät. Nach dem haltlosen Boom der 90er-Jahre und der Depression zu Beginn des
21. Jahrhunderts hat sich das Netz heute zu dem gewandelt, was es in Tat und Wahrheit für die meisten Unternehmen auch ist: Ein weiterer Kanal, um Produkte und Dienstleistungen an den Mann zu bringen.
Und doch ist das Internet noch immer ein junges Medium. Die Entwicklung wird weitergehen. Dabei zeichnen sich ganz klare Tendenzen ab. Darüber, wohin der Weg des Webs geht und welche Trends in den nächsten Jahren vorherrschen werden, haben wir die Geschäftsführer von drei grossen Schweizer Web-Dienstleistern befragt.
Ausserdem behandeln wir in diesem Schwerpunkt das Dauerbrennerthema Web 2.0 (S. 35), haben eine Marktübersicht über die verschiedenen Web-Office-Lösungen zusammengestellt (S. 37) und zeigen auf, was es zu beachten gilt, wenn die Firmen-Site für die immer populäreren mobilen PDA- und Smartphone-Browser fitgemacht werden soll (S.39).
Fragt man in der Branche herum, welches Thema das Internet mittelfristig beherrschen wird, bekommt man selten dieselbe Antwort. Trotzdem sind sich die Geschäftsführer der drei Firmen Aseantic, Futurecom und INM (Inter Network Marketing) im Grundsatz darüber einig, was die Zukunft bringen wird. Die Zauberworte heissen Personalisierung, Kanalisierung, Konvergenz, Portabilität sowie Multimedialität. Hier die Visionen der drei Internetspezialisten.
Statische HTML-Seiten gehören bis im Jahr 2010 der Vergangenheit an: Dank Web 2.0 werden wir immer seltener einfache, statische Webseiten nutzen. Schlanke Web-Applikationen ermöglichen uns auf komfortable Weise Zugriff auf Datenbanken. Durch offene Schnittstellen und modulare Entwicklung lassen sich Applikationen einfach kombinieren und erweitern. Technologien wie AJAX ermöglichen die Nutzung dieser Applikationen über komfortable und einfach bedienbare Benutzeroberflächen. Diese Web-Applikationen produzieren «Software aus der Steckdose», die von den Kunden als Service genutzt wird. Das bedeutet: keine hohen Anschaffungskosten für Hard- und Software und keine hochspezialisierten IT-Mitarbeiter mehr – sondern eine Nutzung der benötigten Services zu einem fixen Preis.
Ein weiteres Thema im Jahr 2010 wird die Medienkonvergenz. Heute noch als Meilenstein in der Mobilfunkgeschichte gefeiert, wird der Übertragungsstandard UMTS aus Kostengründen ins Hintertreffen geraten. Neue Handys unterstützen IP-Telefonie, mit denen sich neben UMTS auch kostengünstige Public-WLAN-Zugänge nutzen lassen. Handys, PDA und Digitalkameras werden zum Publizieren im Internet genutzt, und mit der zunehmenden Verbreitung der Breitbandzugänge verschmelzen die Mediennutzung und das Internet zusehends. Interaktives Fernsehen und Video on Demand werden dank technisch ausgereiften, benutzerfreundlichen Lösungen und einem umfassenden Angebot in DVD-Qualität den Durchbruch erreicht haben. Da die Konsumenten nicht mehr nur konsumieren, sondern selbst entscheiden, was ihnen serviert wird, werden klassische Medienhäuser immer mehr in Bedrängnis geraten.
Gian-Franco Salvato ist Präsident & CEO Aseantic
Bis im Jahr 2010 ist der Konvergenz-Prozess der elektronischen Medien abgeschlossen. Entstanden ist ein allumfassendes Meta-Medium, ein universelles Netz mit unbeschränkten Möglichkeiten für alle Teilnehmer. Sämtliche Haushalte werden mit Breitbandverbindung angeschlossen sein und dem Medium die zentrale Rolle im täglichen Kommunikationsbedürfnis und Medienkonsum einräumen. Das Verhältnis Content-Anbieter, Benutzer und Werbetreibende wird sich bis dahin massiv verschoben haben: Das Meta-Medium wird zu einem völlig neuen Rollenverständnis der Telekommunikationsanbieter und der Medienunternehmen führen – natürlich mit Gewinnern und Verlierern.
Auf Benutzerseite wird das Bedürfnis nach Entertainment und totaler Mobilität noch verstärkt die Atomisierung der Inhalte und der Kanäle vorantreiben, während werbetreibende Unternehmen vor der grossen Herausforderung stehen, in diesem fragmentierten Umfeld ihre Zielgruppe zu erreichen. Das Management der Kunden wird dadurch zur aussichtsreichsten Strategie, «Word-of-Mouth» als Distributionskanal kommerzieller Botschaften unverzichtbar. Auf Inhaltsebene werden die unlimitierten Möglichkeiten des Eigen-Publishing weiter zu einer Abnahme der Inhaltsqualität führen, und gerade dann wird die Fokussierung auf Qualität Erfolg bringen. Nur attraktive Botschaften werden reüssieren.
Die sechs wichtigsten Internet-Themen im Jahr 2010 sind:
Portabilität der Inhalte (Mobile-Devices)
Demokratisierung der Inhalte (Casts)
Das Internet als Entertainment-Space
Kunden-Loyalität als zentralste Marketingmassnahme
Kanal-Atomisierung und die Erreichbarkeit der Zielgruppe
Wie begegnet man dem Self-Service-Customer?
Andreas Widmer ist CEO Futurecom Interactive
Die Hauptentwicklung im Internet ist neben dem Zusammenwachsen der Medien Fernsehen, DVD, Telefon, Radio und Spielkonsolen sicherlich die Personalisierung des Webs. Aus der immer noch wachsenden Informationsflut im Internet wird es für den Internetbenutzer immer schwieriger, die für ihn relevanten Informationen zu finden. Folgende Trends vereinfachen dem User in dieser Hinsicht das Suchen:
Identifikation auf Webseiten. Der Benutzer schaltet die Informationen über sich frei, die er bekanntgeben möchte. Die Website reagiert so auf die Bedürfnisse des Kunden und zeigt ihm nur Informationen, die ihn interessieren.
Unterstützung durch Suchroboter. Sie erleichtern dem User im Internet die Suche enorm. Durch Interaktion werden Bedürfnisse erkundet, und Roboter suchen Informationen, Angebote oder Dienstleistungen und stellen diese sauber aufbereitet zur Verfügung.
Der gläserne Kunde wird immer mehr Realität. Die Spuren, die ein User beim Surfen hinterlässt, werden es ermöglichen, den Besucher einer Website zu kategorisieren und nicht nur die Angebote auf den Kunden auszurichten, sondern auch Design und Sprache – sozusagen die Verpackung – massgeschneidert anzupassen. Dies ermöglicht es zum Beispiel einem Produzenten, verschiedene Zielgruppen in spezieller Tonalität anzusprechen. Diese Trends zeichnen sich schon heute ab, die Zeitersparnis ist der Gewinn. Und dies ist für alle ein kostbares Gut!
Urs Gerber ist Mitinhaber INM